Technische Details zur Kanonenbahn & zum Lengenfelder Viadukt

Der Streckenabschnitt Leinefelde-Geismar der aus strategischen Gründen errichteten und am 10. Mai 1880 in Betrieb genommenen Linie war Teil der sogenannten „Kanonenbahn". Vor dem Krieg 1866 verfügte Preußen über fünf von einander getrennte Staatsbahnbereiche. Der Ausgang des Krieges 1866 brachte mit den für Preußen erworbenen Territorien eine erhebliche Vergrößerung des Streckennetzes, jedoch fehlte eine durchgehende staatseigene Verbindung zwischen den Eisenbahngebieten, dem in Norddeutschland bereits ein leistungsfähiges, dominierendes Privatbahnnetz gegenüberstand. Der Nachteil der Lücken im Eisenbahnnetz wurde im Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 in der hierdurch verursachten Verzögerung des Aufmarsches der Armeen deutlich.

Auf Forderung des preußischen Generalstabs wurde die Aufgabe gestellt, die Staatsbahnlücke zwischen Berlin und Bebra zu schließen, um über eine strategische Bahn von der damaligen russischen Grenze über Berlin-Bebra-Wetzlar-Koblenz nach Metz an die französische Grenze als moderne Heerstraße zu verfügen, die g le ich zeitig Bindeglied der großen Teile der Monarchie bedeutete. Mit Staatsgesetz vom 11. Juni 1873 wurden die veranschlagten 50 Mill. Taler Geldmittel bewilligt. Teilweise benutzte die Linie bereits vorhandene Streckenabschnitte. Durchweg zweigleisig, mit Steigungen max. 1:100, Mindestradien von 250 m und Überschneidungsbauwerken bei einmündenden Strecken und an Knotenbahnhöfen waren die Streckenabschnitte großzügig trassiert. Die Linie führte teilweise durch damals noch wirtschaftlich unbedeutende Landesteile. Dementsprechend waren die Anlagen der Bahnhöfe für den Reise- und Güterverkehr recht sparsam ausgestattet.

Den Zweck – vorwiegend Militärtransporten zu dienen – hat die Linie, zumindest über den Abschnitt Leinefelde-Eschwege auf Grund der ungünstigen Geländeverhältnisse nicht erfüllt (abweichend von den technischen Parametern hier max. Neigungen 1:50). Die Militärtransporte wurden über andere Strecken geleitet.

Nach dem ersten Weltkrieg mussten auf Grund des Versailler Vertrags einige strategische Strecken abgebaut, andere auf eingleisigen Betrieb zurückgebaut werden. Auch der Abschnitt (Leinefelde)-Silberhausen-Geismar-Treysa wurde davon betroffen. In den ersten Jahrzehnten bereitete die Strecke mit häufigen Rutschungen, verursacht durch aus in Unkenntnis unsachgemäß verwendete bindige Böden, häufig Schwierigkeiten, Die geografischen Bedingungen der zu durchfahrenden Gebirgslage des Eichsfelds zwangen zu langen Einschnitten, Dammstrecken, fünf Tunnel mit einer Gesamtlänge von 2 513 m.

Auf dieser Strecke sind noch Überführungen untergeordneter Feldwege in Holzbauweise zu finden, wie sie in den Anfängen des Eisenbahnbaus häufig waren. Die Hauptträger als Holzbalken, die freie Stützlänge durch angedübelte Balken verringert, ruhen, durch Kopf band er abgestützt, auf Holz Jochen als Pfeiler, in den Widerlagerkammern auf einer auf Werksteinen liegenden durchgehenden Holzschwelle. Widerlager und Pfeilerfundamente bestehen aus Werksteinmauerwerk. Die Fahrbahn zeigt doppelten Bohlenbelag, der obere als leicht auswechselbare Verschleißschicht.

Interessantestes Bauwerk ist der im weiten Bogen mit r = 400 m den im Tal gelegenen Ort „Lengenfeld unterm Stein" überspannende 237 m lange Viadukt im km 30,6 bis 30,83. Das 1880 aus Schweißeisen errichtete zweigleisige, seit Rückbau 1918 des zweiten Gleises, eingleisig befahrene Bauwerk (Bild 2) besteht aus sechs zweigleisigen Fisch bauch trägem (je 32,00 m Stützweite), zwei Kasten träge r n mit 17,00 oder 15.00 m Stützweite. Die Fachwerk-Fischbauchträger weisen einen Hauptträgerabstand von 5,50 m, eine Konstruktionshöhe in Trägermitte von 4,53 m auf.

Die nur noch für ein Gleis vorhandenen Kasten trag er in Parallelfachwerk haben 2,50 m Konstruktionshöhe und 2,70 m Hauptträgerabstand. Die lichte Höhe über Gelände bis Unterkante Träger beträgt 18,50 m. Die Schienenoberkante liegt 23,00 m über Straßenoberkante. Gesamte Fahrbahnbreite einschl. Konsolen der Gehwege (außer über den Kastenträgern) 8,60 m. Die Schienen (Überhöhung im Bogen 75 mm) ruhen auf Brückenbalken, die auf den Längsträgern gelagert sind. Querträger und Querverbände verbinden die Hauptträger. Die Kastenträger (damals noch für zwei Gleise) wurden 1907 und 1913 in Stahl St 37 erneuert. Widerlager und Pfeiler (obere Dicke 2.80 m) bestehen aus Bruchsteinmauerwerk, verblendet mit Sandsternquadern in Kalkmörtel.

Verwitterungen und Rissbildungen an den Auflagersteinen und im Bruchsteinmauerwerk, besonders am Widerlager A (Seite Leinefelde) erforderten 1957/1958 Instandsetzungsarbeiten. Die Risse wurden vernadelt und ausgepresst, die Sandstein-Auflagequader durch Stahlbeton ersetzt. Der Überbau am Widerlager A wurde hierzu auf Breitflanschprofilen über Holzstempeln auf Schwellenstapel gelagert und eine Langsamfahrstrecke mit 10 km/h eingerichtet. Auch die Auflagerplatten der Überbauten auf den Mittelpfeilern wurden erneuert. Im Lauf der Jahre mussten die Brückenbalken gleichfalls erneuert wer den.

Der Viadukt ist ein bemerkenswertes Bauwerk in der Geschichte der stählernen Eisenbahnbrücken vor 100 Jahren.

Literatur
Fromm: Erfurter Blätter 5/80
Dipl.-Ing. Wilhelm Semper (KDT)