Stand und Fortgang der Staatseisenbahnbauten in der Zeit vom 1. Oktober 1878 bis Ende September 1879 (betreffend die „Kanonenbahn“ im Eichsfeld)
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I. a Bau der Bahn von Berlin nach Wetzlar
Die Bahn ist von Berlin bis Blankenheim dem Anschlußpunkte an die Halle Kasseler Bahn selbstständig ausgeführt, während von Blankenheim bis Leinefelde die Halle Kasseler Bahn mitbenutzt wird. Letztere Strecke ist auf Grund des Gesetzes vom 7. Juni 1876 mit dem zweiten Geleis versehen worden.
Von Leinefelde bis Eschwege und Treysa ist bezw. wird die Bahn zunächst eingleisig weitergeführt und zwar von ersterem Orte bis Dingelstedt in Anschluß an die Gotha Leinefelder Eisenbahn unter Ausbau eines besonderen Geleises. Von Treysa bis Lollar wird die Main Weser Bahn mitbenutzt.
Von der selbstständigen Führung der Linie bereits von Kirchhain ab ist vorläufig abgesehen worden. Von Lollar führt die Bahn eingleisig bis Weylar.
Der Bau der Bahnstrecke Berlin Wetzlar zerfällt in zwei Abschnitte, nämlich in die Theilstrecke Berlin Blankenheim und die Theilstrecke Leinefelde Wetzlar. […]
Leinefelde – Wetzlar
Der Grunderwerb ist innerhalb der ganzen Bahnstrecke derartig geregelt, daß der Fortgang und die Vollendung des Baues in keiner Weise behindert ist. Rückständig sind die gerichtlichen Auslassungen bezüglich des Terrains in der Gemarkung Niederbeisheim. Außerdem schwebt bezüglich eines Theiles des Walkmühlenteiches in der Gemarkung Dingelstädt noch das Enteignungsverfahren. Der Fortgang der Erdarbeiten ist trotz der durch bedeutende Rutschungen, namentlich auf der Strecke Malsfeld – Treysa, bereiteten Schwierigkeiten ein befriedigender gewesen. In der Zeit vom 1. Oktober v. J. bis Ende September d. J. sind auf der Strecke Dingelstädt – Eschwege 1.391.000 cbm und Eschwege – Treysa 835.000 cbm Boden bewegt und eingebaut worden. Es sind damit die Erdarbeiten auf der Strecke Eschwege – Treysa bis auf wenige Ergänzungsarbeiten vollendet, und konnten die Strecken Niederhone – Malsfeld zum 15. Mai d. J. und Malsfeld – Treysa zum 1. August d. J. in Betrieb genommen werden. Die Inbetriebnahme der Strecke Lollar – Wetzlar ist bereits am 15. Oktober v. J. erfolgt. Im Verhältnisse zum Fortgange der Erdarbeiten sind auch die Einfriedigungen zur Ausführung gelangt. Die Leistungen zur Herstellung der Wege-, Unter- und Überführungen sowie der kleineren Brücken betrugen auf der Strecke Dingelstädt – Eschwege 4.020 cbm Mauerwerk, womit die sämtlichen bezüglichen Bauten zur Vollendung gelangt sind.
Für die Ende September v. J. noch unvollendeten vier größeren Bauwerke
- die Unterführung der Gotha-Leinefelder Bahn,
- den Frieda-Viadukt bei Lengenfeld,
- den Frieda-Viadukt bei Frieda und
- die Fuldabrücke bei Malsfeld
blieb in der Zeit vom 1. Oktober v. J. bis ult. September d. J. die Ausführung der Mauerwerksarbeiten übrig, welche in Herstellung von 2.148 cbm Mauerwerk erfolgte. Die eisernen Überbauten sind nur noch in Bezug auf drei Wegeüberführungen in der Teilstrecke Dingelstädt – Eschwege aufzubringen.
Der Fortgang der Tunnelarbeiten war trotz der auch nach dem 1. Oktober v. J. namentlich durch Wasserandrang aufgetretenen Schwierigkeiten ein durchaus befriedigender. Der Küllstedter Tunnel, ursprünglich zu 1.500 m Länge angenommen, ist nach Westen hin um rund 15 m verlängert, um durch Verkürzung des Voreinschnittes eine frühere Fertigstellung der Erdarbeiten zu ermöglichen. An diesem Tunnel wurden in der Zeit vom 1. Oktober 1878 bis dahin 1879 485 lfd. m Vollausbruch und 555 lfd. m Ausmauerung hergestellt, und ist damit dessen Fertigstellung erfolgt.
Am Mühlenberg-Tunnel II sind die am 1. Oktober v. J. rückständig gebliebenen 20 lfd. m Ausbruch und 33 lfd. m Ausmauerung ausgeführt, womit auch dessen Fertigstellung erfolgt ist. Die zur Vollendung des Heiligenberg-Tunnels am 1. Oktober v. J. 34 lfd. m Ausbruch und rückständig gebliebenen 44 lfd. m Ausmauerung sind ebenfalls zur Ausführung gelangt. In der Zeit vom 1. Oktober 1878 bis dahin 1879 wurden hiernach im Ganzen 539 lfd. m Vollausbruch und 632 lfd. m Ausmauerung hergestellt.
Die Ausführung des Oberbaues wurde auf der Strecke Malsfeld – Treysa durch bedeutende Damm- und Einschnittsrutschungen erheblich behindert, so daß die Fertigstellung bei Aufbietung aller Mittel erst Ende Juli d. J. zu erreichen war, während auf der Teilstrecke Niederhone – Malsfeld die Vollendung des Oberbaues bereits im April d. J. erfolgte.
Auf der Strecke Leinefelde – Eschwege wurde der Oberbau auf 17,85 km verlegt und auf der von 18,83 km Länge die Packlage soweit aufgebracht, als der Stand der Erdarbeiten es gestattete. Mit dem Verlegen des Oberbaues auf dieser Reststrecke wird Mitte Oktober d. J. begonnen, und diese Arbeit – die definitiven Anschlußgeleise an die Gotha–Leinefelder Bahn ausgenommen, statt deren vorübergehend ein provisorischer Einlauf hergestellt werden soll – wird zeitig zur Fertigstellung gelangen, so daß die Eröffnung des letzten, noch nicht eröffneten Schlußstückes der Berlin–Wetzlarer Bahn auf der Strecke Dingelstädt – Eschwege zum 15. Mai 1880 erfolgen kann.
Die in der vorjährigen Übersicht als im Bau begriffen bezeichneten Bahnhofshochbauten der Strecke Dingelstädt – Eschwege sind planmäßig weitergeführt worden und auf dem Bahnhof Schwebda vollständig, auf den Bahnhöfen Dingelstädt, Küllstedt und Geismar bis auf Teile des inneren Ausbaues hergestellt.
Die Beschaffung der Betriebsmittel ist erfolgt. Werden hiernach die Gesamtleistungen auf sämtlichen, auch den bereits dem Betriebe übergebenen Teilstrecken des Abschnittes Leinefelde – Wetzlar der Berlin–Wetzlarer Bahn rekapituliert, so ergibt sich bezüglich der Erdarbeiten eine Gesamtleistung von 11.255.000 cbm oder rund 111 % der zu rund 10.115.000 cbm veranschlagten Massen.
Die Mehrarbeit ist durch die innerhalb der Strecke Malsfeld – Treysa aufgetretenen Damm- und Einschnittsrutschungen veranlaßt, deren Einfluß auch z. B. noch nicht als vollständig behoben angesehen werden kann. Die Brückenarbeiten sind, mit Ausschluß ganz unwesentlicher Restarbeiten, fertiggestellt. Bei den Tunnelbauten restiert nur noch die Vollendung einiger Portale. Zur Fertigstellung des Oberbaues bedarf es noch der Ausbringung der Packlage auf einem Teile der Strecke Küllstedter Tunnel – Leinefelde und des Verlegens des Oberbaues auf 18,83 km Bahnlänge.
Das Oberbaumaterial ist beschafft, und über die Herstellung des Oberbaues selbst ist derartig disponiert, daß die Vollendung desselben bis zur Gotha–Leinefelder Bahn thunlichst mit Ende dieses Jahres erfolgen wird. Die Herstellung des zweiten Gleises auf der Gotha–Leinefelder Bahn bewirkt die Thüringische Eisenbahngesellschaft nach mit derselben getroffenem Abkommen spätestens bis zum 1. Mai 1880.
Die Ausgaben für die Strecke Leinefelde – Wetzlar Ende September v. J. 35.144.650 M.
In der Zeit vom 1. Oktober v. J. bis Ende d. J. sind weiter verausgabt worden 10.555.340 M.
Mithin belaufen sich die Ausgaben bis Ende d. J. auf 45.699.990 M belaufen.
Das für die Bahn von Berlin nach Wetzlar bewilligte Baukapital beträgt 152.250.000 M. Außer den davon nach dem Vorstehenden bis Ende September d. J. im Ganzen verausgabten 91.326.932 M sind daraus bestritten worden: 28.500.000 M gemäß des Gesetzes vom 7. Juni 1876 (Gesetzsamml. S. 154) für den Ankauf der Halle-Kasseler Bahn und 9.000.000 M gemäß des Gesetzes vom 20. März 1874 (Gesetzsamml. S. 111) für die Berliner Stadteisenbahn. Die Gesamtausgabe beläuft sich somit bis Ende September d. J. auf 128.826.932 M.
Hauptsächlich durch den Fortfall des Baues der Strecke von Kirchhain bis Lollar und die vorläufige Beschränkung auf den Bau nur eines Gleises auf der Strecke Dingelstädt – Niederhone wird voraussichtlich ein erheblicher Teil der bewilligten Mittel nicht zur Verwendung kommen. Mit Sicherheit sind schon jetzt 8.400.000 M als entbehrlich anzusehen. […]
Quelle: Haus der Abgeordneten. Stenographische Berichte 1880.
Berlin, den 31. Oktober 1879, S. 548 – 552.