Sommer

Was im Blütenschoße des Frühlings geboren wurde, hat die Sonne in ihre Obhut genommen und weiter gebildet. Viele unserer einheimischen Frühlingsblumen haben zwar nun, nachdem sie Aug’ und Herz des Menschen erfreut, ihre Kelche wieder geschlossen. Ihre Blütendolden sind sterbend wieder versunken in Nichts. Von der Blüte im jungen Frühling zum Sterben, das ist ja die Bestimmung dieser lieblichen Blumenkinder. Es ist ihre Aufgabe, das Menschenherz zu erfreuen, die holde Frühlingsnatur zu schmücken. Haben sie diesen Zweck erfüllt, dann ist ihre Zeit um und sie müssen fallen.

Anders ist es um die blütenbeladenen Obstbäume, um die Reben und Getreidefelder. Sie blühen, um Früchte zu bringen. Längst sind auch da die Blüten vergangen. Aber nicht gleich unerfüllten Wünschen sind sie alle zu Boden gesunken. Viele haben zur ernteverheißenden Fruchtbildung angesetzt. Von der Blüte zur Frucht ist ein weiter Weg – oder ein kurzer – wie wir es nehmen wollen. Aber er geht durch Sturm und Regenschauern und sengende Sommersonne. Doch was immer auf diesem Wege standhält, das trägt die Hoffnung in sich auf Reife und Erntezeit. – Geht einer, der sorgend den Samen ausstreute hinaus in den heißen Sommertag und lässt seinen Blick schweifen über die wogenden Felder, dem schlägt nun das Herz höher. Er steht und weiß es: Es war nicht umsonst sein Mühen und Ringen – und stille Hoffnung senkt sich ihm ins Herz auf den Erntetag - und wird ihm erster Lohn. Es ist Sommer. Er schätzt und wägt, was ihm die Ernte bringen mag.

Es ist Sommer. Jeder Tag muss ja nun weiter entwickeln und üppiger und voller werden lassen die angesetzten Ähren. So ist's in der Natur und so soll – sollte es im Menschenleben und um selber sein. Uns, die wir nun eben auch vielleicht im Sommer des Lebens stehen, geht es wohl an. – Wünsche, die in uns aufblühten im Lebensfrühling, sind unerfüllt versunken, gleich den verdorrten kleinen Frühlingsblumen in Feld, Wald und Garten. Es waren vielleicht Wünsche darunter, die so brennend waren und begehrend wie rotblühende Rosen und so heiß wie glutige Sommersonne. Aber sie fielen dorrend ab - und es war vielleicht gut so, denn sie hätten keine gute Ernte gebracht.

Aber einen großen Wunsch hegen wir noch, brennend und heiß, den Wunsch, aus unserer Rot- und Tränensaat zu ernten. Und gab es der Wünsche auch viele – und haben wir einen um den anderen still begraben, einer bleibt – der Wunsch nach dem Erntelohn aus des Ewigen gerechter und gütiger Hand. Vergessen wir nicht, ihn jeden Tag neu zu nähren mit Erntehoffnung. Mag die Sonne sengen und brennen, es hat sein Gutes. Es muss und wird der Tag kommen, wo wir reif sind zur Mahd und Ernte. – Zur Mahd – wir denken an den gewaltigen Schnitter Tod – und erschrecken. Aber doch – es muss ja so sein. Was reif ist, muss fallen und ohne Mahd – keine Ernte. Und noch weiter: ohne Saat – keine Mahd.

Es ist Sommer. Lasst uns hinausgehen und hören, was die wogenden Felder predigen. – Der dort säte, der war ein kluger Mann. Weil er reichlich säte, hat er nun die Hoffnung, reichlich zu ernten. – Wie aber, wenn einer, der auf uns seine Erntehoffnung gesetzt, jetzt im Sommertag käme, im Sommertag unseres Lebens und er schätzte und wägte? – Sind wir reifer geworden in unserer Ersinnung, in unseren Wünschen und Wollen. – Oder sind wir verdorrt in der sengenden Glut der Alltagssorgen, gebrochen im Sturm, ertrunken in Regenflut? ... Es ist schon Sommer – und bald ist Herbst. Dann muss allen fallen, Reifes und Unreifes ...