Sitte, Brauchtum und Alltag unserer Vorfahren

Weiße Trauerkleider betreffend
Nach Angaben der heute noch lebenden Einwohnerinnen Magdalena Richardt und Katharina Döring muss wohl der Übergang zur schwarzen
Frauenkleidung nur allmählich zwischen 1865 und 1880 gekommen sein. Weiße Umschlagtücher, Trelche genannt, befinden sich noch heute in mehreren Familien in Lengenfeld als Andenken. Die Tragart dieser weißen Tücher findet man abgebildet • im Eichsfelder Heimatbuch auf Seite 141. Es waren rechteckige Tücher, die um die Schultern gelegt wurden und deren Enden bis fast auf die Füße reichten.

Über Sichel und Sense
Nach Mitteilungen der älteren Mäher aus der Familie Witzel aus Lengenfeld wurde 1872 noch der größte
Teil der Frucht mit der Sichel geschnitten. Von da ab kamen die Sensen auch erst allmählich in den Gebrauch.

Frühstück und Einführung der Kaffeebohnen
Der Heimatfreund Herr Heinrich Richwien sagte aus, dass z. B. die Morgenmehlspeisen, welche auch Schlichte genannt wurden, noch um 1915 an der Bergstraße täglich eingenommen wurden. Desgleichen teilt der Heimatfreund Herr Rektor A. Fick mit, dass er ebenfalls dieses in Wesel am Niederrhein feststellen konnte. Bei Armen wurden diese Mehlspeisen mit Wasser und bei den Reichen mit Milch zubereitet. So war es wohl auch auf dem Eichsfelde. Nur dass dieses schon früher aufgehört hatte. Hier auf dem Eichsfelde war es um 1880 nicht mehr üblich, hatte aber vorher bestanden. Sie wurde um diese Zeit abgelöst durch ein Kaffeesurrogat, Zichorie genannt. Man Kaufte dieses später in Packungen bei den Kaufleuten, und mancher alter Lengenfelder hat wohl bei Hansmertens und im Kaiser-Kaffee-Geschäft ein Päckchen Dietschen gekauft. Frau Schwehr, geborene Steinwachs, zog als 13jähriges Mädchen mit ihren Eltern nach Ostfriesland. In der Schulzeit in Lengenfeld brachte ihre Mutter, welche auf den Handel ging, die ersten' Kaffeebohnen mit nach Lengenfeld. Sie selbst habe sie abgezählt zu zehn und zwanzig Stück und so den Nachbarn gebracht als ein Geschenk von auswärts, wie man etwa Kindern heute noch Bonbons mitbringt. Frau Schwehr wurde 1865 geboren; so wäre der Kaffee um 1875 herum allmählich eingeführt.

Fußreisen
Heimatfreund Heinrich Richwien schilderte die früheren Fußreisen folgendermaßen:
Als es noch keine Eisenbahn gab, zogen alljährlich die Wollbearbeiter und Hausierer in die Fremde, um ihr Brot zu verdienen. Die Reisen wurden zu Fuß mit dem Schubkarren, worauf das Kammzeug und das Spinnrad mitgeführt wurden, gemacht. Der Mann kämmte die Wolle, und die Frau musste sie spinnen. Manche Väter nahmen auch ihre Kinder mit. Am Tage wurden ungefähr 35 Kilometer marschiert. Übernachtet wurde vielfach in Scheunen auf Stroh. Besser waren die Hausierer dran, die mit Pferd und Wagen loszogen. Andere trugen ihre Waren mit dem Reff auf dem Rücken. So wurden 200 bis 300 Kilometer zurückgelegt. Hausierer übernachteten meistens in Gastwirtschaften. Die Wollkämmerer erhielten bei den Bauern, wo sie die Wolle bearbeiteten, Unterkunft und Verpflegung. Als die Eisenbahn aufgekommen war, ging man nur noch bis Göttingen, Kassel usw. und fuhr dann bis an das Reiseziel.

Der Transport des Frauenstein
Die Heimatfreunde Peter Hahn und Schuhmachermeister August Fuchs erzählten uns auf diese Frage (den „Frauenstein“ in Lengenfeld betreffend) übereinstimmend Folgendes:
Ihre Großväter, welche in der Zeit zwischen 1840 bis 1880 lebten, hätten ihnen über den Frauenstein erzählt, dass anlässlich des noch damaligen primitiven Weges von Lengenfeld u. Stein nach Geismar der Frauenstein links bei der Frauenhecke gestanden habe. In den Jahren zwischen 1866 und 1868 sei dieser Weg verbreitert und auch chaussiert worden. Hierbei sei das an der linken Seite gestandene Frauengrab entfernt worden. Darunter habe man ein menschliches Skelett gefunden, bei dessen Anblick hätten die Pferde der spanndienstleistenden Bauern gescheut. Man musste erst wieder die Gebeine eingraben und bedecken. Dann erst seien die Pferde wieder ruhig geworden, und das Anziehen der beladenen Wagen konnte weitergehen. Bei dieser Gelegenheit hätten auch die Bauern die Steine des Frauengrabes ins Dorf überführt und in der Keudelsgasse Haus Höppner als Trittstein bzw. im Mitteldorf im Hause Lorenz im Fundament Verwendung gefunden. Die große Wurfkugel befindet sich noch heute in dem Gehöft des Schuhmachermeisters Heinrich Fischer, die zwei kleineren in dem alten Haus an der Hauptstraße des Photographen Heinrich Hardegen.

Josef Menge und Heinrich Richwien
(Quelle: "Lengenfelder Echo", Nr. 1/1958)