Schlachten in alter Zeit (1952)
Als in einem eichsfeldischen Dorfe einmal der Schulmeister nach den höchsten Festtagen des Jahres gefragt hat, ist ein Junge aufgestanden und hat gesagt: „Ostern, Pfingsten und Weihnachten und der Tag, an dem wir schlachten.“ Dieses Wort lässt die Bedeutung des Schlachtens in damaliger Zeit ahnen. Bei den weit geringeren Ernteerträgen im Vergleich zu heute und dem daraus herrührenden Mangel an Futtermitteln war von einer eigentlichen Mast der Schweine keine Rede, sodass Schlachtschweine von 150 Pfund Lebendgewicht eine Höchstleistung darstellten und die Speckseiten entsprechend dünn waren. Mit dem Ertrag eines Schlachtfestes als überragendem und gehaltreichstem Anteil am Zubrot für den Jahresbedarf einer großen Familie, konnten daher keine großen Sprünge gemacht werden. Um 1870 wurden im ganzen Dorfe jährlich nur etwa 80 Schweine geschlachtet. Die Lebenshaltung war weit bescheidener als in unserer Zeit. Als Heppensems einmal ein Schwein von 2 Zentnern geschlachtet hatten, bildete dieser beispiellose Fall das Tagesgespräch.
Namen und Herstellungsart der heimischen Wurstarten haben sich bis auf den heutigen Tag behauptet: Feldgieker, oder Kälberblasen, Mitteldärmen und Fetthäute, Schweins- und Zitteldärme, Garwürste und Hirnwürste und wie sie sonst noch heißen mögen, haben schon manches Herz entzückt und manchen Gaumen gelabt. In den Schaufenstern der feinen Delikatessengeschäfte unserer Großstädte ist unter den Spitzenerzeugnissen der deutschen Fleischwarenerzeugung der Eichsfelder Feldgieker zu sehen.
Gleich nach dem Schlachten wird – zum Unterschied von anderen Gegenden – das Schwein warm verwurstet. Majoran und Branntwein, in dem Knoblauch ausgelaugt wurde, dem Gehackten als Würze beigemischt, erzeugen den delikaten Geschmack, der an der Eichsfelder Wurst so sehr geschätzt wird. Den Nabel des geschlachteten Schweines hängt man an die Außenwand des Stalles.
Eine lange, mühselige Arbeit war das Zerkleinern des Fleisches zum Met für die Würste, das nicht durch den Fleischwolf gedreht, sondern von mehreren Personen mit kreuzweise konstruierten Stoßhackemessern auf einem großen Hackklotz von etwa 85 cm Durchmesser besorgt wurde. Für diese Arbeit und zum Wurstbinden wurden die nächsten Verwandten zu Hilfe geholt. Zum Frühstück gab es Kesselfleisch, Kochkäse, Branntwein und den letzten alten, vorjährigen Feldgieker zum Maßnehmen für die neuen, wie es scherzhafterweise hieß. Gegen Abend stellten sich arme Leute oder deren Kinder ein, um Wurstsuppe zu holen. Das war die fette Brühe (Fiestbrij), in der die Garwürste gekocht worden waren. Je nach den Beziehungen zu der heischenden Familie fiel der Fettgehalt der „Werschtebrij“ mehr oder weniger zufriedenstellend aus. Kleineren Jungen, die Anspruch darauf hatten, maß der Metzger eine kleine Wurst an, indem er ein paar Finger in die Mulde mit Blut tauchte und ihnen damit über die Backen fuhr. Er selber bekam nach getaner Arbeit ein kleines Deputat in Form einer Wurst.
Abends fand ein der Bedeutung des Tages angemessenes Mahl statt, an dem die Geschwister mit ihren Ehehälften, die meist schon beim Schlachten geholfen hatten, teilnahmen. Fette Wurstesuppe, gebratene Gehacktesklöße, fettriefender Schlachtekohl mit Fleisch in Hülle und Fülle bildeten die Gänge. Dazu kamen noch Kaffee, Kuchen und Branntwein, die überhaupt bei keiner Feier fehlen durften.
Anton Fick
(Quelle: „Das Dorf entlang. Beiträge zur Volkskunde eines eichsfeldischen Dorfes“, Berge, Kreis Meschede, 1952)