Notizen zur Entwicklung des Fleischerhandwerks in Lengenfeld unterm Stein (1619 – 2022)

1619
1 Pfund Kalbfleisch kostet in Lengenfeld 6 Pfennige. Die Zahl der Bauern ist nicht groß, doch besitzen die meisten Einwohner noch einige Acker Landes, sodass der Jahresbedarf an Brot, Speck und Wurst durch eigene Erzeugung gedeckt werden kann.


1710
Der Gemeindeschenkwirt besitzt das alleinige Recht, „für den Verkauf“ zu schlachten, dafür musst er ebenfalls 1 Thaler an Steuern dem Amt Bischofstein zahlen.


1805
In diesem Jahr werden im Ganzen drei Metzger in Lengenfeld erwähnt, die sich verpflichtet haben, die von Preußen erhobene Schlachtsteuer für das „Stück Schlachtvieh“ zu zahlen.


1836
In Lengenfeld existiert ein ortsansässiger Fleischer. Viehstand in Lengenfeld: 60 Pferde, 154 Rindvieh, 534 Schafe, 88 Ziegen, 104 Schweine, etwas Fischerei (Forellen).


1849
Jakob Lorenz gründet die Gaststätte und Fleischerei „Zum weißen Roß“ im Lengenfelder Oberland.


1850
Bis um die Zeit von 1850 war morgens zum ersten Frühstück noch kein Kaffee üblich. Stattdessen
wurde eine Mehlsuppe genossen. Um 9 Uhr gab es Frühstück mit Kochkäse oder Quark, zuweilen auch Wurst, mittags steife Gemüsesuppe. Das Vesperbrot wurde mit Käse oder Fett (Schmalz) verzehrt. Zum Abendbrot folgten Bratkartoffeln mir saurer Mich oder aufgesottene Kartoffeln mit Tunkwerk. Ein 1 Kilo Schweinefleisch kostet 97 Pfennige.


1870
Um 1870 wurden im ganzen Dorfe jährlich nur etwa 80 Schweine geschlachtet. Die Lebenshaltung war weit bescheidener als in unserer Zeit. Bei den weit geringeren Ernteerträgen im Vergleich zu heute und dem daraus herrührenden Mangel an Futtermitteln war von einer eigentlichen Mast der Schweine keine Rede, sodass Schlachtschweine von 150 Pfund Lebendgewicht eine Höchstleistung darstellten und die Speckseiten entsprechend dünn waren. Mit dem Ertrag eines Schlachtfestes als überragendem und gehaltreichstem Anteil am Zubrot für den Jahresbedarf einer großen Familie, konnten daher keine großen Sprünge gemacht werden.


1875 – 1880
Während der Errichtung der Berlin-Coblenzer-Eisenbahn (BCE), im Volksmund „Kanonenbahn“ genannt, sind viele fremde Arbeiter in Lengenfeld beschäftigt, vor allem Italiener. Fleisch ist in dieser Zeit Mangelware und wird zunehmend knapp im Dorf. Zusätzliches Fleisch muss deshalb aus Geismar beschafft werden.


1880
In den 1880er Jahren bekommen die Kinder armer Leute das ganze Jahr kein Wurstbrot mit in die Schule. Nicht einmal am „Fetten Donnerstag“ wird eine Ausnahme gemacht. An diesem Tage gibt es Musbrot. Bezeichnend für die sozialen Verhältnisse jener Zeit ist die volkstümliche Redensart: „Manche wischen mee Fatt vum Müle ob wie annr Liete ninn krien.“


1900
Ein 1 Kilo Schweinefleisch kostet 154 Pfennige.


1919
Als Fleischer werden in Lengenfeld genannt: Joseph Fick, Jakob Lorenz und Peter Lorenz. Die Butter- und Margarineausgabe ist durch die Gemeindeschänke, die Fettausgabe durch den Fleischer Joseph Fick, Jakob Lorenz und Peter Hahn zu realisieren.


1933
Laut einer Meldung in der Tageszeitung „Eichsfeldia“ beabsichtigt der Lengenfelder Fleischermeister Konrad Hagemann, ein Schlachthaus zu errichten. 1936 kauft er ein Grundstück von Edmund Hahn im Lengenfelder Mitteldorf, in dem bis 1914 eine Postdienststelle untergebracht war.


1938
Lengenfeld zählt fünf Fleischereien, wozu sicherlich auch die Gasthöfe gerechnet wurden. Folgende Einrichtungen und namhafte Adressen existieren im Ort: „Hotel zum Bahnhof“, „Deutsches Haus“, „Eichsfelder Hof“, „Gemeindeschenke“, „Weißes Roß“.


1949
Im Gründungsjahr der DDR gibt es die notwendigsten Grundnahrungsmittel und Industriewaren auf der Grundlage von sogenannten Punktkarten und Bezugsscheinen. Die durchschnittliche Tagesration an Lebensmitteln beträgt neben 400 g Brot, 30 g Fett, 50 g Zucker auch 50 g Fleisch. Im Jahre 1985 beträgt die Tagesration bei Fleisch bereits 250 g im Durchschnitt.
In den Folgejahren der DDR werden die privat geführten Fleischereien in sogenannte volkseigene Betriebe (VEB) umstrukturiert und verkaufen ihre Waren fortan als „Konsum“. In der Umgangssprache der DDR wird der Begriff „Konsum“ oft allgemein für Lebensmittelgeschäfte verwendet. Ursprünglich und offiziell gilt dieser Name jedoch nur für die Verkaufsstellen dieser Genossenschaft. Gelegentlich wird der Begriff „Konsum“ vor allem im ländlichen Raum auf andere kleine Geschäfte dieser Art übertragen (ugs. „Dorfkonsum“).


1950
Konrad Hagemann übergibt seine Fleischerei an Hermann Hagemann, der seine Meisterprüfung im Fleischerhandwerk zuvor am 20. und 21.09.1949 in Weimar abgelegt und bestanden hatte.


1955
In diesem Jahr beträgt der Pro-Kopf-Verbrauch an Fleisch- und Wurstwaren 45,0 kg.


1958
Die Fleischerei Hagemann wird als Betrieb von der Konsumgesellschaft Mühlhausen als neuem Pächter übernommen.


1964
In Lengenfeld existieren zwei Konsum-Verkaufsstellen speziell für Fleisch- und Wurstwaren. Beide befinden sich in der Hauptstraße (im Mitteldorf: Hagemann, im Oberland: Lorenz).


1972
Ein Pfund Rindfleisch kostet etwa 5 Mark und Schweinefleisch 3,50 Mark.


1977
Im Gegensatz zu den privaten Bäckern gibt es Fleisch nur über den Konsum. Jede Woche trifft eine Lieferung von Fleisch aus Mühlhausen ein. Der Durchschnittspreis für ein Pfund Fleisch liegt bei ca. 5 Mark.


1979
Es existiert ein Konsum für Fleisch- und Wurstwaren in der Hauptstraße, Mitteldorf (ehemals Hagemann).


1982
In diesem Jahr beträgt der Pro-Kopf-Verbrauch an Fleisch- und Wurstwaren 91,0 kg (was einer Verdopplung zum Jahre 1955 entspricht).


1989
Im November 1989 – als Folge der politischen Wende in Deutschland – wird der ursprünglich familiäre Betrieb der Familie Hagemann wieder zur privaten Fleischerei unter der Leitung von Benno Hagemann, der am 25.09.1993 seine Meisterprüfung als Fleischer ablegt. Gemeinsam mit seiner Frau Christine führt Benno Hagemann die Fleischerei viele Jahre erfolgreich weiter.


1990
Wiedereröffnung der Fleischerei Lorenz am 7. Dezember 1990 mit einem Ladengeschäft in der Lengenfelder Hauptstraße 109 unter Leitung von Georg Lorenz.


2013
Marco Lorenz übernimmt die Leitung der familieneigenen Fleischerei von seinem Vater Georg Lorenz.


2015
Die traditionsreiche Fleischerei Hagemann schließt ihr Ladengeschäft zum Ende dieses Jahres.


2022
Die letzte Lengenfelder Fleischerei der Familie Lorenz im Oberland stellt ihren Betrieb zum Jahresende ein.


Oliver Krebs, Ortschronist
im Februar 2022


Nachtrag
Die hier zusammengestellten Daten und Fakten erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Vielmehr wurde der Versuch unternommen, die vereinzelten Erwähnungen zur Entwicklung der Fleischerhandwerks in Lengenfeld unterm Stein anhand von Ortschroniken, historischen Zeitungsmeldungen und heimatgeschichtlichen Aufsätzen zu vereinen. Überdies stellten die Fleischer-Familien Hagemann und Lorenz Aufzeichnungen und Bildmaterial zu Verfügung, wofür ihnen an dieser Stelle herzlich gedankt sei.
Sollten Sie im Besitz weiterer Informationen zur Entwicklung der Fleischindustrie in Lengenfeld unterm Stein sein (Texte und Fotos), so wenden Sie sich gerne den Ortschronisten oder die Gemeindeverwaltung.