Naturnahe Bachgestaltung (2002)
Die Einstellung zu unseren Fließgewässern war in der Geschichte der Menschheit vielfältigen Schwankungen unterworfen. Leonardo da Vinci verglich die Flüsse mit den Adern des menschlichen Körpers, in denen das Wasser gleich dem Blute die Erde durchzieht.
Abwassertechnokraten der Neuzeit degradierten die Bäche zu „Vorflutern“, deren Hauptaufgabe darin bestand, als Verlängerung der Abwasserrohre den Schmutz der Zivilisation und das störende Hochwasser möglichst schnell und schadlos für den Menschen abzuführen. Heute können und wollen wir nicht in die Zeiten zurückkehren, in denen Bäche und Flüsse frei schlängelnd die Talauen durchzogen und nach jedem Hochwasser ein neues Bett gruben. Die Auen sind zu dicht besiedelt. Dennoch täte unseren Gewässern ein Hauch der Einstellung gut, die in den Naturbeschreibungen Leonardo da Vinci zu finden ist.
Bäche und kleinere Flüsse waren vor der mittelalterlichen Rodung in Wälder eingebettet. An heute noch naturnahen Bächen befinden sich als vorherrschende Baumarten Schwarzerlen, Pappeln und verschiedene Weidenarten. Die Wurzeln dieser Arten, insbesondere der Erle, schließen Uferabbrüche nahezu aus.
Man erkennt deutlich, dass „Saum-Lebensräume“ mit einer üppigen Artenvielfalt ausgestattet sind. Dies gilt sowohl für den Grenzsaum zwischen Wald und Feld als auch zwischen Wasser und Land. Man findet hier nicht nur Arten, die an das Leben im Wasser oder auf dem Land angepasst sind, sondern auch Arten, die auf beide Lebensräume angewiesen sind. Besonders auffällig wird die Abhängigkeit vieler Amphibien, die es
immer wieder an den Ort ihrer Geburt treibt, selbst wenn das Gewässer nicht mehr existiert. Ein Beispiel hierfür war eine FeuersalamanderGruppe, die lange Zeit um die Pfarrei lebte. Nach Verrohrung der Quelle am Gedeplatz und Abwassereinleitungen konnte sich die Art jahrzehntelang nicht mehr vermehren. Das endgültige Aus kam mit der Neugestaltung des ehemaligen Wäldchens zwischen Pfarrei und Kirchberg. Bei den Bauarbeiten wurden die letzten Exemplare beobachtet, die vermutlich 40 Jahre – so alt kann diese Tierart werden – Dorfentwicklung miterlebten.
Neuerdings wächst die Bereitschaft, außer abflusstechnischen Fragen auch die Lebensbedingungen für Pflanze und Tier am und im Wasser zu berücksichtigen. So werden nicht nur Ausbaumaßnahmen, Versiegelungen und Abwassereinleitungen zurückgefahren, sondern auch versucht, die Bäche in eine naturnahe Form umzuwandeln. Dies spiegelt sich in neuen Wassergesetzen und Richtlinien, Anleitungen und Merkblättern zu naturnahem Wasserbau wider.
Ängste vor Wanderratteninvasionen durch Gewässerbegrünung sind nicht begründet, denn diese Tiere sind Allesfresser und halten sich vielmehr in unseren Abwasserleitungen und Scheunen auf, wo das Nahrungsangebot mancherorts durch Küchenabfälle und Futterreste hervorragend ist.
Dr. Christian Wehenkel
(Quelle: „Lengenfelder Echo“, Juni-Ausgabe 2002, S. 12)