Letzter Besuch in Bischofstein (1943/1944)

1943: Kurz vor den großen Bombenangriffen auf Hamburg traf ich mich dort mit Geo Neuenroth. Ich studierte in der Hansestadt und er hatte Urlaub, da sein Kahn ins Dock ging. So schlief er die Nacht über bei mir auf der Bude, und am folgenden Tag trafen wir uns bei Peter Friedburg und verbrachten dort einen feucht-fröhlichen Abend. Da die Semesterferien bald darauf begannen, verabredete ich mich mit Geo zu einem Besuch bei Ripke. Bei Geo in Sooden wurde es erst einmal eine frohe Feier. Vater Neuenroth opferte seine eisernen Bestände an Wein und Kognac; wie aus alten Fotos ersichtlich, war es eine stattliche Batterie. Geo war für die Damen zuständig, ich hatte mich selbst mitgebracht. Wir hatten alle schwere Schlagseite, brachten aber beide unsere Damen mit Anstand nach Hause. Nachdem wir sie in Allendorf abgeliefert hatten, trafen wir uns an dem schönen alten Marktbrunnen und tauchten unsere Köpfe tief in das kühle Nass. Uff, und morgen sollte es pünktlich nach Lengenfeld gehen. – Im glutheißen „Eichsfeld-Expreß“ hing uns die Zunge trocken im Halse. In Lengenfeld angekommen, stürzten wir gleich zu Vater Rautz in die Gastwirtschaft und schrien verzweifelt nach Bier. Aber es gab keinen Tropfen, nicht einmal wässrige Limonade, -alles war ausgegangen. So nahmen wir erstmal ein Zimmer bei ihm und machten uns besuchsfein. Geo meinte allen Ernstes, wir müssten bei Ripke mit Krawatte erscheinen. Also wurde trotz tropischer Hitze noch ein Binder umgewürgt, und wir trabten den Schlossberg hinan. Freudig wurden wir von Ripke begrüßt. Er war im leichten Tennisdress, und schnell verschwanden unsere Krawatten in der Tasche. Auch gegen den gröbsten Durst gab es gleich Abhilfe. Dann aber kam der Keulenschlag: „Fein, dass Ihr kommt. Gegen Abend müssen wir noch die Garben auf dem Feld umstellen.« Und das taten wir denn auch, so hundemüde wir nach der durchzechten Nacht waren. Zum Glück waren auch Herr Bogen und einige andere Gäste da, die unser Schicksal teilten. Gar nicht davon zu reden, dass wir zwei herrliche Tage in einer kleinen intimen Bischofsteiner Gemeinschaft erleben konnten.

1944: Ich war zum Studium nach München gewechselt und traf dort Peter Marschhausen. Er hatte nach einer Verwundung im Lazarett gelegen, wurde nun ambulant versorgt und studierte dort gleichfalls. In den Sommersemesterferien fuhr er zu seinen Eltern nach Wernigerode und ich zu Verwandten nach Salzwedel. Wir hatten uns bei ihm verabredet zu einer gemeinsamen Fahrt nach Bischofstein. Da es mit dem Zug schon recht schwierig war, wollten wir es mit den Fahrrädern schaffen. Auf der Anreise nach Wernigerode besuchte ich Herrn Bogen und Familie Knopf in Weferlingen, beide waren an der dortigen Heimschule tätig. In Wernigerode empfahl uns Oberst Marschhausen, angesichts der sommerlichen Hitze doch gleich abends zu unserer Eichsfeldtour zu starten. Gesagt, getan, gegen 20:30 Uhr radelten wir los. Peter, der ja den Oberkörper und den rechten Arm in Gips hatte, konnte nur mit der linken Hand sein Rad lenken. Ich hatte kein Licht und fuhr immer etwas hinter ihm her. An einem kleinen Harzbächlein hielten wir unsere Abendvesper, und dann ging es die Nacht durch quer über den Harz. Es war einfach traumhaft schön; in der lauen Nacht durch die dichten dunklen Tannenwälder zu fahren. Gegen Mitternacht ruhten wir kurz auf einer Höhe. Ein älterer Landjäger, der erste Mensch, dem wir in dieser Nacht begegneten, stieg vom Dienstrad und überprüfte unsere Ausweise. Sie hielten seiner Begutachtung stand, und wir setzten jeder unseren Weg fort. Endlich hatten wir die südlichen Hänge erreicht, und unsere Räder sausten die Berge gegen Ihlfeld­Sangerhausen hinab. Wir saßen auf unseren Drahteseln und genossen die sausende, nächtliche Abfahrt. Bis mich dann eine Panne direkt am Ventil erwischte. Wir mussten flicken und nach kurzer Zeit abermals flicken. Der Flecken wollte an dieser dämlichen Ventilstelle einfach nicht halten. Nun endlich hatten wir es doch geschafft, aber so viel Zeit verloren, dass wir nun doch in die Mittagshitze kamen. Zum Schluss zuckelten wir schwitzend und fluchend die Eichsfelder Hänge hinan. Endlich der Mühe Lohn: wir rollten durch das große Tor in den Schlosshof unseres geliebten Bischofstein ein. Ripke schickte uns gleich zum neuen Schulleiter, damit wir uns ihm vorstellen und um die Erlaubnis bitten konnten, in einer der in den Ferien leeren Schülerbuden nächtigen zu dürfen. Der neue Mann wohnte im Prunkzimmer, empfing uns recht frostig und lehnte unser Gesuch glatt ab. Doch sofort fanden Ripkes und Frau Mund eine Lösung: auf Feldbetten schliefen wir oben auf dem Getreideboden des Alten Schlosses ganz herrlich. Ja, das war mein letzter Besuch in Bischofstein und das letzte wunderbare Zusammensein mit Ripk und Siepk.

Ralph Pohlenz (1938-1941)
(Schüler der Internatsschule Schloss Bischofstein von 1938-1941)
(Quelle: „Bischofsteiner Rundschreiben“, Weihnachten 1988, S. 17-18)