Letzte Warnzeichen vom historischen Viadukt
Bürgermeister kämpft für Erhalt der Bahnstrecke: „Weitblick und Konzept fehlt“. Studie misst Kanonenbahn touristische Bedeutung bei.
Samstags und sonntags sind die alten Wagons voll mit staunenden Ausflüglern. Mit Kind und Kegel geht‘s über Brücken, durch Tunnel und als Höhepunkt der Fahrt tuckert die Lokomotive über den Dächern Lengenfelds – auf dem berühmten Viadukt. Die Rede ist von der Kanonenbahn zwischen Leinefelde und Geismar. Einer Strecke voller Reize – und voller Probleme.
Denn Ende Juni verkündete die Reichsbahndirektion Erfurt, man werde nun das Stilllegungsverfahren einleiten (das Tageblatt berichtete). Lengenfelds Bürgermeister Hans-Georg Hildebrand ist erstaunt über das Vorgehen der Reichsbahn:
„Ich erfuhr erst über einen Presseartikel von der Entscheidung, der Gemeinde liegt bislang immer noch keine Stellungnahme oder Begründung der Bahn vor.“ Hildebrand vermisst bei den verantwortlichen Eisenbahnern den Willen, gemeinsam mit den Kreisen und Kommunen nach Alternativmöglichkeiten die Kanonenbahn zu suchen. Stattdessen präsentiere man der Öffentlichkeit die nackten Zahlen, die vordergründig klar gegen den Weiteren Betrieb sprächen. „60 Millionen Mark Investitionen stehen Einnahmen von 110.000 Mark entgegen, sagt die Bahn – aber wollen die denn die gesamte Strecke neu bauen?“
Forscher warnen vor Folgen
Die Suche nach Alternativmöglichkeiten fordert nicht nur Hildebrand. Auch die Forschungsgruppe HLT aus Kassel räumt der Strecke in ihrem „Entwicklungskonzept Heiligenstadt – Worbis“ große Bedeutung für den Fremdenverkehr ein. Die Forscher warnen vor einer Betriebsstilllegung und empfehlen, „vorher alle absehbaren Folgen und unerwünschten Entwicklungsimpulse zu prüfen.“ Die Entwicklung der Region werde stark vom Tourismus abhängen, also auch von ihren landschaftlichen Attraktionen und der Verkehrsstruktur.
In Kürze werden nun die Kreise und Gemeinden um eine Stellungnahme zu der drohenden Stilllegung gebeten. Und sie sollen Vorschläge machen, wie eine andersartige Finanzierung oder Trägerschaft aussehen könnte. Hans-Georg Hildebrand sieht hier seine Gemeinde an der Grenze des Machbaren: „Eine Gemeinde wie Lengenfeld unterm Stein kann die Teilstrecke und das Viadukt nicht allein unterhalten. Wir sind jedoch offen für gemeinsame Versuche, die Strecke für die Region zu erhalten.“
Jens Brünjes
(Quelle: „Werra Rundschau“ vom 20.08.1992)