Letzte Eisenbahn auf der „Kanonenbahn“ (1992)

Immer näher rückt der Tag, an dem die unter der Bezeichnung „Kanonenbahn“ bekannte Strecke zwischen Leinefelde und Geismar zum letzten Mal in der jetzt noch bestehenden Streckenführung befahren wird. Am 31. Dezember – also zu Silvester – wird sich die Deutsche Reichsbahn von der Eisenbahnstrecke Leinefelde – Geismar verabschieden. Am Silvestertag fährt also der Zug zum allerletzten Mal über die weithin als „Kanonenbahn“ bekannte Strecke. Abfahrt ist um 9:38 Uhr ab Leinefelde, und der Zug soll höchstwahrscheinlich mit einer guten alten Dampflok bespannt werden.

Die Stilllegung ist zwar schon seit langen Jahren im Gespräch, trotzdem überrascht sie uns, und viele Menschen in den Anliegerdörfern verspüren Wehmut und Abschiedsschmerz.

Schon als im Jahre 1969 der Güterverkehr auf der Strecke eingestellt wurde, begann ein gewisser Rückschlag und Stillstand für unsere Region. Mit welchen Kraftaufwendungen und finanziellen Mitteln wurde der Gütertransport auf die schlechten Straßen und ebenso schlechten und nie ausreichenden Straßentransportfahrzeuge gelegt.

Anfang der 1960er Jahre wurden immerhin auf den Bahnhöfen Küllstedt, Lengenfeld und Geismar mehr als 50.000 t Güter jährlich entladen. Davon waren 2/3 feste Brennstoffe.

Es ist auch kein Geheimnis, dass die Deutsche Reichsbahn schon seit Jahren auf dieser Strecke rote Zahlen einfährt. Wegen dieser geringen Kostendeckung und des schlechten Zustandes der Brücken- und Tunnelbauwerke ist das „Aus“ nun endgültig. Nach der Wende ist der Personenverkehr auf Grund der Arbeitsmarktlage und der sprunghaft gestiegenen Anzahl vor Kraftfahrzeugen nun völlig zusammengeschrumpft. Wie viele Menschen aus unserer Region fuhren früher nach Leinefelde Dingelstädt, ja sogar bis Bleicherode, Sollstedt und Nordhausen mit dem Zug zur Arbeit! Auch ist es kein Wunder, dass die eiserne „Fischbauchträgerbrücke“ in einem so schlechten und verrosteten Zustand ist.

Im Jahre 1953 wurde diese letztmalig entrostet, neu vernietet und farbig behandelt, also fast vor 40 Jahren. Schon seit langen Jahren durften die Züge nur noch mit 10 km/h den Viadukt in Lengenfeld passieren. Ein Tempo, welches zum Blumenpflücken durch die Reisenden einlud. Fachleute sprechen von 55 Millionen Mark Instandsetzungskosten.

„Wer soll das bezahlen, wer hat so viel Geld ...?“, heißt es schon in einem alten Gassenhauer.

Für die Region „Südeichsfeld“ bedeutet es schon einen Verlust, wo man gerade dabei ist, den Fremdenverkehr und Tourismus anzukurbeln. Für einen Besuch und die Benutzung ist daher im wahrsten Sinne des Wortes „höchste Eisenbahn“ geboten. Die Schulen sollten die verbleibende Zeit nutzen, eine Klassenfahrt mit „Fototermin“ zu machen, um in das letzte Kapitel der „Kanonenbahnstrecke“ einzugehen.

Aber auch Eltern und Großeltern sollten sich mit ihren Sprösslingen dieses einmalige und letzte Erlebnis nochmals gönnen. Wenn ein heutiger Knirps von 5 Jahren dann als Opa oder Uropa im Bekanntenkreis sagen kann: „Weißt du noch damals, als ...“.

Zum Schluss fällt mir nur der Anfang eines alten Schlagers ein:

„Zum Abschied reich ich dir die Hände,
und sag dir leis auf Wiedersehn.
Ein schönes Märchen geht zu Ende,
es war ja so schön!“
Mach’s gut, du alte Kanonenbahn!

Willi Tasch
(Quelle: „Obereichsfeld-Bote, Heft 50/1992)