Letzte Briefe des Bischofsteiner Lehrers Walter Bondy aus dem 1. Weltkrieg und Berichte über seinen Tod (1916)

Am 29. September ist Walter Bondy in Siebenbürgen als Führer einer Patrouille im Kampf mit rumänischer Reiterei gefallen. Er war zu Beginn des Krieges als Freiwilliger eingetreten, erst bei einem Artillerieregiment in Altona, und da es ihm hier zu lange dauerte, bis er ins Feld geschickt wurde, so ließ er sich zu dem Dragonerregiment Nr. 11 in Allenstein in Ostpreußen versetzen. Er ist dann bald mit hinausgekommen, musste aber lange im Schützengraben liegen, und so blieb ihm sein sehnlicher Wunsch, ein frisches Reiterleben zu führen, lange versagt. Als dann wieder Bewegung in die Truppen kam, wurde er bald schwer krank, kam ins Lazarett und schließlich zur Nachkur in ein Sanatorium für Herzkranke. Nur notdürftig wieder hergestellt, ging er wieder zu seinem Regiment und ist auf der ersten Patrouille, die er als Unteroffizier führen durfte, gefallen. Er wusste, dass er von diesem Ritt nicht wieder zurückkommen würde, hat aber, unbeirrt von dem Gefühl des nahenden Todes, seine Pflicht wacker erfüllt, und dem Eisernen Kreuz, das er trug, Ehre gemacht. Unsere Schule verliert viel in ihm, viel mehr, als die meisten seiner alten Kameraden ahnen können, und ich persönlich verliere auch viel in ihm. Ich habe ihm in schweren Nöten und Entscheidungen helfen dürfen und habe immer wieder mit Freude erleben können, was für ein ehrlicher und für alles Gute und Schöne begeisterter Mensch er gewesen ist. Er hing mit ganzer Seele an Bischofstein. Das Häuschen, das er hier gebaut und der Schule vermacht hat, soll zu seinem dauernden Andenken seinen Namen tragen.

Dr. Gustav Marseille
Leiter der Internatsschule Bischofstein, 1916

 

Aus Bondys letzten Briefen, die hier eingetroffen sind, entnehmen wir folgende Zeilen.

Am 19. April schreibt er:

Ich habe schlimme Tage im Schützengraben verlebt, nicht schlimm der Russen wegen, sondern wegen unergründlichen Schlamms, verzweiflungsvollen Arbeiten am Schützengraben, der dauernd wieder einfiel. Nun ist‘s seit 8 Tagen gutes Wetter. Die Straßen fangen an zu trocknen. Ganz schüchtern kann man an einigen Bäumen schon grüne Knospen sehen.

Ein Monat nach dem andern vergeht. Es sieht so aus, als ob‘s gar kein Ende nehmen wolle. Wir haben uns hier ganz häuslich eingerichtet, als ob wir immer hierbleiben wollten. Jetzt bringen wir die Gärten in Ordnung und wollen bald Blumen und Gemüse säen.
 

Am 1. Juni schreibt er:

Im Schützengraben erlebte ich jetzt in dunkler Nacht einen russischen Artillerieüberfall, der ganz grausig war. – Man lebt hier äußerlich ganz gut. Von Buttermangel usw. spüre ich nichts. Wenig Dienst, viel essen und schlafen und sehr viel Zeit sinnlos verbummeln, das ist mein jetziges Leben. Natürlich ist das alles anders als befriedigend.
 

Im Juli schreibt er (Aufsatz für die Chronik):

Ich sitze in der Stube eines kleinen litauischen Bauernhauses. Monatelang liegt das Regiment schon in diesem Dorfe, und langsam sind wir hier heimisch geworden. – Ich sehe hinaus auf grüne Büsche, auf den lachenden Sonnenschein, und ich lausche dem Vogelfang. Es ist still um mich her, und sachte kommt die Erinnerung und läßt mich an Bischofstein denken, an das kleine Häuschen im Walde, wo ich so viele glückliche Jahre verlebt habe. — Auch dort war es zuweilen so still, und die Vögel sangen in den Bäumen.

Vor einigen Tagen (Anmerkung: Bondy war ein paar Tage in den Pfingstferien hier) war ich wieder einmal in Bischofstein gewesen. Nur wenige Stunden ließ mir mein kurzer Urlaub, aber es waren schöne und inhaltsreiche Stunden. – Langsam bin ich zum Stein hinaufgegangen. Jeder Baum am Wege, ja fast jeder Stein erinnerte mich an frühere Zeiten. Die Luft war klar und rein. Scharf hoben sich Häuser und Bäume vom Horizonte ab. Ich empfand mit allen Sinnen die Schönheit dieser Eichsfelder Landschaft. – Im Schlosse war es verhältnismäßig still. Es waren die letzten Tage der Pfingstferien. Viele fremde Gesichter sah ich, eine Menge Lehrer und Schüler waren mir unbekannt. Doch ich fühlte mich bald heimisch unter ihnen, sie waren mir nicht fremd. Erschien es mir doch so, als übertrüge sich ein Geist der Wahrheit und Offenheit sogleich auf alle Menschen, die nach Bischofstein kommen. Das macht‘s, dass sie einem alle gleich lieb und bekannt sind. – Wie in eine verzauberte Welt fühle ich mich oft versetzt, wenn ich nach Bischofstein komme. Hat hier die Gemeinheit und Schlechtigkeit der Welt, die einen da draußen so hart anpackt, keinen Zugang? Herrscht hier nur Harmonie und Natürlichkeit? – Wie wunderlich ist‘s, je öfter ich nach Bischofstein komme, umso weiter scheint es mir auf diesem Wege vorwärts zu gehen.

Frische und Lebendigkeit fand ich in Bischofstein, so überschäumend und stark, dass ich davon hinausnehmen konnte in das Einerlei und die Öde des Feldlebens.
 

Nähere Berichte über Walter Bondys Tod

Aus dem Bericht des Rittmeisters Br. über Bondys Tod entnehmen wir folgende Zeilen:

„An dem verhängnisvollen Tage war ihr Sohn mit 6 Reitern zur Infanterie abkommandiert. Die Schwadron sicherte die rechte Flanke. Der Bataillons-Kommandeur hatte ihren Sohn mit seinen Reitern als Patrouille vorgesandt. Das Gelände war äußerst schwierig, unübersichtlich, bergig und bewaldet. Wie mir 2 zurückgekommene Reiter melden, ist die Patrouille plötzlich von allen Seiten in feindliches Feuer gekommen. Ihr Sohn fiel sofort tot vom Pferde, ich fand ihn selbst etwa 5 Stunden nach dem Geschehenen. 2 Reiter wurden schwer verwundet, konnten aber zurückkommen, 2 sind vermisst, vermutlich gefangen, 2 kamen heil zurück.

Ich ließ ihren lieben Sohn gleich an Ort und Stelle, wo er gefallen, bestatten. Er war ein äußerst pflichttreuer, tapferer Soldat. Ehre seinem Andenken!“
 

Dem Bericht eines Freundes von ihm entnehmen wir folgende Zeilen:

Während der Zeit in Ungarn bin ich mit Walter nur zweimal auf einige Stunden zusammengekommen. Am Abend des 24. September war ich in seinem Quartier und wir haben zusammen musiziert und uns unter anderem über Patrouillenritte unterhalten. Walter bedauerte, noch nie eine Patrouille geritten zu haben, sagte aber, er habe das Gefühl, er werde von seinem ersten Patrouillenritt nicht zurückkehren. Ich suchte, ihm das als Unsinn auszureden, weil ich der Meinung war, das Unbekannte und Ungewohnte bei einem solchen Ritt wäre ihm unangenehm.

Aber Walter ließ sich nichts sagen. Am Vorabend seines Todes kam ich wieder mit ihm zusammen. Recht vergnügt spielten wir Klavier, sangen und kamen, da wir den Feind in der Nähe wussten, wiederum auf die Patrouillenaufklärung zu sprechen. Als ich Walter fragte, ob er noch immer an seiner dummen Todesahnung festhielte, sagte er, er tue es noch, er würde aber seine Pflicht erfüllen. Am 29. September morgens erhielt er den Befehl, mit 6 Mann Groß-Scheuk aufzuklären. Walter ging nun zuerst zum Bureau und übergab das Kriegstagebuch, das er so lange geführt hatte, Sergeant Bawlick mit dem Bemerken, er wüsste, dass er fallen werde.

Nun kann ich nur berichten, was ich heute von Dragoner Sullus über den Ritt selbst erfahren habe. Gegen 8 Uhr 30 bekam die Patrouille kurz vor dem Dorfe Groß-Scheuk Feuer. Walter schrieb eine Meldung und sandte sie durch Dragoner Podlech zur Eskadron. Podlech wird von da ab vermisst. –

Darauf zog sich die Patrouille etwas zurück. Plötzlich sah sie vor sich auf dem Wege eine Schwadron in Marschkolonne und rechts und links davon eine Schützenlinie ausgeschwärmt gegen sich vorkommen. Bald löste sich von der Schwadron eine Patrouille und kam allen voran auf Walters Patrouille zu. Die Leute Walters wurden unruhig und schwärmten aus. Doch Walter sagte, es wäre unsere Schwadron und blieb mit den Gefreiten Purwin – wurde später schwer verwundet, aber geborgen – allein auf dem Wege und ritt, was mir vollständig unerklärlich ist, durch die in Kolonne ankommende Patrouille, die in Wirklichkeit eine rumänische war, hindurch. Als er mittendrin war, bekam er einen Schuss und knickte auf dem Pferde zusammen. Wie auf ein Zeichen knallten die Infanteristen nun auf die Patrouille. Die Kavallerie setzte den Leuten nach, und so verloren diese Walter aus den Augen. Der Schuss, den Walter zuerst erhielt, soll ein rumänischer Unteroffizier mit einer Pistole abgegeben haben. – Zwei Tage später hat eine Patrouille unter Vizewachtmeister Hallmann Walters Leiche ohne Stiefel und Strümpfe gefunden. Neben Walter lag sein Pferd ohne jedes Sattelzeug. Papier- und Wertsachen waren nicht zu finden. Walter hatte einen Schuss durch die Schläfen und einen durch die Fersen. Vizewachtmeister Hallmann ließ die Leiche in aller Eile begraben, da die Rumänen die Patrouille entdeckt hatten und ausgeschwärmt gegen sie vorkamen. Kein Kreuz kennzeichnet das Grab, das sich zwischen den Dörfern Szazhalom (Hundertbücheln) und Groß-Scheuk befindet.
 

Ein Brief, den man in seinem Tagebuch vorgefunden hat.

Am 30. Juni 1916.

Schon oft bin ich in den Schützengraben gegangen; immer wieder bin ich gesund zurückgekommen. Heute drängt es mich dazu, paar Worte vor meinem Hinausgehen zu schreiben. Wohl Mutters Tod und die letzten schweren Verluste des Regiments haben mich so sehr an die Möglichkeit des nahen Todes erinnert.

Der Tod – ohne eigene Schuld – hat für mich gar nichts Beängstigendes. Wie ich mir das „Weiterleben" nach dem Tode denke, habe ich vor kurzem in einem kleinen Aufsatz aufgeschrieben. Warum soll der Tod eines jungen Menschen so grauenhaft sein? Das sehe ich gar nicht ein. Vom Standpunkt der andern ist‘s vielleicht traurig; sie hätten noch viel leisten können; aber für einen selbst ist der Gedanke doch nicht so schlimm. Viel Schönes und Erhebendes habe ich erlebt, wer weiß, ob mein Leben weiterhin so glücklich verlaufen wäre. Es ist doch schön, wenn man sich vorstellt, dass man plötzlich aller Sorgen und Pflichten ledig ist. Eine einzige Sache ist‘s, die einem den Tod erschwert. Man denkt an alle, die leben bleiben, und einige darunter werden traurig sein. Für die eigentlich schreibe ich diese Zeilen. Seid nicht traurig, weint nicht, trauert nicht um mich! Die Welt gehört den Lebendigen. Denkt an mich mit Freude, erinnert Euch an Wanderungen, an Singen und Gitarre! Schreibt keine schwarzgeränderten Traueranzeigen, tragt keine schwarzen Kleider, seid nicht betrübt, keinen Tag, auch nicht eine Stunde. Das ist mein letzter Wunsch! Wenn irgendetwas noch zu ordnen ist, was mich angeht, ordnet es so, dass es möglichst viel Freude erzeugt.

Walter Bondy (Lehrer auf Schloss Bischofstein)
(Quelle: Bischofsteiner Chronik, Herbst – Winter 1916, 4. Jahrgang, 4. Heft und 5. Jahrgang, 1. Heft, S. 2 – 13)