Lengenfelder Quellen der Inspiration (2022)

Einleitung

Austrittsstellen des Grundwassers in der Landschaft sind nicht nur Wasserspender für Pflanzen, Tiere und Menschen. Um sie ranken sich zahlreiche Mythen, Geschichten und Berichte.[1] Sie regen unsere Phantasie an. Ihre Namen verraten uns oftmals bestimmte Quellenmerkmale, die festgestellt wurden. Diese Hinweise können die Umgebung, Wassereigenschaften oder die Wassernutzung betreffen.

Quellennamen als Hinweisgeber

Der Name „Buchborn“ verdeutlicht, welche Baumart um diese Quelle herum unter den Kalkfelsen der „Klosterschranne“ bereits vor Jahrhunderten wuchs. „Rinnchen“ bringt zum Ausdruck, dass das Quellwasser in einer kleinen Rinne abfloss. Der „Lochborn“ stand mit einer Geländemulde in Verbindung. Er floss wohl unterhalb des „Himbeerlochs“. Sein Wasser gelangte durch Tonröhren zu einem ehemaligen Laufbrunnen am Kirchberg. Heimatforscher rühmten diesen Brunnen als den besten seiner Zeit mit sehr gesundem Trinkwasser.[2]

Das Wasser des Erbsborns im Effeldertal galt als „Weichwasser“, dass man gern zum Kochen von Hülsenfrüchten und zum Wäschewaschen holte. Daher sammelt man das in seiner Umgebung vorhandene Grundwasser noch heutzutage in Brunnen, die Trinkwasserleitungen speisen.

Der „Goldborn“ unterhalb des ehemaligen Klosters Zella verdankt seinen Namen vermutlich seinem klaren Wasser. Er steigt in einem kleinen Tümpel nahe der Landstraße auf. Obwohl er normalerweise wenig Wasser liefert, war er ein Helfer in der Not. In Dürreperioden holten die Struther bis 1911 aus ihm eimerweise Trinkwasser.[3] Oftmals rasteten sie dort und genossen das erfrischende Nass aus der hohlen Hand. Auch die vom Hülfensberg heimkehrenden Wallfahrer sammelten sich und stärkten sich an dieser Stelle.[4]

Das Wasser mancher Quellen empfanden die Leute als wohltuend, heilend oder gar verjüngend.

Vergessener Sauerbrunnen

Eine Feldflur im Blankental heißt „Pforzborn“, was früher mitunter „Forzborn“ geschrieben wurde. Dort unterhalb des Vorderen Hahnsteins rinnt am Rand einer Weidefläche noch immer klares Wasser aus einem Rohr in eine Viehtränke. Es kommt aus der gleichnamigen Quelle, die nebenan in einer Bodenmulde am Waldrand sickert. Der Quellenname kann entweder als entstellende Formulierung der Bezeichnung “Pfadsborn“[5] oder als Hinweis auf den erhöhten Kohlensäuregehalt des Quellwassers[6] gedeutet werden. Hierzu bemerkte Heinrich Richwien, ein Lengenfelder Heimatdichter, Ornithologe und Naturforscher, im Gedicht „Die vergessene Quelle“:[7]

„Am Rande des Hansteins, nur wenig bekannt,
entspringt eine Quelle, unten am Hang.
Das sprudelnde Wasser, hell und klar,
in vergangenen Zeiten schon Heilquelle war.
[…]
Nur wenige im Dorf die Stelle noch kennen,
wo noch fließt die beste der heimischen Quellen.
Die Alten haben sie besser gekannt,
und haben sie einfach den ‚Pforzborn‘ genannt.“

Als am Ende des neunzehnten Jahrhunderts eine Typhus-Epidemie ausgebrochen war, empfahl – so wurde berichtet – sogar der damalige Ortspfarrer das Quellwasser als „das beste trinkbare Wasser“. Zu dieser Zeit galt der Pfarrer auch als Ratgeber bei vielen Krankheiten, denn im Dorf praktizierte noch kein Arzt. Eine 1932 vorgenommene Wasseranalyse ergab neben mehreren mineralischen Bestandteilen einen hohen Prozentsatz an natürlicher Kohlensäure. Das sahen die Leute früher als Grund dafür, dass manche Darm- und Magenbeschwerden nach dem Genuss dieses Wassers anscheinend verschwanden. Auch der Autor des oben angeführten Gedichts gab im Jahr 1957 eine Empfehlung für den Pforzborn ab. Er hielt das gut bekömmliche Quellwasser für geeignet, daraus einen „echten Eichsfelder oder Lengenfelder Sauerbrunnen“ herzustellen. [8] Diese Anregung fand allerdings keinen Anklang.

Quellennamen haben oft einen Bezug zu Wildtieren, die irgendwann an der betreffenden Wasserstelle beobachtet worden waren. Anderenorts im Eichsfeld gibt es zum Beispiel den „Hirschborn“, „Dachsborn“ oder „Mäuseborn“.

Tierisch geprägter Quell der Einsicht

Der „Hasenborn“ bei Lengenfeld fördert zudem dermaßen schmackhaftes Wasser zutage, dass es gerüchteweise von allen Hasen der Umgebung zum Brühen ihres Kaffees geholt wird. Angeblich soll ein anrührendes Lied den namensgebenden Tieren schon einmal das Leben gerettet haben. Davon handelt ein Gedicht.[9] Es fabuliert von Hasen, die am Heiligen Abend lustig um diese Quellengruppe herumtanzten. Der herbei geeilte Jäger wollte nun eines der Tiere für seinen Festschmaus schießen. Als jedoch aus dem Nachbarhaus von Kindern gesungene Weihnachtslieder erklangen, ergriff ihn die weihnachtliche Stimmung seiner Jugendzeit. Mit diesem Gefühl konnte er nicht anders, als die Hasen unbehelligt gewähren zu lassen.

Nicht ausgedacht, sondern über viele Jahre hinweg eine beliebte Tradition waren die Osterfeuer, die junge Leute aus der Nachbarschaft früher am Hasenborn entzündeten. Die versammelten Einwohner sangen dazu fromme Osterlieder.[10]

In vergangenen Jahrhunderten trugen vielerorts Esel zur mühevollen Wasserversorgung bei. Sie mussten oft mit klarem Quellwasser gefüllte Behältnisse transportieren. An ihre Rolle als geduldige, vorsichtige, aber nicht dumme Lastenträger erinnern zahlreiche Quellenbenennungen.

An Transporthelfer erinnernder Teewasserlieferant

In einem Verzeichnis der Lengenfelder Flurnamen ist die Flur „Am Eselsbrunnen (im Hahnschen Naturschutzpark an der Zollstede gelegen)“ aufgeführt.[11] Als „Eselsbrunnen“ war einigen Lengenfeldern noch im vorigen Jahrhundert die damals mit Steinen eingefasste Quelle am Westhang des Bischofsteiner Parks oberhalb des Hahnschen Steingartens bekannt. Ihre Bezeichnung ist wohl darauf zurückzuführen, dass sie vom Eselsweg, der Transportroute für Wasser und andere Güter zur einstigen Burg Stein und später zum Schloss Bischofstein, aus leicht erreichbar war.

Trinkwasser lieferte sie noch in der Periode, als das Schlossgebäude ein Landerziehungsheim beherbergte. Die Köchin der Heimleiterfamilie Ripke nutzte ihr weiches Wasser zur Tee- und Speisenzubereitung.[12] Es ist ja bekannt, dass Ripkes manch illustreren Gast zu Besuch hatten. So kann vermutet werden, dass auch das zu Tee veredelte Eselsbrunnenwasser zu geistvollen Gesprächen angeregt hat.

Die Quelle ist inzwischen durch Ablagerungen und Trittschäden in ihre Beschaffenheit weitgehend beeinträchtigt.

Eine andere Wasserstelle befindet sich abgeschieden im Wald. Sie erinnert an das kärgliche, einsame Leben in einer Köhlerhütte. Sie inspirierte einheimische Dichter zu fantasievollen Werken ihrer Kunst.

Wasserstelle der Holzkohlenhersteller als Handlungsort

In südöstlicher Richtung zweigt ein kurzes Seitental vom Blankental ab, das den Flurnamen „Im Köhlersborn“ trägt. Die in der Bezeichnung erwähnte Quelle ist seit Jahrzehnten für eine private Wasserleitung gefasst. Noch in der Gegenwart nutzt die örtliche Agrargenossenschaft ihr Wasser für betriebliche Zwecke. Der Überlauf aus den beiden Brunnenkammern führt in einen Graben. Im Unterholz verborgen beginnt dort am Überlaufrohr ein Rinnsal. Es versickert nach etwa einhundert Metern wieder in einer Bachschwinde.

Eine phantastische Erzählung zum Köhlersborn[13] stammt von Lengenfelds gemütvollem Heimatdichter, Adam Richwien. Er malt darin in einem „Traumbild aus längst geschwundener Zeit“ aus, was sich einst ereignet haben könnte. An die Quelle kam demnach regelmäßig das Kind eines bärtigen, rußigen Köhlers. Es holte kühles Quellwasser in die Köhlerhütte am rauchenden Mailer auf dem Hahnstein. Das arme liebliche Köhlermädchen fiel allerdings einem üblen Raubritter auf. Ohne ihre Einwilligung entführte es dieser Unhold. Nach langer, vergeblicher Suche seines Kindes nahm sich der arme Vater daraufhin voller Gram das Leben. Diese in vielen Einzelheiten gefühlvoll ausgeschmückte visionäre Beschreibung fasst der Autor in dem rührenden Gedicht[14] „Am Köhlersborn“ zusammen. Darin heißt es unter anderem:

„Verlassen und einsam in Buschwerk und Dorn
da murmelt die Quelle, der Köhlersborn.
[…]
Irmriede, des Waldköhlers Töchterlein,
das fand sich wohl täglich am Waldesquell ein
und füllte ihr Krüglein mit kühlendem Trank
und ruhte auf moosiger Rasenbank.
[…]
sie singet ihr Liedlein und siehet es nicht,
wie durch die Tanne der Ritter bricht.
Auf schnaubendem Rosse schnell und geschwind
entführt er das liebliche Köhlerskind.
[…]
Der Köhler mit tränenumflorten Blick
erwartet vergebens Irmriede zurück,
[…]
Nun setzt er den Meiler in hellen Brand,
im blutroten Feuer den Tod er wohl fand.
[…]“

Die Tochter des Köhlers vom Köhlersborn wurde auch eine Figur im Laientheaterstück „Zweierlei Maß“[15] des Heimatforscher Lambert Rummel, das die Lengenfelder Theatergruppe am Ende des Jahres 1959 erstmals in Lengenfeld und danach auch in anderen Eichsfelder Ortschaften aufführte. Jedoch hieß sie in diesem Stück Else und kann sich von einem aufdringlichen Amtsjäger befreien.

Gewiss schriebe ein Dichter in der Gegenwart wohl einen anderen Text zu diesem Thema. Insofern sind die Dichtkunstwerke Zeugnisse ihrer Entstehungszeit. Sie belegen zugleich die herausragende Lengenfelder Tradition der Heimat- und Naturverbundenheit. Das beeindruckt und erfreut auch außenstehende Betrachter.

Prof. Dr. Kurt Porkert, Jena

[1] Vgl. u. a. Porkert, Kurt: Geheimnisvolle Brunnen und Gewässer im Eichsfeld und in angrenzenden Gegenden. Duderstadt 2018.

[2] Vgl. Rummel, Lambert; Richwien, Heinrich: Lengenfelder Flurbezeichnungen im Dialekt und ein Versuch ihrer Deutung, mit Ergänzungen und Korrekturen von Oliver Krebs. Quelle: Lengenfelder Echo, Januar-Ausgabe 1960, //eichsfeld-archiv.de/dokument/Die_Flurnamen_von_Lengenfeld_unterm_Stein_nach_dem_Flurbuch_vom_Jahre_1822.

[3] Vgl. Tasch, Willi: Ein Schulausflug auf der Kanonenbahn vor 70 Jahren. In: Lengenfelder Echo 2010, H. 12, zitiert in: https://eichsfeld-archiv.de/beitrag/2010-12_Ein_Schulausflug_auf_der_Kanonenbahn_vor_70_Jahren, Zugriff am 12.06.2016.

[4] Vgl. Hoppe, Vinzenz: Munter springen die Wasser im Friedatal. In: Eichsfelder Heimatborn vom 9. April 1960.

[5] Vgl. Fick, Anton: Die Flurnamen der Gemarkung Lengenfeld. In: Eichsfelder Heimatglocken 1953, H. März/April, S. 67-70, zitiert in: eichsfeld-archiv.de/dokument/Die_Flurnamen_der_Gemarkung_Lengenfeld, Zugriff am 12.06.2016.

[6] Vgl. Rummel, Lambert; Richwien, Heinrich; Krebs, Oliver: Die Flurnamen von Lengenfeld unterm Stein nach dem Flurbuch vom Jahre 1822. In: Lengenfelder Echo 1960, H. 1 (Januar), zitiert in: eichsfeld-archiv.de/dokument/Die_Flurnamen_von_Lengenfeld_unterm_Stein_nach_dem_Flurbuch_vom_ Jahre_1822, Zugriff am 12.06.2016.

[7] Richwien, Heinrich: Die vergessene Quelle. In: Lengenfelder Echo 1957, H. 2, zitiert in: eichsfeld-archiv.de/dokument/Die_vergessene_Quelle, Zugriff am 12.06.2016.

[8] Vgl. ebd.

[9] Vgl. Richwien, Adam: Ein Sang vom Hasenborn. In: Eichsfelder Heimatstimmen 24 (1980), zitiert nach: Das Südeichsfeld damals und heute – Archiv des HeimatStudios, //eichsfeld-archiv.de/dokument/Ein_Sang_vom_Hasenborn, Zugriff am 07.11.2017.

[10] Vgl. Richwien, Heinrich: Sitten und Bräuche in Lengenfeld. In: Lengenfelder Echo, 1970, zitiert nach: Das Südeichsfeld damals und heute – Archiv des HeimatStudios, //eichsfeld-archiv.de/dokument/Sitten_und_Bräuche_in_Lengenfeld_1, Zugriff am 07.11.2017.

[11] Vgl. Fick, Anton: Die Flurnamen der Gemarkung Lengenfeld. In: Eichsfelder Heimatglocken 2 (1953), S. 67-70; zitiert nach Krebs, Oliver: Die Flurnamen der Gemarkung Lengenfeld nach Anton Fick. Lengenfeld 2010 (Schriftliche Auskunft).

[12] Auskunft von Gabriele Sonnabend, die es von ihren Eltern erfuhr.

[13] Vgl. Richwien, Adam: Vision. In: Krebs, Oliver (Hrsg.): Adam Richwien: Die Wiederentdeckung eines Eichsfelder Heimatdichters. Heiligenstadt 2015, S. 154-158.

[14] Richwien, Adam: Am Köhlersborn. In: Krebs: Adam Richwien. (Anm. 375), S. 14-15.

[15] Vgl. Rummel, Lambert: Zweierlei Maß – Ein dramatisches Volksstück. Lengenfelder Echo 1960, H. 2 (Februar), zitiert in: eichsfeld-archiv.de/dokument/Zweierlei_Ma%C3%9F, Zugriff am 12.06.2016.