Lengenfeld unterm Stein – die ideale Sommerfrische (1938)

Ein Ort, der reich an Geschichte ist – Für Erholungssuchende der gegebene Platz

Alle Reisenden, die zum ersten Male mit der Kanonenbahn, sei es von Leinefelde oder von Eschwege her unser schönes Eichsfeld durchreisen, stehen wie gebannt an den Abteilfenstern, um die einzig schönen, immer wechselnden Landschaftsbilder in sich aufzunehmen. Am überwältigsten jedoch wird das Bild unserer schönen Heimat vom Zuge aus gesehen, – von Leinefelde kommend – kurz nach dem Verlassen des Entenbergtunnels, mit dem Blick auf das alte Schloss Bischofstein und Lengenfeld unterm Stein. An dieser Stelle brechen die Reisenden gewöhnlich überrascht über das Panorama in den Ruf aus „welch schönes Fleckchen Erde“ oder „hier möchte ich wohnen“.

Die Begeisterung über all die Schönheit wird zum Enthusiasmus, wenn der Zug im U-Bogen langsam über die etwa 36 Meter hohe Brücke rollt, unter sich die Häuser Lengenfelds, zwischen denen sich wie ein Silberborn die stille Frieda schlängelt, und wo der Blick in die Weite schweift durch das schöne Friedatal, im Hintergrund die Gobert; links grüßen die Keudelskuppe und dahinter der Hülfensberg mit seinem Martinskreuz; rechts am Burgberg angeschmiegt das stolze Schloss Bischofstein, und in dem Tale träumt still und unversonnen am Hang die Hagemühle.

Wie mancher Reisender hat in diesem Augenblick den stillen Wunsch gehegt, doch einmal für etwas länger in diesem schönen Tal zu weilen, um all die Schönheiten, die die Natur hier bietet, kennenzulernen und im Stillen hier zu rasten und sich zu erholen. Dieser Wunsch ist heute leicht erfüllt, denn Lengenfeld unterm Stein ist heute ein aufstrebender Ort mit Sommerfrische. Alle Gäste, die in Lengenfeld einkehrten und einmal richtig geschaut haben, die kehren immer wieder.

Lengenfeld unterm Stein ist ein Ort mit 1700 Einwohnern. Die Einwohnerschaft ist restlos bemüht, es ihren Gästen und Erholungsuchenden so angenehm wie möglich zu machen. Man kann hier gut und preiswert wohnen, in Hotels, Gasthäusern, in einem Erholungsheim und zur gegebenen Zeit (Ferien) auch im Schloß Bischofstein, oder bei Privaten mit voller oder teilweiser Verpflegung. Die Ortsgruppe der NSG „Kraft durch Freude“ und der Verkehrsverein arbeiten Hand in Hand und geben gern jede gewünschte Auskunft.

Der Erholungssuchende findet in allernächster Nähe schattige Laub- und auch Nadelwälder mit stillen Ruheplätzen. Ein neuangelegtes Schwimmbad ist auch vorhanden. Der Wanderer findet in kurzen Morgen- oder Mittagstouren durch stille Hochwälder und auch über aussichtsreichen Bergeshöhen immer neue wechselnde Fernblicke. Der Naturfreund und Kenner kann sich erfreuen an seltenen und schönen Pflanzen, Blumen, Tieren und Naturdenkmälern, die ihnen in vielen Gegenden unseres Vaterlandes schon nicht mehr gezeigt werden können. Er kann sich erfreuen an schönen wuchtigen Gesteins- und Felsbildungen des Buntsandsteins und der Muschelkalkformation.

Lengenfeld und seine nächste Umgebung haben eine reiche Geschichte. Als altes wechselndes Grenzland zwischen Kelten und vordringenden Germanen entstanden hier in vorgeschichtlicher Zeit auf unseren Höhen die Wallburgen des Konsteins, der Sieboldsburg, des Walperbühls und der Spindelsburg. In frühgeschichtlicher germanischer Zeit war es Grenzland zwischen Thüringen und Chatten. Auch die frühchristliche Zeit ließ auf der alten germanischen Opferstätte des Stuffenberges eine neue kirchlich-historische Stätte entstehen, den Wallfahrtsort des Hülfensberges. In oder kurz nach der kaiserlichfränkischen Zeit entstanden die Burg und Stadt zum Stein, später der Sitz und das Gericht der Amtsvögte der Kurfürsten von Mainz. Um die Burg und Stadt zum Stein lagen die jetzigen Wüstungen Amschrode, Clywenrode und Gotzrode. Die kaiserlose Zeit mit dem Faustrecht der Stärkeren und die Fehden der Ritterschaft untereinander ließen diese Stätten verschwinden und dafür unser jetziges Dorf Lengenfeld entstehen. Das Leben und die Zerstörung dieser Stätten ist mit Sagen umrankt, die zu Heimatschauspielen reichen Stoff boten (Hunstock: „Der letzte Bischofsteiner“) und auch Anlass zu Balladen gaben, die neuerdings vertont wurden (Aloys Höppner: „Der Stein“). In diese Zeit fiel auch die Entstehung des wunderbar gelegen, in knapp einer Stunde schöner Fußwanderung zu erreichenden Kloster Zellas, der Perle der eichsfeldischen Klöster. In der alten Klosterkirche befindet sich eine schöne historische Sammlung von Altertümern und eine Waffensammlung. Zehn Minuten über Kloster Zella liegt der Annaberg mit seinen uralten naturgeschützten Linden.

Lengenfeld wird nach Wolfs „Politischer Geschichte des Eichsfeldes“ zum ersten Mal urkundlich 1292 genannt und bedeutet „langes Feld“. Seit 1326 – der käuflichen Erwerbung der Güter und der Burg Stein mit Lengenfeld durch den Kurfürsten von Mainz – war es bis 1802 kurmainzisch und von da ab preußisch. Von 1807 ab gehörte es unter König Jerome zum Königreich Westfalen und war der Sitz der Cantonmaires von Großbartloff im Harz-Departement.

Die kurmainzische Zeit hindurch war Lengenfeld ein Ort mit fast gleichbleibender Größe; wie aus den Urkunden zu ersehen ist, hatte es Jahrhunderte hindurch etwa 110 Herdstätten und Häuser. Diese Größe hat sich buch fast gleichbleibend erhalten, bis 1872 mit hem Bahnbau der Aufstieg Lengenfelds begann. Heute zählt das Dorf weit über 300 Häuser.

Im Dreißigjährigen Kriege wurde Lengenfeld 1639 vom Feinde bis auf 24 Herdstätten vernichtet. Es erholte sich aber dank der auf dem Südeichsfeld beginnenden Blütezeit der Wollmanufaktur sehr schnell wieder. In dieser Zeit (1739) wurde auch das jetzige Schloss Bischofstein vom Baumeister Heinemann aus Dingelstädt neu erbaut. Der Amtssitz des Vogtes mit Gericht wurde dann von der durch die Horden des tollen Christian von Braunschweig 1620 bis 1622 zerstörten alten Burg zum Stein in das neue Schloss verlegt. Die Steine der Ruinen der alten Burg wurden teilweise bei der Erbauung des neuen Schlosses und zu Fundamenten und Gewölben der Häuser Lengenfelds verwendet. Man kann heute noch schöne alte Eingänge aus Bruchstein vor Häusern in Lengenfeld finden, die alle von diesen Ruinen stammen und viel älter als die betreffenden Häuser sind (Eingang zur Pfarrei, die Eingänge der alten Post, und Kellereingänge in der Mittelmühle).

Die Einwohner Lengenfelds waren in früherer Zeit Bauern, Handwerker, Köhler und Ziegelbrenner. Köhler, bedingt durch den Waldreichtum, und Ziegelbrenner auf Grund der im Gelände vorkommenden Lehm- und Gipslagen, die in Feldbränden zu Schwerkalk gebrannt wurden. Nach dem Dreißigjährigen Kriege weideten an den Hängen und Triften etwa 800 Schafe in Lengenfeld. Dieser Umstand in Verbindung mit der Wollmanufaktur gab der Bevölkerung Anlass zum Betreiben der Wollkämmerei, Spinnerei, Weberei und des Raschmachens. Heute sind Weiden und Triften zu Ackerland umgebrochen. Der Reinbauernbetrieb und Kleinbauernstand verbunden mit Handwerk sind vorherrschend.

Heute pulsiert ein geschäftliches Leben in Lengenfeld, das Ausdruck findet in seinen Geschäften mit städtischen Auslagen und Schaufenstern. Das Schloss Bischofstein ist jetzt Landerziehungsheim mit Berechtigung zum Abitur, mit etwa 80 Schülern und wunderbar gelegenen Sport- und Tennisplätzen. Es ist von Leinefelde, Eschwege, Mühlhausen und Eisenach mit Bahn und Auto leicht zu erreichen und verspricht, dem Wunsch aller Freude- und Erholungssuchenden gerecht zu werden.

Autor: unbekannt
(Quelle: Eichsfelder Heimatbote, Nummer 34, Samstag, den 20. August 1938, 17. Jahrgang)