Kloster Zelle
1.
Von des Annenberges Höhe,
von des Friedethales schwelle,
Ruht entzückt und überwältigt,
Mensch, dein Blick auf Kloster Zelle:
Rings umhegt von Waldeskämmen,
weltenferne, weltgeschieden,
liegt es da, ein köstlich Kleinod,
traut in süßem Gottesfrieden!
Benedikti Töchtern schuf es
Ritter Tastan zum Geschenke
bußgesinnt, dass nicht der Himmel
seiner Untat mehr gedenke.
Seiner Frevel, die zum Berge
sich gehäuft ob seinem Haupte,
der da mordete und brannte
und das Gut der Kirche raubte!
Was er nahm, er hat’s erstattet
gleich Zachäus in der Bibel
und den Braus gesühnt der Jugend
durch das frei gewählte Übel:
Hausend im „Altvatersloche“
bis zu seines Lebens Schlusse,
ward das Wild ihm zum Genossen,
Brot und Wasser zum Genusse.
Stille Nonnen, gottgeborgen,
dienten hier zu „Friedensspringe“
ihrem Bräutigam, vergessen
Ganz der Welt und ihrer Dinge.
O wie viele reine Seelen
rangen hier nach Selbstvollendung,
bis des Pfeiffer wüste Scharen
hergestürmt zu Mord und Schändung.
Bauern, wilde, freiheitstrunk’ne
und zu jeder Schandtat rasche,
führt gen Zelle Heinrich Pfeiffer:
Was er bringt, ist Brand und Asche,
Was er schafft, ist Rauch und Trümmer!
Die entsetzten Nonnen flüchten
vor dein Tier in Menschenhülle
Pfeiffer, harre! Gott wird richten!
2.
Zelles Mauern stiegen wieder
aus dem Schutt, die roten Zinnen; –
wäre nur der Geist des alten
unverfälschten Glaubens drinnen!
Aber wenn das Salz erst schal ist,
womit alsdann soll man würzen?
Weh! Die Abbatissin selber
sah man in den Irrwahn stürzen!
Ob sie gleich abtrünnig wurde
ihrem Glauben und Gelübde,
sie des heil’gen Amtes Führung
sakrilegisch weiter übte.
Kalt bei ihrer Schwestern Tränen,
ihrem Bitten und Beschwören,
blieb sie ungebeugten Sinnes
bei des Wittenbergers Lehren.
Bald nach der Äbtissin Tode,
die dahinging unversehen,
ist im sonst so stillen Kloster
gar ein böser Spuk geschehen.
Um die Mitternacht erhub sich
greulich Poltern und Rumoren,
und die Schwestern sprachen zitternd:
„Die Äbtissin ist verloren!“
Seelenmess’ auf Seelenmesse
ließen fromm die Schwestern lesen
zum Gewinn der Ruhelosen,
doch es blieb das Polterwesen.
Selbst der Spruch der Teufelsbanner
ließ den Spukgeist unbefangen,
bis zwei fremder Jesuiten
Exorzismen ihn bezwangen.
Als – wer’s erst erzählte, weiß es –
nun der Geist von hinnen fauchte,
in das „Grundloch“ er bei Büttstedt,
einst ein Kolk voll Schlammes, tauchte.
Späte Wandrer, die des Weges
zu unholder Nachtzeit gingen,
hörten Seufzer aus dem Sumpfe,
sah’n ein Weib die Hände ringen.
3.
Böse Zeit, du bist gegangen,
Zeit mit deinem Mord und Trutze;
gute Zeit, da diese Berge
ruhten in Sankt Annens Schutze!
Halte, Herz, die nahe Träne! –
wo das Gnadenbild der Mutter
einstens stand vor Wallerscharen,
sucht das blöde Vieh sein Futter.
Steh’n dem Schöpse seine Hürden
auf dem Anger aufgerichtet,
und die Mutter unsrer Mutter,
Sankta Anna ist geflüchtet!
Ihre Wohnung ist verödet,
seit Jahrzehnten unbetreten
von den Wallern, die nicht dürfen
an der Gnadenstätte beten.
Von der liebgeword’nen Stätte
floh verbannt sie zu den Strüthern,
ihres Bildes, ihres Dienstes
eifervollen Ehrenhütern.
Die der hohen Mutter helfen
der Verbannung Leid zu tragen,
deren Pfarrherr hoch sie ehret
an den neun gesetzten Tagen.
Wo der Pilger von der „Höhe“
Christi Ahne preist und feiert,
und der Glanz des Annenberges
in dem kühlen Struth sich neuert.
Bernardus Americanus
(Hermann Iseke)
Anmerkungen und Erklärungen zu „Kloster Zelle“
1. Zelle oder „Friedensspring“, vielleicht das älteste eichsfeldische Kloster, soll von einem Ritter Tastan (Tastungen?) gegründet und mit Benediktinerinnen besetzt sein zur Sühne für Wegelagerei und Kirchenraub. Er soll sein Leben als Einsiedler in dem „Altvatersloch“ oberhalb Zelle beschlossen haben.
Über Heinrich Pfeiffer, der Zelle im Bauernkriege zerstörte, siehe den Artikel „Reifenstein“.
2. Über die abgefallene Äbtissin vergleiche auch Duval, S. 217–219.
3. Die Wallfahrten nach dem Sankt Annenberge oberhalb Kloster Zelle sind von dem damaligen Eigentümer vor ca. 40 Jahren untersagt worden, die Kapelle dient ökonomischen Zwecken, und der Kult der hl. Anna wurde von nun an in dem nahen Struth gepflegt, vornehmlich an den 9 Dienstagen vor Michaelis.