Klüschen und Gleichenstein

Klüschen Hagis

1.

Juli ist’s mit seinen Güssen,
Juli ist’s mit seinen Gluten:
Nach dem Klüschen fromme Waller,
auch der „Hozeldörfer“, fluten!

Jeder, der der Schmerzensmutter
gab sein Herz zu Haft und Eigen,
jeder muss am „Klüschenstage“
sich an ihrer Stätte zeigen.

Beten vor dem Gnadenbilde
auf dem sammt’nen Rasenhügel,
den umspannen, Kühlung fächelnd,
alter Linden Schattenflügel.

Zu der Heimsuchung Mariens
zieht es willig alle Herzen
hier zum Tale, schönheitstrunken,
abzuladen eig’ne Schmerzen.

In die Seele jener Reinen,
deren Brust ein Schwert durchfahren
mit dem Stoß, dem siebenfachen,
einst in wehen Erdenjahren.

Innig klingt die Wallerweise
durch die hohen Buchenkronen,
über deren grünen Häuptern
steilgeriffte Klippen thronen.

Wenn „Maria, hilf!" erschallet
weithin an dem Saum der Berge,
weht der Trost in jeden Busen,
fährt das Leid in seine Särge.

Wenn dann von der Kanzel steinern
tönt das Wort von Priestermunde
zu dem Preis der Benedeiten,
schlägt es manche Liebeswunde.

Wird das Heiligste getragen
dreimal um den grünen Anger:
Geht ein weicher Liebesseufzer
durch das Tal, ein inniglanger.

Wenn die Klänge des Tedeums
an die Bergwand dröhnend sausen:
Fühlst du nicht das Nahen Gottes,
nicht des Geistes Pfingstfestbrausen?

Glaubensfreudig, gottbefriedet
wallet heim die Christenseele,
doch am Morgen kehrt sie wieder,
dass auch ihnen Trost nicht fehle.

Die sie liebte einst auf Erden,
die zu schweren Läuterungen
Gott sich annoch vorbehalten
in der Strafe Flammenzungen.

Die „Maria, hilf uns!“ riefen
gestern um den eig’nen Jammer,
rufen’s heute für die Armen
in der Qualen Folterkammer. –

Und Maria, die getröstet
gestern all die Menschenscharen,
hört auch heut’ das Wort des Mitleids,
das sie freut, und wird es wahren! –

Wolltest du den Trost ermessen,
den der Bitter hier befahren
für Lebendige und Tote:
Wohl, du sännst zu tausend Jahren!

Martinfeld

2.

Reiß dich los aus der Betrachtung,
aus dem Anschau’n all des Süßen,
wenn der Liebreiz auch zu Hagis
ewig dich will an sich schließen!

Weile länger nicht, sonst musst du,
wie die Wingeröder pflegen,
opfern eine schwarze Henne,
die der Pfarrer nimmt entgegen.

Wie die jungen Mädchen üben,
die nach einem Manne trachten,
und trotz ihrer neunundzwanzig
annoch es zu keinem brachten! –

Geh’ vorbei dem „Eselsborne“
mit mir auf zum Gleichensteine,
dass das „Wunder“ in der Felsbrust,
schier ein „blaues“, dir erscheine!

Westwärts lass die Blicke schweifen
übers Land der blinden Hessen,
und ein Meer von Duft und Schönheit
tut sich auf dir unermessen:

Hügelkett’ an Hügelkette,
welliger Landschaft Trepp’ an Treppe:
Fern der Duft des Habichtswaldes,
nah die schönen „Lehnschen Köppe“!

Frei liegt Martinfeld entfaltet,
wie ein Blümlein ohne Welken:
Rechts der giebelhohe Schlosshof,
links das Pfarrhaus in den Nelken! –

Wahrlich, eine stärk’re Veste,
keinem Feinde zu erreichen,
konntest du zum Wegelagern
dir nicht suchen, Heinz von Gleichen! –

Von des Bruders Ernest Lehen
schied er ab geteilt das seine,
jener blieb zu Tonna sitzen,
dieser kam zum Gleichensteine.

Der das Haupt des „Eychisfeldes“,
so man hieß die Landesstrecke
von dem Scharf- und Gleichensteine
bis zu Reisers Unstrutecke. –

„Arm und wild ist’s in den Bergen,
lasst uns drum ein wenig kleppern,
ob vielleicht wir von den Krämern
etwelch Gut zusammenläppern!“ –

Und er ritt; doch übel, übel
ist der Stegreif ihm bekommen:
Vieselbach, die Burg, sie wurde
ihm, und er in Acht genommen. –

„Hei, was scheret mich der Landgraf,
der mir Vieselbach entrissen?
Möglich, dass am Rusteberge
meiner harrt ein fetter Bissen!“ –

Zwar den Rusteberg, den nahm er,
doch der Propst vom Martinsstifte
Heiligenstadts schrieb mit der Feder
und auch mit des Schwertes Stifte:

„Lieber Heinrich, zeuch herfüro,
Heinrich, komm zu meinen Händen,
dir des Friedbruchs rechte Löhnung,
der Gefang’nen Brot zu spenden!“ –

War der Graf auch stegreiflustig.
stand er sonst doch bei dem Rechten:
Der betrog’nen Frau von Brabant
half er gegen Meißen fechten. –

Nah dem Stamme fällt der Apfel,
denn auch Albrecht, seinem Sohne,
drohte Mainz mit Acht und Banne,
wenn er nicht den Stegreif schone.

Seine Fehde wider Friedrich
mit der „angebiss’nen Wange“,
wider Diezmann, dessen Bruder,
macht dem Eichsfeld weh und bange:

Macht ihm selber viele Schulden,
die, als Todes er gestorben,
mit den Schlössern, Gut und Mannen
Heinerich, der Sohn, erworben.

„Frommt’s, dass für des Vaters Schulden
ich mein sonstig Gut verpfände?
Lieber gebe ich das Eichsfeld
käuflich in des Mainzers Hände“:

Und zu Fritzlar ward geschrieben
bald der Brief mit dem Bedinge,
dass der Kurfürst Gerhard zahle
sechzehnhundert Silberlinge. –

Erzbischöflich ward die Veste
in des Hochwalds kühnem Rahmen,
erzbischöflich ward das „Eichsfeld“
und es dehnte seinen Namen.

Von der Höhe zu der Tiefe
auf die mainzschen Landesflächen
an der Leine, an der Hahle,
an der Friede muntren Bächen.

Und der Amtmann auf dem Berge
sprach das Recht in Bischofs Namen;
schöne Zeiten, Friedenszeiten,
aber auch die wilden kamen:

Hansteins Werner, burggesessen
schaltet auf dem Gleichensteine:
Hu, da qualmen Rauch und Flammen
aus der korngefüllten Scheune!

Das war Korn des Oberamtmanns
Heinrich auf dem Rusteberge,
und des Brandes zeiht er Werner,
er, der selbst des Landes Scherge! –

Und aus diesem Scheunenbrande
hat ein Kriegsbrand sich entzunden,
der den guten Heiligenstädtern
schuf viel Beulen, Weh und Wunden. –

Und viel Beulen, Weh und Wunden
in dem langen Schwedenkriege
hat die Vefte selbst empfunden
durch des Feind’s und Freundes Züge.

Gleichenstein! Das war die schöne,
um die buhlten Schwed’ und Kaiser:
Schwere Kugeln sind da droben
davon heute noch die Weiser.

Wer das „Klüschensschloss“ genommen,
war der Herr des ganzen Landes:
Darum bald in Schwedenhänden,
bald in kaiserlichen stand es.

Wer es hatte, war der Schrecken
weit bis in die Hessengaue,
darum krachten die Kartaunen
hundertmal an seinem Baue.

Königsmarck, er ließ es schleifen,
Kaiserliche heilten’s wieder,
selbst noch in dem Jahr des Friedens
riss es Douglas grundaus nieder. –

Jetzt das Haus zum Gleichensteine
ist ein mattes Bild des alten:
Manchmal pafft die Jägerbüchse,
wo einst Donnerbüchsen hallten!

Manchmal wird es noch lebendig
in dem Wald an Feiertagen,
doch es sind die Martinfelder,
die ein „Fässchen“ angeschlagen.

Anmerkungen und Erklärungen zu „Klüschen und Gleichenstein“

1. Die große Wallfahrt zu Hagis, der „Klüschenstag“, ist auf Mariä Heimsuchung bez. am Sonntag danach. Der folgende Mon¬tag ist den hl. Messen und Fürbitten für die armen Seelen gewidmet. Die „Hozeldörfer“, auch „Heckendörfer“, sind die kleinen Dörfer westlich von Ershausen.

2. „Opfern eine schwarze Henne …“
Die Wingeröder opfern am Klüschenstage gemäß einem alten Gelöbnis in Pestnot ein schwarzes Huhn (soll seit wenigen Jahren in Geldopfer umgewandelt fein) und erscheinen mit einer schwarzen Fahne. Böse Menschen behaupten, dass auch junge Mädchen ein solches schwarzes Huhn nach Hagis opfern aus Furcht, unbemannt aus dem Schneider zu kommen, ein Zustand demnach, dem sie dieselbe Gefährlichkeit beimessen wie der Pestilenz.

Der „Eselsborn“ ist rechts am steilen Wege zum Gleichen¬steine (im Volke „Klüschensschloss“ genannt), weil von hier per Esel das Wasser geholt wurde; das „blaue Wunder“ die südwestliche Bergkuppe mit schöner Aussicht
.
„Links das Pfarrhaus in den Nelken …“
Gegenüber dem Herrenhause derer von Bodungen die Pfarrei, berühmt wegen massenhafter seltener Nelken. Im Pfarrhause wird ein eigenes „Nelkenfest“ gefeiert.

Die Grafen von Gleichen zu Tonna haben Schloss Gleichenstein erbaut; sie waren die Dynasten des „Eichsfeldes“, das von vier bis Mühlhausen ging, sich mehr oder weniger rechts und links von dieser Linie ausdehnte und die Ämter Gleichenstein, Scharfenstein und Birkenstein umfasste. Vor dem 13. Jahrhundert wohnte kein Graf von Gleichen hier, dann aber Heinrich von Gleichen, der seinem Bruder Ernst die meisten thüringischen Güter ließ. Dieser Heinrich Glichen de Glichenstein, wie er sich schreibt, liebte Wegelagerei, kam deswegen in Verlust seines Schlosses Vieselbach durch den Lehnsherrn desselben, den Landgrafen von Thüringen (1234) und sogar in die Reichsacht. 1238 überfiel er den Rusteberg und wurde vom Propste des Heiligenstädter Martinsstiftes gefangen.

In dem großen thüringischen Erbfolgestreite, der ganz Mitteldeutschland in Mitleidenschaft zog, stand Heinrich treu (ob¬wohl sich die meisten thüringischen Großen 1249 unterwarfen) auf Seiten der Gräfin Sophie von Brabant, der Tochter der hl. Eli¬sabeth, wider Heinrich den Erlauchten von Meißen.

Nach Heinrichs Tode 1237 folgte ihm auf dem Gleichenstein sein Sohn Albrecht. Wegen seiner Plünderungen wurde er von Mainz mit dem Banne bedroht. In dem schmählichen Streite Albrechts des Entarteten von Meißen und Thüringen wider seine Söhne Friedrich mit der gebissenen Wange und Diezmann stand er auf Seite des bösen Vaters, durch welche Parteinahme das Eichsfeld außerordentlich zu leiden hatte und ihm selbst Schulden erwuchsen. Sein Sohn Heinrich (seit 1283) verkaufte deswegen das Eichsfeld zur Entlastung seiner übrigen Güter 1294 an den Kurfürsten Gerhard II. von Mainz für 1100 Mark feinen Silbers und 500 Mark Freiberger Silbers. Seit dieser Zeit ging der Name „Eichsfeld“ über auf die übrigen mainzischen Besitzungen in dieser Gegend und die späterhin dazuerworbenen.

(Stichelei in Klammer: Die Dingelstedter, Küllstedter u.s.w., die sich mit Vorliebe nur „Thüringer“ nennen (was ja ethnographisch alle Obereichsfelder sind, sind also gerade die wurzelechten Eichsfelder. Klammer geschlossen.)

Von da ab saßen kurfürstliche Amtleute auf Gleichenstein, bis sein Gericht 1793 nach Dingelstedt verlegt wurde. Einer dieser war Werner von Hanstein (siehe unter „Hanstein“!) zeitweilig. Als 1472 zwei Scheuern mit Getreide, dem Oberamtmann Heinrich von Schwarzburg gehörig, auf dem Gleichenstein niederbrannten, bezichtete dieser jenen der Brandstiftung, sodass der beiderseitige Hass sich noch vertiefte.

Im 30-jährigen Kriege spielte neben der Festung Duderstadt der Gleichenstein die Hauptrolle. Siehe über seine schweren Schick¬sale Duval, S. 285 ff.

N.b.: Die Schlussstrophe von „Gleichenstein“.

„Doch es sind am Klüschensanger
frohgemutete Kapläne,
die aus weitgebauchter Bowle
kosten Eckenmüllers Träne.“

musste auf Antrag des Herrn „Clemens“ a. d. L. gestrichen werden.: 1. weil die Klüschensherrn sehr zähe zu Bowlen seien (und dann noch was für welchen!) und 2. weil niemand einen Müller kenne, der Ecken mahlt und dazu Tränen weint.