Internatsschule Schloss Bischofstein: Der älteste lebende Schüler erinnert sich (1982)

Wir baten Bernhard Ashelm, der heute fast 80-jährig in Baden-Baden (Sofienstraße 26) im Ruhestand lebt, uns einige Erinnerungen aus seiner Schülerzeit in Bischofstein zu vermitteln.

Bernhard, geboren am 15.02.1903 in Berlin, folgte seinem 1912 in die Quinta eingetretenen Bruder Günther ein Jahr später und blieb bis 1918 in Bischofstein. Er erlernte, einer Familientradition folgend, den Beruf des Papiermachers und war in verschiedenen Positionen dieses Fachbereichs tätig. 1928 ging er nach England und anschließend nach Australien und kehrte 1933 nach Deutschland zurück. Nach dem Zweiten Weltkrieg leitete sein Bruder Günther den zentralen Produktionsbetrieb der Firma Ferdinand Ashelm K.G. in Berlin, während Bernhard der Kölner Filiale vorstand.

Bernhard Ashelm erinnert sich besonders der überragenden Persönlichkeit von Dr. Marseille, an dessen einprägsame Sonntagsandachten, an seine Liederabende, bei denen der Leiter der Schule mit schöner klarer Stimme und dramatischer Gestik u. a. „Die Uhr“ von Loewe vortrug und an seine warme, menschliche Führungskraft. Als Dr. Marseille am 6. November 1917 erst 52-jährig starb, wurde er im Vestibül des Alten Schlosses aufgebahrt. Da der vom Dorfschreiner hergestellte Eichensarg am Ende der Trauerfeier nicht fest zu schließen war, wurde Bernhard beauftragt, den Deckel passend einzufügen und zuzunageln. „Sollte es eine Mutprobe für mich gewesen sein, ich weiß es nicht; ich tat es, so glaube ich, mit einer gewissen Hingabe.“ Der Sarg wurde anschließend von der ganzen Schule zum kleinen Friedhof auf dem Kuhpalais geleitet und dort beigesetzt.

Von den damaligen Lehrern sind ihm noch besonders in Erinnerung der Religionslehrer Pfarrer Blaskowitz, Herr Opladen, der auch die Ausbildung im Werken leitete, Dr. Wenke, Dr. Schieferstein und der Zeichenlehrer Natorp. Blaskowitz, ein ausgesprochener Charaktertyp, war besonders beliebt, obwohl er mit seinen gekrümmten Fingern – eine Folge von Erfrierungen bei eiskalten Beerdigungen in seiner ostpreußischen Heimat – manchmal böse Kopfnüsse, „Dittches“ genannt, austeilte. Dr. Wenke hatte als Schriftsteller einen Namen. Dr. Schieferstein und seine Frau bauten sich auf dem Weg zum Dorf später das schöne Haus, in dem nach ihnen die Schulärzte wohnten. Der Künstler Natorp und seine Familie blieben der Schule noch jahrzehntelang verbunden.

Bernhard Ashelm, offenbar handwerklich besonders talentiert, wirkte sehr gern in der Tischlerei. Mit Herrn Opladen, der stets angetan war mit Manchester-Anzug (heute Cord genannt) und Kniebundhosen, und anderen Schülern baute Bernhard die große Holzhütte auf dem Kuhpalais vor dem kleinen Fußballplatz. Die ganze Inneneinrichtung war von ihnen selbst getischlert. In dieser Hütte erlebte Bernhard viele schöne Abende wie noch Generationen von Bischofsteinern nach ihm. An kalten Abenden wurde der Kamin angezündet, dessen flackernder Flammenschein so recht zur romantischen Stimmung der diskutierenden und singenden Kameraden gehörte.

Oberhalb dieser Hütte baute sich Bernhard gemeinsam mit Mertes in einer mächtigen Buche eine große Baumhütte. Versteckt im Laubdach beobachteten sie die unter ihnen friedlich grasenden Kühe, die Vögel, die nahebei ihre Nester hatten, die Eichhörnchen, die ihren Wintervorrat sammelten und die vorbeiwandernden oder auf dem Fußballplatz spielenden Bischofsteiner.

In der Tischlerei entstand auch der Luxusbob (Bobsley) des Fritz Poensgen – ein breites, reichlich stabiles Fahrzeug, das in großer Fahrt vom Stein herab zu Tal sauste. Die Tischlerei war auch maßgeblich beteiligt bei der Erstellung der Inneneinrichtung des 1916 erfolgten Ausbaus des bisherigen Dachbodens („Theaterboden“) im „Alten Schloss“ zum Wohntrakt der Familie Marseille. Eine zentrale Funktion kam dem an die Diele angrenzenden Musikraum zu, der gleichzeitig den Theateraufführungen diente. Die drei Söhne Marseilles bewohnten die kleinen Zimmer an der Treppe (später Wohnung Bonus).

Unvergessen sind auch die Theateraufführungen, bei denen Frau Marseille Regie führte und zugleich tragende Frauenrollen übernahm. Ganz besonders eindrucksvoll Shakespeares „Sommernachtstraum“ vor der farbigen Kulisse des Bondy­Hauses. Außer diesem, am Abhang des Schlossparks gelegenen Gartenhauses, das sich Fritz Bondy erbaut hatte, gab es noch das kleine, nur einen Raum einnehmende Gartenhäuschen, das Bernhard Ashelm gemeinsam mit Freund Mertes in seinen letzten Bischofsteiner Jahren bewohnte.

Auch bei der Arbeit auf den Feldern wirkte er tüchtig mit, zumal beim Einbringen der Getreide- und Heuernte mit dem Pferdewagen. An kulinarischen Genüssen der Bischofsteiner Küche sind ihm besonders die Dampfnudeln („Spezialität des Hauses“) und der köstliche Zwetschgenkuchen in Erinnerung. Mit dem Eselswagen brachte er Früchte und Zutaten zum Bäcker Rummel ins Dorf und holte vor dem Abendessen den wunderbar duftenden Kuchen, von allen sehnlichst erwartet, zurück. Oft gab es auch damals Pflaumenmus, das im großen Waschkessel eingekocht wurde, von den Schülern stundenlang mit der „Muskrücke“ umgerührt.

Von den vielen Wanderfahrten, an denen er beteiligt war, blieb eindrucksvoll in Erinnerung die zum Hohen Meißner. Schon ganz früh krochen alle aus der Strohschütte auf dem Dachboden des Schwalbental-Hauses und erlebten den Sonnenaufgang über den östlichen Bergen des Werratales.

Auch an die Abtragung des „Nikotinberges“ kann sich Bernhard Ashelm noch gut erinnern. Es war in Bischofstein streng verboten zu rauchen. Sicherlich gab es doch einige ältere, die diesem Laster auf einsamen Waldwegen nachgingen. Aber einmal kam es auf der Rückfahrt aus den großen Ferien auf der Strecke Leinefelde – Eschwege, der alten „Kanonenbahn“ (Berlin – Metz), zu einem Massenexzess. Angeregt von einigen Großen pafften auch jüngere Schüler – auch wenn es nur einige Züge vom Nachbarn waren. Der Frevel kam heraus, da einigen noch nach der Rückkehr schlecht wurde und Lengenfelder Mitreisende dieses verwerfliche Vergehen nicht für sich behalten konnten. Jedenfalls gab es beim ersten Appell eine peinliche Befragung und kaum einer drückte sich, zu seiner Tat zu stehen. Am folgenden Samstagnachmittag standen die Sünder mit Picke und Schaufel an dem kleinen Berg vor der Toreinfahrt und begannen den felsigen Boden abzutragen.

So entstand als nützliche Freizeitbeschäftigung im Laufe der Jahre der kleine Sportplatz, überragt vom Rest des „Nikotinberges“. Einmal gab es auch einen bösen Unfall, als Reinhard Feuerbach beim Umkippen der Lore zu Schaden kam und in das Krankenhaus nach Eschwege gebracht werden musste.

Von den Mitstreitern jener unvergesslichen Jahre sind Bernhard Ashelm noch besonders in Erinnerung: Messel, Schütte, Spies, Aengeneyndt, Marseilles, Poensgen, Tölken, Blumenreich, Gerlach, Kirstein, Matz, Hering, Lappe, Erbe, de Cuvry, Umbach, Emil Heye, Bondy und Falkenhayn. Gerlach besuchte er 1920 auf dessen Gut in Ostpreußen anlässlich einer Wanderung von Danzig nach Memel.

Wenn auch der größte Teil seiner Bischofsteiner Jahre durch die Schwierigkeiten und die Bedrückung des Ersten Weltkrieges geprägt waren, empfindet sie Bernhard Ashelm als die schönsten seiner Jugendjahre. Er, der viel in der Welt herumgekommen und auch jetzt noch öfters auf Reisen ist, erinnert sich gern dieser Jahre. Er hofft, auch am Bischofsteiner Treffen am 4. – 5. September 1983 teilnehmen zu können.


(Quelle: „Bischofsteiner Rundschreiben“, Weihnachten 1982, S. 5 – 6)