Im romantischen Eichsfeld (1924)

Ich stehe hier auf sonniger Bergeshalde und schaue hinab ins stille, verträumte Tal. Ringsum säumen es bewaldete Höhen und in ihm dehnt sich mein trautes Dörflein. Golden lacht die Sonne aus südlich blauem Himmel, die ersten Schmetterlinge wiegen sich im Äther und summende Bienen naschen an den wenigen Blumen, die uns der heurige Lenz bis jetzt schenkte. Hier und dort beleben fleißige Leutchen die Felder, alle beschäftigt, den Samen zu neuer gesegneter Ernte dem Boden anzuvertrauen.

Alte deutsche Eigenart, Zufriedenheit und tiefen Gottesglauben hat sich das Völklein hier als kostbarstes Erbgut bewahrt. So steinig und karg der Boden auch ist, so redlich müht‘s ab, und dankbar nimmt‘s den geringsten Ertrag an als köstliche Gabe aus der Hand des allgütigen Schöpfers.

Der Mühlberg ist‘s von dem ich den prachtvollen Blick ins enge romantische Tal – eines der schönsten des Eichsfeldes – genieße, von allen Seiten neigen sich wäldergekrönte Höhen und nur nach dem Westen treten sie weiter zurück, dem Auge ein größeres Bild freigebend. Mein Blick streift die Häuserreihen von Lengenfeld und den sie alle überspannenden Bahnviadukt. Noch weiter zurück grüßt der Bau der Erziehungsschule Bischofsstein.

Von dort schweift das Auge über den Kälberberg hinüber nach dem dicht vor mir liegenden „Stein“, den ich in alten Urkunden als „Elisabethenstein“ bezeichnet fand. Sicherlich hat die heilige Elisabeth, die bekanntlich Landgräfin von Thüringen war und zu deren Besitzungen auch Bischofstein gehört haben soll, bei einem Besuch unserer Gegend auch diesen Berg erstiegen und von dessen westlichen Punkte aus – dort, wo er nach Lengenfeld zu steil abfällt – den herrlichen Blick nach dem Hülfensberge und die eichsfeldische Höhe genossen. Lange blieb der Name Elisabethenstein in der gläubigen Bevölkerung erhalten, wie ein massiger Klotz liegt er vor mir, dieser Berg mit seinem steilen südlichen Abhange, nach älteren Bezeichnungen der „Faulungen-Wand“.

Oft habe ich ihn schon erstiegen und von ihm den weiten Blick auf das Lengenfelder Tal, den Hülfensberg und die im Horizont verschwimmenden hessischen Berge auf mich wirken lassen. Und wenn ich am südlichen Abhange stand und hinabschaute auf das im Tale liegende Faulungen mit seinen an den Berg angeschmiegten Häusern, dann lag es vor mir, wie aus einem Luftfahrzeug erschaut.
 

Carl Walter, Faulungen
(Quelle: „Eichsfelder Heimatborn – Band 1, „Das schöne Eichsfeld“, Heiligenstadt: Cordier, 1924, S. 35. Ferner erschienen in: Germania – Zeitung für das Deutsche Volk, 1924, Nr. 273)