Im Beinhaus

Einst auf dem Hülfensberge
Hoch auf dem Lug-ins-Land
Stand eine graue Halle,
Lehn an Salvators Wand.
Drin stand die Totenbahre,
Des Totengräbers Karst,
Drin lag was nicht im Grabe
Vermodert und zerbarst
Von allen den Entschlafnen
Im Herrn rings in der Rund,
Die letzte Ruhe suchten
Hier auf geweihtem Grund.
Nichts störte diesen Frieden
Von früh bis Abend spät,
den Frevler hielt in Schranken
Des Todes Majestät.
Nur Fledermäuse flogen
Hier ein und aus zur Nacht,
Und einsam auf dem Dache
Hielt eine Eule Wacht.

Zu Geismar in der Schenke
Singt hell der Burschen Chor,
Der Nachtwind trägt die Klänge
Auf Schwingen leis empor.
Man wettet einen Anker
vom besten Kirmesbier
Für den, der einen Knochen
Holt aus dem Beinhaus schier.
Ein Wagehals steigt nächtlich
Zum Berg in schnellem Lauf,
Tritt in das Beinhaus schaudernd,
Nimmt einen Schädel auf.
Die Tafelrunde preiset
Des kühnen Wagemut:
"Nun Schenk! schlag an den Anker
Der Leichentrunk wird gut."
Da klopft es an den Laden
Mit dürrer Knochenhand,
Es klirren alle Scheiben
Vorbei war Spiel und Tand.
Da draußen auf der Mauer
- Gewahrt der scheue Blick -
Hockts wie ein menschlich Wesen.
Heischts: "Mein Gebein zurück!"

Da wird es auch dem Kecksten
Ums Herz so weh und leid,
Bleich fleht der Missetäter
Den Freund an ums Geleit.
Doch jeder zuckt die Achseln:
"Du holtest es allein,
Allein trag auch zu Berge
Das Totendürrgebein."
So trat denn an der Ärmste
Den bitterbösen Gang:
Des waldes Blätter rauschen
Wie ferner Grabgesang.
Ein Reh, das aus dem Rinnsal
Des Hülfensbornes leckt,
Hat flüchtend doch beinahe
Zu Tode ihn erschreckt.
Der Flügelschlag des Habichts,
Vom Nachtsitz jäh verscheucht,
Läßt ihn zusammenfahren,
Ein Nackenschlag ihm deucht.
Er klimmt zur Bergeshöhe,
Ganz nahe hört er schrein
Vom Lindenbaum die Eule,
Das Geht durch Mark und Bein.
Jach stößt er auf die Türe
- Sein Herzschlag setzt fast aus, -
Gestreift hat ihn der Flügel
Von einer Fledermaus
Er wirft hinein den Schädel,
Dumpf dröhnt es durchs Gemach;
Da hebt vom hohen Turme
Die Glocke aus zum Schlag,

Und gellend rufts: "Ha schlüge
Die Glocke jetzt nicht "ein"
Zerbräche ich, Verruchter!
Dir wahrlich Hals und Bein".
Da wars, als ob Verzweiflung
Die Kehle ihm umkrallt,
Fortstürmt er voll Entsetzen
Zu Tale durch den Wald.
verfehlt den Weg, stürzt nieder
Am Bonifatius-Born,
Dort fand man ihn am Morgen,
Verstrickt im Hagedorn.
Des Fiebers Schauern schütteln
Den Jugendstarken lang,
Bis das der Totenengel
Ihn holt zum letzten Gang.
- - -
An einem Sommerabend
Saß ich beim Sternenglanz
Dort unter der Beinhauslinde,
Im Wind ächzt ein Totenkranz,
Mich umschwirren die Fledermäuse,
Im Walde die Eulen schrein,
Ein weißer Nebelstreif ziehet
Dort über die Gräberreihn;
Das Beinhaus ist abgebrochen
Bis auf den letzten Stein,
Der Mund, der die Mär mir gekündet
Ist selbst nun ein Totengebein.
Doch es rauscht noch im Winde die
Und singt noch ihr altes Lied: [Linde
Was immer seit Jugendtagen
Sie nächtlich sinnet und sieht.