Hundert Jahre „Kanonenbahn“ (1980)
Die wohl interessanteste Bahnlinie des Eichsfeldes, die sogenannte „Kanonenbahn“, beging am 15. Mai 1980 ihr 100-jähriges Jubiläum. Bereits 1867 hatte das Eichsfeld durch die Eröffnung der Bahnstrecke Nordhausen – Arenshausen Anschluss an das damalige deutsche Eisenbahnnetz erhalten. Ihr folgte 1871 noch die Bahnlinie Leinefelde—Gotha als Verbindung zur „Thüringischen Eisenbahn“. Aus welchen Gründen kam es zum Bau der kostspieligen und ingenieurtechnisch so schwierigen „Kanonenbahn“?
Das als Ergebnis des deutsch-französischen Krieges im Jahre 1871 gegründete Deutsche Reich als preußisch-deutscher Militärstaat brauchte für seine aggressiven Pläne – besonders Frankreich gegenüber – solcher Kantinen: im Hagen östlich von Küllstedt, im Böddeschen am Tunneleingang, im Hübental am Tunnelausgang, bei den Neun Börnern, im Luttergrund bei der Luttermühle, im Rottenbachtal (Rosental), am Heiligenberg, im Habichtstal und im Herode. Natürlich waren auch für die Gastwirte vorübergehend „goldene Zeiten“ angebrochen. Zum Beispiel gab es damals in Großbartloff zehn Gastwirtschaften. Aber auch an Streit und Schlägereien, besonders an den Wochenenden, fehlte es nicht, und mehrfach soll es bei ihnen zu Messerstechereien gekommen sein.
Die schweren Bauarbeiten mussten in harter körperlicher Arbeit mit Hacke, Schaufel, Tragekasten und Schubkarren durchgeführt werden, denn es fehlte doch damals noch an moderner Technik, mit der man heute Bauten solcher Art ausführt.
Die für das Bahnbaugelände benötigten Flurstücke erzielten hohe Verkaufspreise, ganz gleich, ob es sich um Ackerland, Wald oder Ödland handelte. Besonders gut wurden die in der sogenannten Gefahrenzone unter der Lengenfelder Brücke liegenden Häuser bezahlt. Denn hier war ihr Abriss unumgänglich. Nicht immer jedoch verlief der staatliche Grundstückserwerb ohne Schwierigkeiten. Besonders in Dingelstädt stieß man auf starke Widerstände. Dort kam es am 29. August 1878 zur Vorladung der Besitzer wegen der zwangsweisen Enteignung von 53 in der Dingelstädter Flur gelegenen und für den Bahnbau benötigten Grundstücken, für die der preußische Staat die zu zahlende Entschädigungshöhe im Enteignungsverfahren festlegte. Es kam aber auch in diesem Zusammenhang noch zu zahlreichen Prozessen, von denen sich einzelne über den Eröffnungstermin der Bahnstrecke hinaus verzögerten.
Für die zahlreichen Brücken- und Tunnelbauten wurden große Mengen Steinmaterial benötigt. In den Kalksteinbrüchen bei Eigenrieden und Struth sowie im Dünberg bei Lengenfeld brachen einheimische Saisonarbeiter gewaltige Steinmassen, und aus den Brüchen bei Arenshausen und Marth kam der Sandstein. Das Fuhrgeschäft vieler eichsfeldischer Bauern, von denen manche ihren Pferdebestand verdoppelten oder gar verdreifachten, erlebte eine einmalige und kurze Blütezeit, denn nur mit Fuhrwerken konnte das Steinmaterial auf dem größten Teil der Transportwege zu den Baustellen gebracht werden. Die Sandsteine von Arenshausen gelangten mit der Bahn bis Silberhausen, der damals schon im Betrieb befindlichen Station der Strecke Leinefelde—Gotha, und wurden von dort mit Pferdewagen zu den Tunnel- und Brückenbauten und zum Teil sogar über Küllstedt bis ins Hübental geschafft. Starke Steigungen auf der Fahrstrecke, wie sie der Haßberg oder die Trift in Küllstedt aufweisen, konnten nur mit mehrfachem Vorspann überwunden werden.
Der Arbeitsschutz und die soziale Betreuung der Arbeiter war zur Zeit des Bahnbaues sehr mangelhaft. Deshalb kam es bei der großen Zahl der Beschäftigten und durch die Schwere der Arbeit zu so zahlreichen Unfällen, dass damals in Küllstedt in der Poststraße ein Lazarett eingerichtet werden musste.
Nach fünfjähriger Bauzeit war die Bahnstrecke Leinefelde – Eschwege fertiggestellt. Ihre Abnahme fand am 28. April 1880 statt, an der Vertreter der Königlichen Eisenbahndirektion zu Frankfurt a. M., die königlichen Landräte der Kreise Worbis, Mühlhausen und Heiligenstadt, die königlichen Bauinspektoren aus Mühlhausen und Heiligenstadt, die Abteilungsbauleiter und die Amtsvorsteher und Bürgermeister der betreffenden Gemeinden teilnahmen. Das Abnahmeprotokoll begann mit der Feststellung, dass bei der Revision der Bahnstrecke keine Anstöße festgestellt wurden, die die am 15. Mai 1880 beabsichtigte Inbetriebnahme der Bahn verzögern könnten. Trotzdem mussten aber noch 32 notwendige Forderungen und Veränderungen in das Protokoll aufgenommen werden, von denen allein sieben auf den Flurbereich Großbartloff entfielen. Es handelte sich vor allem um erforderliche Überwege, zusätzliche Wegebauten, Entwässerungs- und Vorflutanlagen, Durchlässe und Grabenverbreiterungen. Am Bahnhof Küllstedt erwies sich die Befestigung der Rampe als erforderlich. Trotz dieser zu beseitigenden geringfügigen Mängel fand zum vorgesehenen Termin die feierliche Eröffnung der Bahnstrecke statt.
Es war eine Bahnlinie gebaut worden, die das Eichsfeld mit einer Länge von 41 Kilometern in nordost-südwestlicher Richtung überquert. Obwohl eine Anzahl Tunnels und Brücken den Weg verkürzen (mit einem Wasserscheidentunnel bei Küllstedt und sieben Sporntunnels besitzt die Strecke ebenso viele Tunnels wie sämtliche Bahnlinien im Harz oder im Erzgebirge zusammen), weicht sie als Hauptlinie am meisten von der Geraden ab. Auf der 26,2 km langen Luftlinienentfernung ist es ein Umweg von 14,8 km. Der Umwegskoeffizient ist mit 56,4 Prozent errechnet worden. In vertikaler Hinsicht stellte die Obereichsfelder Höhe als Wasserscheide zwischen Werra und Unstrut das Haupthindernis dar. So hat die Bahn zwischen Eschwege und Küllstedt auf 28 km Länge eine Steigung von 240 m zu überwinden. Der Scheitelpunkt der Strecke liegt nahe dem Bahnhof Küllstedt.
Für das Ober- und Südeichsfeld schuf der Bahnbau die Voraussetzung für eine wirtschaftliche Erschließung und für die industrielle Entwicklung. Weiterhin trat neben der erleichterten Reisemöglichkeit für die Bevölkerung auch in der Postbeförderung eine wesentliche Verbesserung ein.
Bei Inbetriebnahme der Bahnstrecke war die Zahl der Bahnhöfe noch gering. Es handelte sich zunächst nur um Dingelstädt, Küllstedt, Geismar und Schwebda. In den ersten Jahren fuhren die Züge noch gemischt, d. h., Personen- und Güterwagen waren in einem Zug vereint. In der Regel wurde dann auf den Bahnhöfen rangiert, ein- und ausgeladen. Dieser Zustand veränderte sich erst später, als sich für weitere an der Bahnstrecke liegende Dörfer das Bedürfnis ergab, Bahnhöfe einzurichten. Lengenfeld bekam am 1. Mai 1888 seine erste Haltestelle etwa 100 Meter vom westlichen Brückenkopf entfernt. Zwanzig Jahre später wurde dann die Station zum Vollbahnhof mit Güterverkehr ausgebaut und am 16. Dezember 1908 eröffnet. Großbartloff erhielt am 1. Dezember 1894 seine Haltestelle. Kefferhausen folgte im Dezember 1903 und Effelder am 1. Dezember 1905. Der Bau eines Güterbahnhofes gemeinsam für Effelder und Großbartloff am Roten Rain wurde zwar von der Bahnverwaltung genehmigt, scheiterte dann aber an der Unentschlossenheit der beiden Gemeinden, die sich über den gemeinschaftlichen Bau einer Straße ins Rottenbachtal nicht einigen konnten.
Zwischen 1910 und 1912 wurde die Bahnstrecke auf ganzer Länge zweigleisig ausgebaut. Noch einmal entrollte sich das Bild eines Bahnbaues. Große Mengen Bettungsmaterial für den Oberbau, Schwellen und Schienen wurden herangeschafft. Auch auf den Bahnhöfen wurden noch Erweiterungsbauten durchgeführt. So erhielt beispielsweise der Bahnhof Küllstedt eine Drehscheibe für Lokomotiven. Geplant wurde sogar, einen Schnellzugverkehr zur Entlastung der Halle-Kasseler-Strecke einzuführen. Da aber brach der 1. Weltkrieg aus, und es zeigte sich, welche Bedeutung unserer Bahnstrecke militärisch-strategisch beigemessen wurde. Denn zur Sicherung der Tunnel- und Brückenbauten wurde bewaffneter Bahnschutz aufgeboten, und in Küllstedt und Großbartloff waren zu diesem Zweck etwa 100 Soldaten einquartiert.
Da aber erwartete Sprengstoffanschläge ausblieben und der Krieg sich anders und verlustreicher als vorgesehen entwickelte, zog man die Bahnwache vier Monate nach Kriegsbeginn wieder ab. Auch wurde erkannt, dass der äußerst geringe Kriegsverkehr auf der Strecke mühelos von anderen Linien mitbewältigt werden konnte. Durch die Einführung leistungsstärkerer Lokomotiven und durch die zunehmende Geschwindigkeit verlor die einst mit großen Erwartungen und Hoffnungen angelegte Strecke so an Bedeutung, dass sie schon damals zur Nebenbahn degradiert wurde. Der Schlussstrich unter die „strategische Kanonenbahn“ wurde im Versailler Vertrag 1919 gezogen, in dem die Entfernung des zweiten Gleises gefordert wurde. Wieder fauchten Güterzüge heran, um Schienen, Schwellen und Bettungsmaterial abzufahren, und wieder quälten sich viele Bahnarbeiter in sinnlosem Unterfangen monatelang. Am Bahnhof Küllstedt wurde die Drehscheibe ausgebaut.
Hatte der aus rein strategischen Gründen und zum Teil quer durch eine Schichtstufenlandschaft vorgenommene Bahnbau schon große Schwierigkeiten bereitet, so wurde auch die Unterhaltung kompliziert und sehr kostspielig. Die größten Probleme bei einigen Tunnelbauten verursachte das Wasser. Nach einem heftigen Gewitter mit wolkenbruchartigen Niederschlägen am 27. Mai 1904 brach im Küllstedter Tunnel ein Teil des Gewölbes ein. Lehmwasser und Schlamm übergoss die Wagen. Ein Pendelverkehr zwischen der späteren Haltestelle Effelder im Süden und Küllstedt im Norden musste vorübergehend eingerichtet werden. Im Jahre 1929 entstand im Dachsbergtunnel gleichfalls ein Gewölbeeinbruch. Und im Kriegswinter 1939/40 kam es wiederum zu einem solchen im Küllstedter Tunnel beim Abschlagen von Eiszapfen, so dass die Strecke vorübergehend gesperrt werden musste. Der Tunnelbauzug war oft längere Zeit am Bahnhof Küllstedt stationiert. In mühevoller Arbeit wurden zum Teil bereits vor dem 1. Weltkrieg und danach besonders in den zwanziger Jahren sämtliche Tunnelgewölbe mit einer bis zu einem Meter starken Ziegelsteindecke übermauert und gegen Wasser isoliert.
An einigen Stellen der Strecke kam es auch wiederholt zum Dammrutsch, so im Mertel zwischen Küllstedt und Kefferhausen und im Rottenbachtal, wo die Dammschüttung auf und im Röt – einer stark wasserführenden Tonschicht des oberen Buntsandsteins – erfolgt war. Durch die Anpflanzung wurzelintensiver Holzarten wie Robinie und Schwarzkiefer wurden vielerorts Böschungen und Dämme mit Erfolg befestigt.
Trotz so vieler Schwierigkeiten blieb der Betrieb der Bahnlinie fast ohne Unfälle. Über den wohl bedeutendsten brachte „Unser Eichsfeld“ in Nr. 10/1937 folgende Notiz: „Effelder. Auf der Strecke Leinefelde—Eschwege entgleiste am 4. September 1937 um 15.20 Uhr der Personenzug 1336 aus bisher unbekannter Ursache. Die Lokomotive des Zuges stürzte um, vier Wagen entgleisten. Ein Reisender wurde schwer verletzt, drei Personen erlitten leichtere Verletzungen.“ Zu dieser Entgleisung war es im Ausgang des Mühlenberg-II-Tunnels zwischen den Haltepunkten Effelder und Großbartloff im Rottenbachtal gekommen.
Einige Zeit später kam es unmittelbar vor der Lengenfelder Brücke erneut zu einer Zugentgleisung, bei der wiederum die Lokomotive umstürzte, während der übrige Schaden jedoch gering war. Verursacht wurde dieses Eisenbahnunglück durch einen Internatsschüler des damaligen Gymnasiums Bischofstein, der zu „Härtetests“ verschiedene Gesteine und Minerale auf die Schienen gelegt hatte.
Unfälle leichterer Art gab es jedoch mehrfach. Zwei davon seien aus der Erinnerung des Selbsterlebten erwähnt: Bei der Ausfahrt aus dem Bahnhofsgelände Dingelstädt wurde 1943 ein Frühzug infolge falscher Weichenstellung in ein Abstellgleis gelenkt, der dort abgestellte Güterwagen vor dem Prellbock in- und aufeinander presste. Die meisten Reisenden kamen mit dem Schrecken und einige mit leichten Prellungen davon. Im Oktober 1944 stießen am Einfahrtsignal Küllstedt ein Personenzug und ein rangierender Güterzug zusammen. Der Aufprall der Lokomotiven war so stark, dass mehrere Puffer abbrachen und ein Eisenbahner aus Küllstedt, der sich im Gepäckwagen befand, einen Lungenriss erlitt.
Zwei Vorkommnisse, die durch das starke Gefälle der Strecke verursacht worden waren, sollen noch in Erinnerung gerufen werden: Auf dem Bahnhof Geismar kam ein Güterzugwagen ins Rollen und konnte erst in Schwebda, ohne vorher Schaden angerichtet zu haben, auf ein Nebengleis geleitet und dort zum Halten gebracht werden. Im Jahre 1979 geschah dasselbe im Bahnhofsgelände Lengenfeld. Vier dort abgestellte beladene Güterwagen setzten sich in Bewegung und beendeten ihre „Reise“ erst hinter dem Prellbock des Bahnhofes Geismar.
Während des 2. Weltkrieges war der Bahnbetrieb auch auf dieser Strecke in steigendem Maße auf Truppen- und Nachschubtransporte eingestellt und diente vorrangig der faschistischen Kriegsmaschinerie. So trafen beispielsweise in Küllstedt fast täglich vor allem aus den okkupierten Gebieten kommende und mit Flachs beladene Waggons ein, deren Verarbeitung in Anrode erfolgte.
In den letzten Kriegsjahren war auch auf der „Kanonenbahn“ das Reisen gefahrvoll und wenig erwünscht. Am Küllstedter Bahnhofsgebäude stand in großen Lettern: „Räder müssen rollen für den Sieg, unnötige Reisen verlängern den Krieg. Erst siegen – dann reisen.“ Ähnliche Parolen waren auch an den anderen Bahnhöfen der Strecke und an Lokomotiven zu lesen. Für viele aber, die in die graue Uniform gepresst reisen mussten, war der Abschied von den Angehörigen auf dem Bahnsteig ein Abschied für immer.
Als größte Gefahr für die Reisenden erwiesen sich damals die Tiefflieger. Denn ab 1944, als es den alliierten Streitkräften in steigendem Maße gelang, die Luftüberlegenheit in Deutschland zu erringen, gab es auch auf unserer Strecke zahlreiche Angriffe auf fahrende Züge und abgestellte Waggons. Der Bahnhof Küllstedt erlebte zwei solcher Luftüberfälle, die aber keine Menschenleben forderten, weil ein leerer Kesselwagenzug und auf einem Nebengleis stehende Eisenbahnwagen die Angriffsziele waren. Mehrfach gelang es auch Lokführern, bei drohender Gefahr in Tunneln Schutz zu finden. Bei allen Angriffen auf Ziele unserer Strecke gab es keine Toten. Auf der Bahnlinie Heiligenstadt – Schwebda jedoch wurden bei Krombach am 8. November 1944 durch die Geschossgarben eines Tieffliegers zahlreiche Reisende getötet oder verletzt. In den letzten Kriegsmonaten häuften sich die Luftangriffe derart, dass die meisten Militär- und Munitionstransporte in den Nachtstunden erfolgen mussten. Daran änderte auch die Aufstellung eines Flakgeschützes in Küllstedt nichts. Es kam noch nicht einmal zum Einsatz und wurde im dortigen Bahnhofskeller unter Kohlen versteckt, bis es am 8. April in Einzelteile zerlegt zusammen mit dem Munitionsvorrat in den nahen Wald gebracht wurde.
Anfang April 1945 wurde auch das vorläufige Schicksal der „Kanonenbahn“ besiegelt. Vor der aus dem Raum Frankfurt a. M. vorstoßenden 3. amerikanischen Armee zurückweichende Verbände der faschistischen Wehrmacht sprengten am 2. April die Friedatalbrücke vor dem Schwebdaer Tunnel. Die vorbereitete Zerstörung des 350 Meter langen Lengenfelder Viadukts konnte durch die Initiative des Bürgermeisters Franz Müller und eines im Ort anwesenden Hauptmannes einer Gefangenenbewachungsmannschaft verhindert werden. Allerdings kam es in Vorbereitung eines faschistischen Gegenangriffes auf amerikanische Einheiten bei Struth am 6. April gegen 5 Uhr zur völlig sinnlosen Sprengung der Büttstedter Brücke. In Sekunden wurde ein Bauwerk zerstört, an dem mehrere Jahre mit großem Kostenaufwand gearbeitet worden war. Nur der Schienenstrang blieb erhalten und hing leicht durchgebogen in schwindelnder Höhe. So war die „Kanonenbahn“ 65 Jahre nach ihrer Inbetriebnahme zwischen Küllstedt und Schwebda zu einer unbefahrbaren Strecke geworden. In großer Zahl abgestellte zerschossene Lokomotiven und beschädigte Waggons prägten das Bild der größeren Bahnhöfe. Die Diensträume der Stationen waren durch amerikanische Soldaten verwüstet und ihre Inneneinrichtungen und die Bahnbetriebsanlagen teilweise zerstört.
Nach Kriegsende begannen die Eisenbahner sofort damit, Trümmer und Schäden zu beseitigen, um die Strecke wieder befahrbar zu machen. Wichtigste Aufgabe war die Wiederherstellung der gesprengten Büttstedter Brücke. Die Arbeiten mussten, da es an Technik mangelte, zum Teil in harter Handarbeit mit primitiven Arbeitsmitteln durchgeführt werden. Anfang September 1945 war die Enttrümmerung beendet. Der Brückenneubau konnte beginnen und war nach fünfmonatiger Bauzeit Ende Dezember 1945 im Wesentlichen abgeschlossen. Am 28. Dezember 1945 wurde die fertiggestellte Notbrücke erstmals befahren. Nun war ein durchgehender Zugverkehr von Leinefelde bis Geismar – bedingt durch die Teilung Deutschlands in Besatzungszonen – wieder möglich.
Während der Kriegsjahre und auch in den ersten Jahren danach war die Unterhaltung der Tunnel vernachlässigt worden. Deshalb mussten an ihnen in den fünfziger Jahren bis Mitte des folgenden Jahrzehnts sehr umfangreiche Erhaltungsarbeiten vorgenommen werden. Die siebziger Jahre brachten auch auf dieser Bahnstrecke das Ende der Dampflokzeit. Heute rollen auf ihr moderne und leistungsfähige Diesellokomotiven. Auf den früheren Feuerschutzstreifen, die viele Jahrzehnte beiderseits der Bahnlinie immer wieder mit großem Kraft- und Kostenaufwand erneuert werden mussten, wachsen jetzt Gräser, Kräuter und Gehölze.
Aus Rentabilitätsgründen wurde Anfang der 1970er Jahre die Stilllegung der Strecke ab Bahnhof Dingelstädt erwogen. Der Personenverkehr sollte sogar gänzlich auf die Straße verlegt werden. Aber diese Vorstellungen kamen nicht zur Verwirklichung, und allen Gerüchten und Vermutungen zum Trotz rollt die „Kanonenbahn“ weiter, deren nur der friedlichen Arbeit in unserer sozialistischen Republik dienende Existenz schon 35 Jahre in keinem inhaltlichen Zusammenhang mehr mit der alten Bezeichnung steht.
Eduard Fritze
(Quelle: „Eichsfelder Heimathefte“, Heft 3/1980, S. 195 – 208)
Anmerkung
Dieser Beitrag erhebt keinen Anspruch auf eine ausführliche oder gar vollständige Darstellung der geschichtlichen Entwicklung der „Kanonenbahn“. Dazu hätte es vor allem des Studiums archivalischer Unterlagen bedurft, die aber trotz aller Bemühungen nicht aufgespürt werden konnten. Und wenn vieles aus dem Blickfeld des Bahnhofes Küllstedt gesehen wurde, dann deshalb, weil der Verfasser dort von 1935 bis 1955 das Geschehen um die Bahnstrecke miterlebte.
Benutzte Literatur
- Görich, N.: Chronik des eichsfeldischen Dorfes Großbartloff. 1923.
-
Farke, H.: Die Verkehrsverhältnisse des Eichsfeldes in ihrer geographischen Bedingtheit. Bielefeld 1928.
- Abnahmeprotokoll der Strecke Leinefelde – Eschwege der Berlin-Coblenzer-Eisenbahn vom 28. April 1880.
Zeitschriften:
- „Heimatborn“, Heft 4/1930
- „Unser Eichsfeld“, Heft 10/1937
- „Eichsfelder Heimatstimmen“, Heft 4/1964
- „Eichsfelder Heimathefte“, Heft 4/1964