Hochzeit machen, das ist wunderschön ... (1992)

Wie der Leser aus der Tagespresse entnehmen konnte, wollen sich die beiden Gemeinden Struth und Eigenrieden ab 01.01.1993 zu einer Gemeinde vereinen. Die Bürger beider Gemeinden haben sich in einem Bürgerentscheid mit großer Mehrheit für die Vereinigung entschieden. Pro und Contra wird es, wie in jeder anderen Sache, auch hier geben! Aber dafür leben wir nun „Gott sei Dank“ in einer Demokratie!

Das „Kind“, welches nun nach dieser Ehe geboren wird, möchte natürlich auch einen Namen haben. Vorschläge sollen willkommen sein. Wir neuen Bundesbürger haben solche Ortsbezeichnungen aus dem nahe gelegenen Werra-Meißner-Kreis kennengelernt. Ähnlich wird man auch hier verfahren.

Die Eichsfeldgemeinde Struth liegt vor und die Gemeinde Eigenrieden hinter dem „historischen“ Landgraben. Dieser Landgraben trennte ja früher auch schon einmal Welten! Faktisch soll dieser Graben nun zugeschüttet werden, das ist gut so. Da ich in Struth geboren und großgeworden bin, erlaube ich mir, hierzu ein paar Gedanken zu äußern:

Das Verhältnis der Menschen zwischen beiden Gemeinden hat sich in den Jahrzehnten nach dem 2. Weltkrieg sehr positiv gestaltet. Auf vielen Ebenen wie Handwerk, Handel, Landwirtschaft, Religion, Sport, Kultur und auch verwandtschaftlichen Beziehungen sind sich die Menschen verständnisvoll nähergekommen.

Ich erinnere mich gern an die Zeiten unserer Jugend nach dem 2. Weltkrieg. Jahrelang waren die Männer im Krieg. Mancher wurde mit 16 Jahren schon in den Krieg geholt. Die Frauen und Mädchen mussten in der Heimat hart arbeiten, sei es in der Landwirtschaft, oder in den Rüstungsbetrieben. Keinem wurde in diesen Kriegsjahren etwas geschenkt. Und unser Dorf Struth musste ja leider in den letzten Kriegstagen noch Schreckliches erleben, wurde halb zerstört, und unzählige Menschen mussten kurz vor Kriegsende noch ihr Leben lassen.

Wie froh und glücklich waren wir daher im Mai 1946, als es hieß, „der Krieg ist vorbei, es wird nicht mehr geschossen“. Wenn es heute in der Welt wieder so mörderisch zugeht, sollten wir an diese Zeit mal zurückdenken.

Viele Männer im besten Alter waren im Krieg gefallen, eine Unzahl vermisst und ein großer Teil befand sich noch in ungewisser Kriegsgefangenschaft und wusste nicht, ob er die Heimat noch einmal wiedersehen würde. Anfang der 1950er Jahre kamen die Letzten nach Hause.

Die Menschen schöpften wieder neuen Mut, und es wurde unter schwierigsten Bedingungen mit der Aufbauarbeit begonnen. Manche Witwe oder alleinstehende Frau begann mit der Aufbauarbeit ihres Wohnhauses oder landwirtschaftlichen Gebäudes. Es war schon kein Zuckerlecken!

Aber auch so langsam setzte das kulturelle Leben wieder ein. Man begann, Tanzveranstaltungen zu organisieren und auch wieder Kirmes zu feiern. Wir jungen Leute, Burschen und Mädchen, zogen zu dieser Zeit in Scharen zum Tanz nach Eigenrieden in die Gemeindeschänke. In Struth konnte man zu der Zeit nur im Saal der Zigarrenfabrik auf ausgetretenen stumpfen Bohlen tanzen.

In Eigenrieden dagegen fanden wir einen herrlichen Saal mit Parkettfußboden vor. Ja, da konnte man wirklich einen flotten „Walzer“ aufs Parkett legen. Aber auch umgekehrt kamen die Eigenrieder Burschen und Mädchen zu uns nach Struth auf den stumpfen Saal. Die meisten jungen Leute mussten ja das Tanzen erst erlernen, sei es von der größeren Schwester oder dem älteren Bruder. Die besten Schuhe zum Tanzen hatten wir auch nicht an. Aber die Begeisterung und dieses neue Lebensgefühl überbrückte alles. Wir hatten alle großen Nachholbedarf und so wurde deshalb kaum ein Tanz ausgelassen. Schön war ja immer die „Damenwahl“, da durften die Mädchen einen Burschen zum Tanz bitten. Ansonsten hatte immer der Herr die „Qual der Wahl“ unter so vielen hübschen Mädchen.

Manches hübsche Mädchen wurde auch manchmal zu gleicher Zeit von mehreren Burschen zu einem Tanz gebeten. Peinlich! Peinlich für die Herren! Mit wem wird sie nun? Mit rotem und gesenktem Haupt zog der Verlierer von dannen. Vielleicht klappt‘s beim nächsten Mal?

Heute, nach bald 60 Jahren, denke ich gern an diese schönen Veranstaltungen in beiden Orten zurück. Wenn man heute mit Gleichaltrigen ins Gespräch kommt, fängt mancher Satz mit: „Weißt du noch ...?“ an!

Da ich diese Nachkriegszeit zwischen unseren beiden Dörfern noch in guter und fröhlicher Erinnerung habe, freut es mich, dass eine ursprüngliche Grenze – der Landgraben – verschwinden soll und beide zu einem Dorf zusammenwachsen wollen.

„Wie soll das Kind heißen“, fragt der Pfarrer bei der Taufe? Die ähnliche Frage steht nun auch hier.

Wie wär‘s mit:

  • Landgraben (beide Orte liegen am Landgraben)
  • Höhendorf (beide Orte liegen fast auf der höchsten Erhebung des Eichsfeldes)
  • Steinwald (in den Fluren beider Orte gibt es Steine wie Sand am Meer und beide Orte sind von Wald umgeben)

In der Hoffnung, dass noch viele gute und bessere Vorschläge auf den Tisch der Volksvertretungen kommen, bleibt mir der Wunsch, der neuen Gemeinde eine gesunde und blühende Aufwärtsentwicklung zum Wohle ihrer Einwohner zu wünschen.

Willi Tasch
(Quelle: „Obereichsfeld-Bote“, Ausgabe vom 09.10.1992, Heft 41)