Hechts Aden (Erzählung)
Vor Jahrhunderten hat auf der eichsfeldischen Höhe ein Räuber gehaust, der die ganze Umgegend in Schrecken setzte. Geschichtliche Mitteilungen über ihn und seine verwegenen Taten sind zwar nicht auf uns gekommen. Aber das Andenken an sein Tun und Treiben hat sich so tief eingeprägt, dass man annehmen muss, er habe wirklich gelebt. Nach der Überlieferung hieß er Hecht. Er war in Effelder beheimatet, wechselte aber des Öfteren seinen Aufenthaltsort. Über das Ende des Räubers wird wie folgt berichtet:
Obwohl ein sehr hoher Preis auf Hechts Kopf gesetzt war, wagte doch in Effelder und in der Umgebung niemand, sich dich diesen zu verdienen. Teils fürchtete man sich, teils hielt man jeden Versuch, Hecht zu fangen, für vergeblich, da das Gerücht ging, dass der Räuber schuss- und hiebfest sei. Von dem erhöhten Kopfpreis gelockt, unternahm es endlich der Schmied des Ortes mit noch einigen beherzten Männern, das ausgesetzte Geld zu verdienen, jedoch hatte er samt seinen Genossen nicht den Mut, den Räuber bei Tage anzugreifen; der Schmied erweckte vielmehr den Eindruck, als seien Leute im Dorf, welche Hecht fangen wollten. Dieser sprang sogleich auf, bewaffnete sich und eilte aus seiner Wohnung. Da er niemanden sah und nur in der Ferne dumpfes Gelärm und Geschrei vernahm, begab er sich nach dem mit einer Mauer umgebenen Kirchhof, wo er mit einem Blasrohr, mit dem er seine Opfer ohne Geräusch zu töten vermochte, Aufstellung nahm und so in die ihm gestellte Falle ging. Hier wurde er von den Verbündeten überfallen und nach heftiger Gegenwehr getötet.
Ein alter Mann aus Effelder erzählte die Sage vom Räuber Hecht in dieser Form:
In alter Zeit, als noch Räuberbanden in unserer Heimat ihr Unwesen trieben, lebten auf der eichsfeldischen Höhe zwei baumlange, starke Kerle, halbe Riesen. Sie fragten nach Gott und der Welt nichts und übten das Räuberhandwerk mit einem Eifer, der einer besseren Sache wert gewesen wäre. Den einen nannten die Leute Hechts Aden (Hechts Adam); er wohnte in Effelder unterhalb der Kirche. Der andere hieß Brattsch Nickel und war in Büttstedt zu Hause. Meistens verübten die beiden ihre Räubereien gemeinsam. Jeder von ihnen besaß „än Ruhr“ (Blaserohr), mit dem sie unhörbar auf ihre Opfer schossen und wen sie trafen, der war des Todes. Auch ging von ihnen das Gerücht, dass sie hieb- und schussfest seien. Die ganze Gegend litt unter dem Druck der beiden Gewaltmenschen und die Klagen über ihre verwegenen Taten wurden mit jedem Tage mehr. Aber niemand wagte es, gegen sie vorzugehen. Endlich schritt die Obrigkeit ein. Eines Tages kam vom kurmainzischen Vogt auf Schloss Gleichenstein, wo sich das Halsgericht befand, ein Schreiben nach Effelder und Büttstedt mit der bündigen Aufforderung, innerhalb einer gewissen Frist die beiden Übeltäter auszuliefern, tot oder lebendig, sonst würden beide Dörfer an den vier Enden angezündet werden. Der gefürchtetste von den beiden Räubern war Hechts Aden. Aber wie sollte man an ihn herankommen, vor dem sich jeder Ortsbewohner fürchtete und der immer in einem unterirdischen Gang seines Hauses verschwand? Die Dorfältesten von Effelder hielten Rat und griffen zu einer List. Der Wächter musste Alarm blasen und verkünden, dass Räuber im Anzug sein, um das Dorf zu überfallen. Sofort versammelte sich die wehrfähige Mannschaft an der Kirchhofsmauer; auch Hechts Aden eilte mit seinem Rohr herbei. Da schlich des Dorfes heran, stieg auf die Kirchhofsmauer und schlug von dort mit dem Schmiedehammer auf Hechts Aden ein, so dass dieser wie tot zu Boden taumelte. Als alle Dorfmänner den Getroffenen umstanden, schlug er die Augen noch einmal auf und knirschte beim Anblick des Schmiedes: "Do hud de mich dach äbertimelt (überlistet); das sallste bieße Schmed." Der Angeredete aber hob seinen Hammer und machte mit einem Schlage dem Leben des Räubers ein Ende. Als die Nachricht von seinem Tode sich verbreitete, atmeten alle Bewohner der Höhe erleichtert auf. Der Tote wurde in ungeweihter Erde verscharrt. Wie erging es aber Hechts Genossen Brattsch Nickel? Er hatte von dem Schreiben des Vogtes Wind bekommen und verschwand bei Nacht und Nebel, um nie wieder zu erscheinen. Erst nach Jahren hörte man von ihm, dass er irgendwo im mainzischen Gebiet gefasst und hingerichtet wurde.