Hansmärtens - 75-jähriges Jubiläum der ältesten Kolonial- und Materialwarenhandlung in Lengenfeld (1928)
Lengenfeld u. St., 2. Juli
Am 1. Juli (1928) waren 75 Jahre seit der Gründung der ältesten Kolonial- und Materialwarenhandlung am Platze verflossen.
Wenn der schon lange verstorbene Begründer, der Vater des jetzigen Inhabers Franz Hagemann, allgemein von Leuten, die bei Lebzeiten geschäftlichen Umgang mit ihm gepflegt hatten, als ein reeller und rechtschaffener Geschäftsmann genannt wird, so kann man das Gleiche auch von dem jetzigen Inhaber sagen.
Wem es aber einmal obliegt, eine Chronik von Lengenfeld zu schreiben, darf als bemerkenswerte Angelegenheit nicht vergessen die erfolgreiche Betätigung des jetzigen Geschäftsinhabers auf dem Gebiete der Arbeitsbeschaffung in der Heimat.
In diesem Sinne unternahm er schon vor mehr als 30 Jahren in uneigennütziger Gesinnung Reisen nach Bremen, um bedeutende Tabak- und Zigarrenfabriken für die Verlegung von Zweigbetrieben nach hier zu interessieren. So vermittelte er erfolgreich die Eröffnung zweier bedeutender Zigarrenfabriken. Auch für die Sesshaftmachung der Zigarrenbranche an anderen obereichsfeldischen Orten arbeitete er mit regem Interesse.
In vorbildlicher Weise handhabte der jetzige Geschäftsinhaber in der Kriegs-, Nachkriegs- und Inflationszeit das Geschäft.
Bei „Hansmärtens“ (diese volkstümliche Bezeichnung weist darauf hin, dass ein Vorfahr der Familie den Doppelnamen Johannes-Martin hatte – wer auf diesem Gebiete forscht, kommt oft zu recht interessanten Ergebnissen), wie das Geschäft von jeher im Volksmunde heißt, war in dieser Zeit das gelobte Land der geängstigten Hausfrauen.
Unermüdlich war der Inhaber tätig, Lebensmittel zu beschaffen und ohne Ansehung von Person und Rang gegen mäßigsten Kaufpreis zu verabfolgen. Auch ringsum auf den Nachbardörfern Hildebrandshausen, Effelder, Struth und Faulungen u. a. nahm man in reichstem Maße die gebotene Gelegenheit wahr.
– Sollte es das Schicksal einmal wollen, dass das Geschäft einginge, so wäre damit ein Stück Romantik von Alt-Lengenfeld dahin. Das Geschäft, einmal entstanden in der „eisenbahnlosen“ Zeit, war damals sicher ein wesentlicher Fortschritt in den dörflichen Verhältnissen. Sicher wurde es dem nahegelegenen Wanfried, diesem regsamen Marktstädtchen im Werratal, von wo wohl die frühere Generation der umliegenden Ortschaften ihren Warenbedarf zumeist bezogen hatte, zur Konkurrenz, zumal der einstige Gründer ein Mann war, der es verstand, möglichst vielen Anforderungen gerecht zu werden, sowie auch in geschickter, augenfälliger Dekoration die Waren zur Schau zu stellen.
In gleicher Weise verstand auch die Witwe des Gründers nach seinem Tode die Handhabung des verzweigten Geschäftsbetriebes. Jedem Lengenfelder Kind muss der umfangreiche und reichhaltig ausgerüstete „Hansmärtens“-Laden sicher wie ein märchenhaftes Wunderreich erschienen sein.
Schon die gelben, roten und blauen Butzenscheiben der Ladentür hatten ihren bestechlichen Reiz. Wer da hindurchlugte (und wer hätte es nicht getan!), sah eine Wunderwelt. Nicht auszumalen, was die Schaukästen und Regale alles enthielten und was von der Decke alles herabbaumelte. Hier vom Tapetennagel bis zur Großmuttersbrille, dort vom buntscheckigen „Salbendspatschen“ bis zum hölzernen Kuhstall-Latschen.
In einer großen Verlegenheit – so weiß der Schreiber dieses zu berichten – war einmal vor Jahren eine alte Häuslerin, die noch die Kochgeräte mit der Ofengabel auf- und abstellen musste.
Nun war ihr eines Tages der „Beintopf“ zerbrochen (ein irdener Topf, der auf drei Beinen steht und direkt ins Feuer gesetzt wurde). Da war guter Rat teuer, denn niemand fertigte mehr solche Töpfe an, und niemand hielt sie mehr feil.
In ihrer Not ging die Alte zu „Hansmärtens“. Und siehe da, mit der größten Selbstverständlichkeit konnte sie dort gleich mehrere solcher originellen Geschirre erstehen, sodass sie noch „auf Vorrat“ hatte bis über ihr Lebensende hinaus.
Als Kind schon musste sich der Schreiber dieses oft wundern, wie die biederen „Hansmärtens“ bei der Warenbeschaffung an alle erdenklichen Anforderungen des Lebens gedacht hatten. Es konnte wirklich nicht oft vorkommen, dass einer, der Nachfrage hielt – und wäre es um einen Pfennigartikel gewesen, den der Erdenbürger nur einmal im Leben nötig hatte – die Antwort bekam: „Nä, daas hun meh nit!“
Es war da und wurde auch ohne lange Mühe an dem dafür bestimmten Platze gefunden. Überhaupt wurden Pfennigartikel mit der gleichen Freundlichkeit verabfolgt wie größere „Wertkäufe“.
Und erst um „Nikolaustagk“ und „Christtagk“! Es war nicht anders, als dass St. Nikolaus und das Christkind von „Hansmärtens“ beziehen mussten. Niemand anders hatte ja so „häbsche Trumpeten“, „Billerbiecher“, Pistolen und Knall-Platzrohre, „Trillerpfiefen“ und „Geischell“ (Peitschen).
Niemand von uns hier wird die vorstehende „Kleinmalerei“ verübeln, wenn er diese Zeilen liest, denn allen, die als Kind in „Hansmärtens“ Laden gewesen sind (und sie waren alle drin), wird er sicher noch heute als ein Märchen erscheinen.
Dem jetzigen Inhaber wünschen wir noch ein langes Walten in diesem Wunderreich.
Adam Richwien (Heimatdichter)
(Quelle: „Eichsfeldia, Mitteldeutsche Volkszeitung“, Ausgabe vom 3. Juli 1928)