Hülfensberg

Hülfensberg

Noch liegt der Berg im Dämmergrau, kaum ahnt der Ost den ersten Strahl,
und harret sein erwartungsfroh: da wird es laut zu Berg und Tal;
durch alle Wälder ein Gebraus, und ein Gesumm durch jeden Hag:
bringt eine Völkerwanderung der zauberschöne Junitag?

Da wird es licht, von Nord und Ost zum heil’gen Berge wallt es dar
mit Kreuz und Fahne, Zug um Zug und ungezählet Schar auf Schar:
Erhub das ganze Eichsfeld sich, bewährend seinen Glaubensruhm,
zu suchen das seit Väterzeit ihm höchstgeweihte Heiligtum?

Vom Wippertal, von Duderstadt, aus Lindaus blühendem Geländ’,
von dorten, wo die Allerburg das Eichsfeld von dem Harzland trennt,
sind sie gewallt; die Menschenflut kaum fasst des Berges grüner Plan:
Was zog sie her? Ein Gottesdrang? Des Aberglaubens öder Wahn?

Hier ist es, wo nach frommer Mär Sankt Winfried einst im Zorne stand,
als noch geloht auf dieser Höh’ des Menschenopfers ekler Brand,
wo er das Evangelium in Wald- und Herzenswildnis trug
und mit der Art des Greuels Sitz, den Donarbaum in Splitter schlug.

Hier ist es, wo nach andrer Mär der Götze Stuffo ward verehrt,
der durch ein falsch’ Orakulum des blinden Volkes Sinn betört;
doch als Sankt Bonifatius in Christi Namen ihn beschwor,
da fuhr er aus mit wüsten: Stank an seinen Ort, zum Höllentor.

Beim Fliehen stieß er noch den Berg, dass dieser auseinanderfuhr,
wovon noch heut’gen Tags der Spalt, der durch den Berg läuft, zeigt die Spur,
wo tausend Jahr das Heidentum gewohnt mit seinem Wahn und Graus,
erbaute Bonifatius mit eig’ner Hand ein Gotteshaus.

Ein and'res weiß die Sage noch: Dass selber Karl der Große trug
hierher sein dankbar Opfer, als bei Treffurt er die Sachsen schlug.
Und der vor grauer Zeit begann, im Mittelalter wuchs er fort,
der Ruf des Sankt Gehülffensbergs, gepriesen selbst im hohen Nord’:

Die schier den Reichtum einer Welt vereinigten am Nordseebord,
die Hansestädte, fuhren her zum Bild der heil’gen Wilgefort;
mit reichen Gaben kamen sie, wie Könige einst zu Davids Stadt,
Aus welchen man das Gotteshaus, so heut noch steht, gerichtet hat.

Doch nach dem höchsten Prangen stand der Berg in tiefster Trauer da,
als Luthers Werk den schweren Spalt gerissen in Germania:
Da schwieg der laute Pilgersang, da schwieg Gebet und Litanei;
es lag im Bann der Neuerung das Volk mit seiner Klerisei!

Der Witwenschleier aber fiel. Der Trost erschien, der Bräutigam,
als mit Loyolas treuer Schar der alte Glaube wiederkam.
Und wieder zog zum Stuffenberg nach langem Fasten jedes Herz,
Erseufzend unter Sündenlast, der Gottesruf, der Reue¬schmerz.

Und wiederum ein Mehltau fiel, ein tötend Gift im Blumenhag:
Das war, als flache Aufklärung des Glaubens Frucht und Blüte brach;
als der Weltweisheit tanzend Licht auch manches Pfarrherrn Sinn betört:
Da war auch Sankt Gehülffensberg gemieden scheu und ungeehrt.

Doch als auch dieser Nebel flog, wie alles, was von unten stammt,
da strahlt’ der Berg im neuen Glanz, der heut’ auf seinem Scheitel flammt,
heut’, wo ihn Sankt Franziskus hegt in seiner armen Söhne Hut,
und wo im Eichsfeld jedes Herz ihn preiset als sein bestes Gut. –

Und was er ist, das soll er sein! – Es nennt der greise Priester dort,
Der predigt unterm Himmelswölb, vom Eichsfeld ihn den Glaubenshort!
Solang der Hülfensberg geehrt, solang zu ihm die Pilger zieh’n,
Solange wird des Eichsfelds Kraft, sein Ruhm, sein Stolz, sein Glaube blüh’n!

Bernardus Americanus
(Hermann Iseke)

Anmerkungen und Erklärungen zu „Hülfensberg“

Ob der hl. Bonifatius wirklich bei unserem Geismar oder dem bei Fritzlar die Donareiche gespalten, ist eine bekannte Streitfrage. Auch leugnet Wolf, dass der alte Name Stuffenberg für Hülfensberg abzuleiten sei vom Götzen Stuffo, der überhaupt nirgends verehrt sei. Von der Anwesenheit Karls des Großen auf dem Hülfensberge kann ebenfalls keine Rede sein, da er nie bei Treffurt Sachsen geschlagen hat.

Die Bezeichnung „Hülfensberg“ (früher Gehülffensberg) ist nichts weiter als die freie Übersetzung von „Mons Sancti Salvatoris“, des Patrons der Kirche, und hat nichts zu tun mit der heiligen Jungfrau Hilfe oder Kümmernis (Wilgefortis, der gekreuzigten, bärtigen Jungfrau), welche allerdings auf dem Hülfensberge verehrt ist, besonders von den Hanseaten („Seeländern“).

Es steht aber fest, dass häufig das Bild, des gekreuzigten Erlösers selbst wegen seines milden Gesichtsausdruckes für das Bild der (nach spanischer Legende ebenfalls bärtigen, gekreuzigten) Jungfrau Wilgefort genommen ist und so aus der Verehrung des Erlösers die der hl. Wilgefort sich entwickelte. Nicht auch auf dem Hülfensberge?

„Beim Fliehen stieß er noch den Berg …“
Es war immer alter Glaube unter dem Volke, dass vom Stoße des Herrn Urian ein Riss durch den Berg gehe. Als man 1890 die Funda¬mente legte zu dem neuen Chore (wobei auch das ganze Kirchen¬dach erneuert und das Franziskanerkloster erweitert wurde), fand man wirklich einen tiefen Erdspalt und musste derselbe behufs Fundamentierung des Chores überbrückt werden.

„Gepriesen selbst im hohen Nord’ …“
Die Wall¬fahrten der „Seeländer“ (Hanseaten, besonders Bremen) waren besonders stark um die Mitte des 14. Jahrhunderts. Aus ihren reichen Gaben wurde die jetzt noch stehende Kirche gebaut (1367 eingeweiht; Chor, Dach nebst Dachreiter neu 1890) sowie die Kartause zu Erfurt.

„Und wiederum ein Mehltau fiel …“
Die Aufklärung seit Ende des 18. Jahrhunderts hatte den Hülfensberg verödet bis um die Mitte dieses Jahrhunderts.

„Es nennt der greise Priester dort …“
Der Herr Kommissarius Zehrt, dem der Hülfensberg viel seiner jetzigen Blüte verdankt, hat schon seit mehr als vierzig Jahren ununter¬brochen die Festpredigt am „Hülfenstage“ (Montag nach Trinitatis) im Freien gehalten.

N. b.: In dem unter dem Hülfensberge gelegenen Dorfe Geismar ist der Bischof Konrad Martin von Paderborn geboren.