Gerechtigkeitshäuser in Lengenfeld unterm Stein (Teil 2)
Bearbeitet nach dem Grundbuche und den Gemeindeakten von Georg Leister (1. Fortsetzung)
Die Eintragungen im Grundbuche besagen auch, dass die Lengenfelder Kirche gemeinsam mit dem Amte Bischofstein an neun Häusern des Kirchberges Vorrechte hatte. Der Mainzer Erzbischof hatte der Kirche erlaubt, das Lehnsgeld und den Erbenzins von diesen Häusern einzuziehen. Anstatt des sonst üblichen Erbenzinsgeldes mussten die Pflichtigen jährlich für jedes Haus ein halbes Pfund Wachs an die Kirche liefern. Das Amt Bischofstein beanspruchte von den neun Häusern das Dienstgeld, das Federvieh und die fälligen Eier.
Lengenfeld hatte 117 Gerechtigkeiten. Diese Zahl mag den Herdstellen entsprechen, die das Dorf zu Beginn des 17. Jahrhunderts zählte. Als 1802 das Amt Bischofstein von Preußen okkupiert wurde, hatte Lengenfeld 143 Feuerstellen, 1104 Einwohner und 117 Gerechtigkeiten. Die Zahl der Hausgerechtigkeiten ist bis in die Gegenwart unverändert geblieben. Im Häuserverzeichnis des Grundbuches, das in den vierziger Jahren des vorigen Jahrhunderts aufgestellt wurde, sind 185 Häuser eingetragen. Von diesen Gebäuden hatten die Kirche, das Schloss Bischofstein, das Forsthaus, die Gemeindeschänke, das Brauhaus und die Teufelsnasensmühle keine Hausgerechtigkeiten. Auch die Bewohner der neun Einmietlingshäuser waren keine Gerechtigkeitsbesitzer. Diese waren nur verpflichtet bei Besitzveränderungen das Lehnsgeld zu zahlen. Alle übrigen 170 Häuser des Dorfes hatten Hausgerechtigkeiten als ganze, halbe, drittel u. viertel Gerechtigkeiten. Alle 170 Hausbesitzer mussten jährlich gemeinsam die Abgaben an die Berechtigten entrichten, die dem Soll der 117 Gerechtigkeiten an Geld und Küchenzinsen entsprachen.
Welches waren nun die im Grundbuche eingetragenen Verpflichtungen einer ganzen Gerechtigkeit? Gerechtigkeits- u. Einmietlingshäuser waren mit der Lehnspflicht belastet. Das Lehnsgeld betrug immer 10 Prozent von dem Preise, den der Verpflichtete erhielt, wenn das Lehnsgut verkauft oder vertauscht wurde. Bei Vererbungen kurmainzischen Lehnsgutes wurden keine Abgaben erhoben. Zu den jährlichen Abgaben an die Berechtigten gehörte das Dienstgeld, der Erbenzins, die Lieferung von Federvieh und Eiern.
Dienstgelder und Ablösungen für frühere Naturaldienste, die als Hand- u. Spanndienste galten. Diese Dienste wurden bereits 1657 abgelöst. Nach dem Grundbuche war das Dienstgeld für eine ganze Gerechtigkeit mit 10 Groschen als Ablösungsgeld festgesetzt. Das Dienstgeld war bis zuletzt in den Dörfern des Amtes zu bezahlen.
Der Erbenzins oder das Rodegeld war eine Abgabe für die Benutzung urbar gemachter Feld- und Waldflächen, die ehemals herrschaftlicher Besitz waren. Die eichsfeldischen Vorfahren nutzten das Rodeland für den geringen Zins von jährlich 5 Groschen auf eine ganze Hausgerechtigkeit. Vom Rodeland brauchten sie kein Getreide abzuliefern. Die Zahlung des Erbzinses wurde in den Amtsdörfern bis zur Ablösung geleistet.
An Federviehabgaben waren im Grundbuche für eine ganze Gerechtigkeit 2 Hähne, l Huhn u. 30 Eier jährlich eingetragen. Hühner u. Eier galten als Küchenzinsen und als eine Abgabe von den Häusern. Bei der Okkupation wurde die Gans mit 10 Groschen, das Huhn mit 2 Groschen 8 Pfg., das Hähnchen mit 1 Groschen 6 Pfg. und das Ei mit 2 Pfg. berechnet.
Die Aufhebung der Lasten, die auf den Gerechtigkeitshäusern ruhten, wurde durch die Revolution von 1848 beschleunigt. Das Gesetz vorn 2.3.1850 ermöglichte es, die gutsherrlichen Abgaben durch Barzahlung abzulösen oder sie in Renten umzuwandeln. Hiervon machten auch die Berechtigten Lengenfelds Gebrauch. Sie verzichteten zugunsten der eichsfeldischen Tilgungskasse auf ihre bisherigen Gerechtigkeiten, nachdem der Geldwert der jährlichen Leistungen ihrer Verpflichteten festgestellt war. Das 20-fache des jährlichen Geldwertes aller Abgaben ergab das Ablösungskapital, von dem die jährlich zu zahlende Rente festgelegt wurde.
Auch die Rechte, die mit den Hausgerechtigkeiten verbunden waren, mögen noch erwähnt werden. Bis die preußische Landgemeindeordnung im Eichsfeld eingeführt wurde, hatten diese Hausbesitzer von jeher das alleinige Stimmrecht in der Gemeindeversammlung. Einmietlinge oder Beisassen hatten kein Stimmrecht. Mit dem Gerechtigkeitshause verbunden, war die Nutzung von Ackergrundstücken, die Gemeindeteile, die nicht von dem Hause abzutrennen waren. Auch Waldgrundstücke waren Eigentum der Gerechtigkeitsbesitzer; sie konnten das Brennholz einschlagen. Auch der Erlös vom Nutzholzverkauf kam ihnen zugute. In vielen eichsfeldischen Dörfern waren mit der Hausgerechtigkeit auch mehrere Kirchenplätze verbunden, auf die der Besitzer ein unbestreitbares Anrecht hatte. Dieses Vorrecht mag, aus jener Zeit überkommen sein, als die Hausgerechtigkeiten auch die kirchlichen Lasten tragen mussten.
Als nach dem zweiten Weltkriege in den eichsfeldischen Dörfern die Kommunisten die Verwaltung übernahmen, wurden alle althergebrachten Vorrechte der Dorfbewohner aus kurmainzischer Zeit beseitigt.
Georg Leister
(Quelle: Eichsfelder Heimatstimmen. Nr. 1 – Januar 1971)