Gerechtigkeitshäuser in Lengenfeld unterm Stein (Teil 1)

Bearbeitet nach dem Grundbuche den Gemeindeakten von Georg Leister

In den vergilbten Auszügen der eichsfeldischen Grundbücher war die Bezeichnung „Gerechtigkeitshaus“ eingetragen. Die jüngere Generation wird mit diesem Namen wohl kaum die richtige Vorstellung verbinden. Deshalb mögen die folgenden Ausführungen über Lengenfelds Gerechtigkeitshäuser mit den Berechtigten dazu angetan sein, zur Klärung dieser Bezeichnung beizutragen.

Der Name Gerechtigkeit ist hier gleichbedeutend mit Gerechtsame oder Berechtigung. Gerechtsame sind Vorrechte, die mit Haus- und Grundbesitz verbunden waren und aus alter Zeit überkommen sind. Solche Vorrechte in Lengenfeld unterm Stein hatten, wie das Grundbuch besagte, das Amt Bischofstein, stellvertretend für den Mainzer Erzbischof, die Adligen von Hanstein Ershausen, von Keudel und die Lengenfelder Kirche.

Wann haben nun die genannten Berechtigten Gerechtsame in Lengenfeld erworben?
Der Erzbischof von Mainz hatte, um sein Territorium im Südeichsfelde zu vergrößern, 1326 die Burg Stein, später das nachmalige Schloss Bischofstein, von den Brüdern von Hardenberg für 2030 Mark reinen Silbers in Göttinger Währung käuflich erworben. Die Burg Stein lag auf dem nordwestlichen Vorsprunge des Schlossberges und schützte das Friedatal gegen Westen hin vor feindlichen Überfällen. Die Burg ist bereits von der Erde verschwunden. Von Schülern der höheren Schule Bischofstein wurden vor dem zweiten Weltkriege Ausgrabungen von der Stätte der alten Burg vorgenommen und deren Fundamente bloßgelegt. Auch der Stumpf eines ehemaligen Burgturmes von l bis 1,5 m Höhe, zeugt von vergangener Pracht. Mit dem Besitze der Burg Stein und den bereits vorhandenen Siedelungen ist der Mainzer Erzbischof Grundherr des späteren Amtes Bischofstein geworden, dem 16 Dörfer angehörten. Das Schlossgebäude, Amtssitz des Amtsvogtes, wurde 1747 von Grund aus neu aufgeführt.

Die Ritter von Hanstein wurden 1496 in Lengenfeld Lebensnachfolger der Brüder Apel und Hildebrand von Ershausen, deren Güter sie übernahmen. Sie besaßen ein Vorwerk, die Meierei, einen Hof unter dem Kirchberge und später noch zwei Ficksche Höfe, von denen einer beim Bau des Viaduktes 1875-78 abgerissen wurde. Die Hansteiner hatten auch Burgelchen auf der Burg Stein, die sie verpflichteten, auf der Burg zu wohnen und sie zu verteidigen. Der Mainzer Erzbischof bedurfte des Schutzes der Hansteiner Ritter. Als Gegenleistung mag er ihnen Vorrechte an den bereits vorhandenen Herdstätten Lengenfelds zugebilligt haben.

Der Ritter Reinhard von Keudel hatte 1381 ein Achtel der Burg Stein für 137 Mark in Pfand genommen. Mit den Finanzen der mainzischen Landeskasse mag es in jener Zeit schlecht bestellt gewesen sein, da der Landesfürst Teile der erworbenen Burg verpfänden musste. So waren die Ritter von Keudel Pfandgläubiger der Burg geworden, und der Erzbischof, als Verpfänder, war von ihnen abhängig. So mag es zu erklären sein, dass der Erzbischof den Keudelschen Rittern Häusergerechtsame in Lengenfeld zugestanden hat. Heute erinnert der Name Keudelsgasse mit den abgabepflichtigen Häusern im Orte an die früheren Berechtigten. [Fortsetzung folgt!]

Georg Leister
(Quelle: Eichsfelder Heimatstimmen, Nr. 12 – Dezember 1970)