Frühling im Friedatal
Schon im März hatte der Seidelbast im Verein mit den Blüten des Sommertörchens (die Blüten des noch blattlosen Huflattichs), Leberblümchens und Schneeglöckchens den Frühling eingeläutet. Die Bienen trugen schon an sonnigen Tagen vom blühenden Haselstrauch die ersten Pollen und frischen Honigseim in die Stöcke. Herr Star ist als erster der Sänger von seiner Südlandreise zurückgekehrt, hat auch schon seinen grünblau schillernden, mit weißen Perlen besetzten Hochzeitsfrack angezogen. So sitzt er nun auf Nachbars Dach und radebrecht mit gespreizten, wippenden Flügeln seiner Gattin, die in der vorjährigen Nisthöhle sitzt, seinen pfeifenden, knarrenden Balzgesang vor.
In der noch braungrauen Grasnarbe zeigen sich erste grüne Spitzen, und es verstecken sich schon schüchtern die ersten Veilchen. Wurde dieser Frühlingszauber auch mal unterbrochen durch Schauern, so sang unsere Blaumeise tit tit tiet – tit, tit, tiet, welches lyrisch veranlasste Menschen wörtlich umdeuten „ha es verbie, ha es verbie“ und meinen damit den Winter. Wenn eine Schneeschauer dazwischen kam, sang aus Nachbars Garten die vorsichtigere „schaele Meisen" schneller und etwas schnarrender „sick dich feer, sick dich feer'“.
Nun ist es April geworden. In unseren Wäldern blühen Lerchensporn und die Anemone (Windröschen oder Elschen unger d’r Hecken). Im Wald, auf Weiden und Wiesen erwarten unzählige Knospen der Himmelsschlüssel, den Frühling nun erst richtig aufzuschließen.
Und kommt doch noch eine Schauer, dann singt der hoffnungsvolle, wintermüde Mensch:
„Und dräut der Winter noch so sehr mit trotziger Gebärde, und streut er Eis und Schnee umher – es muss doch Frühling werden.“
Über unserem Dorf im Friedatal erschallen, wiederhallend wie alljährlich, die melodischen Rufe der Zip-drosseln und Amseln „davütt, davütt – zip – zip – ho de lyo, zip – zip – Kuh – dieb – Kuh – dieb.“ In den Dorfgärten rufen die Finkenhähne im rotbrüstigen Hochzeitskleid unermüdlich ihrem grauen Weibchen zu „bin – bin – bin ich net ein schöner Bräutigam?“ Doch ihre grauen Weibchen, die emsig in einer Astgabel ihre kunstvollen Nester bauen, antworten nur immerzu „flink–flink–flink". Sie haben es gar eilig, denn für ihre zwei Brut-gelege wird der Sommer kurz – eingedenk der eichsfeldischen Bauernregel „Bartholomai, do leet d’r Voeül sin letztes E—i“. Auch der kleine mausgraue Zaunkönig auf der Spitze einer Weißdornhecke wirft sich in die Brust, stellt sein Schwänzchen aufrecht in die Höhe und schmettert sein Liebeslied „Flick de Büx, flick de Büx, hab kein Zwirn zwirrn, 's is en klein Endeken, kanns net lang zirrn – zirrn – zirrrn".
Auf Steinen im Bachlauf und am Ufer der Frieda trippelt das Ackermännchen mit gespreizten Flügeln und Schwänzchen um sein Weibchen im Liebesspiel. Von den Hausdächern herab werfen die immer trippelnden, knicksenden, mit dem Schwänzchen wippenden Rotschwänzchen Mir „hi dek, dek, hie dek dek“ dazwischen. Wandern wir durch das Feld, singen die emporsteigenden Lerchen ihr unermüdliches Tiritierili. Vor dem Walde auf einer kleinen Tanne sitzt ein rotbrüstiger Hänfling und singt mit feinmelodischer Stimme sein „Ziu, ziu – hup – li ziu – ziu huii –". Aus dem Wald erschallen die Stimmen der Grasmücken; den Spöttern und Nachahmern unserer Vogelwelt. Von weitem hören wir den ersten Kuckuck rufen und den unermüdlichen Sang des Zilfzalfs, „Zipe – zalf, zipe – zalf – zipe – zalf“.
Im noch unbelaubten Buchenhochwald saugen die ersten Schmetterlinge (Zitronenfalter) am blühenden Seidelbast. Über den Waldboden mit weißperlich besticktem Waldmeister und Moospolstern fliegen tastend Buchenspinnermännchen, um ihre im alten Laub versteckten Weibchen zu suchen.
Ende April kommen zuerst die Rauch- oder Stallschwalben, dann etwas später die Haus- oder Mehlschwalben zurück. Aus der Luft und von den Leitungsdrähten erfüllen sie die Dorfstraßen. Von Anfang Mai ab vermischen sich damit die seltsamen Rufe „schrii-schrii-schrii" der Mauersegler. Sie haben es immer eilig und umkreisen unseren Kirchturm. Die Mauersegler kommen nie zur Erde. Leider werden sie auch bei uns immer seltener. Wenn dann um Pfingsten auf unserem Waldboden der goldene Frauenschuh wieder blüht, dann streicht auch wieder über unseren Häuptern durch den maigrünen Buchenwald der scheue und auch schon seltene Pirol, die schwarzflügelige Goldamsel mit ihrem orgelnden Ruf „Bülo-bülo-bülo-hüü".
Allen nervösen und abgehetzten Menschen rufe ich zu: „Geht oft zu unserem Vogelkonzert durch Wald und Feld. Erfreut euch an ihrem Gesang. Erbaut euch an all den schönen und seltenen Blumen und Pflanzen, welche nur noch bei uns vorkommen. Schützt sie!
Denn schnell, allzu schnell sind Frühling und Sommer vergangen. Unsere Singvögel stellen zumeist um die Sommersonnenwende ihren Gesang wieder ein. Nur ein bodenständiges, wintertreues Vöglein, unsere Goldammer, singt als Mahner zur Ernte allein den ganzen Herbst hindurch sein einfaches „ritt-ritt-ritt". Diesen Sang hat der Volksmund umgedeutet in „Sichelchen schnied — Sichelchen schnied".
Lambert Rummel
(Quelle: Lengenfelder Echo)