Es muss ein vollendeter Bau gewesen sein
Das Rätsel um die Kirchenruine Katharinenberg
„Interessant wirkt die graue, verwitterte Kirchenruine in Katharinenberg. Sie ist ohne Dach, ohne Turmspitze, und durch die offenen Fenster schaut man das Firmament. Betritt man die Ruine, so sieht man an der Ostwand eine Tür, die in das heutige Dorfkirchlein, früheren Chor, führt. Drinnen zieht ein schöner Barockaltar die Blicke auf sich. In der Form ähnelt er dem Altar in der Kirche zu Faulungen. Die Ornamente am Katharinenberger Altar wurden vor hundert Jahren von H. Hunold aus Birkungen geschaffen. Rechts und links des Tabernakels stehen zwei lebensgroße, aus Lindenholz geschnitzte Figuren, St. Joseph und St. Johannes der Täufer. Sie sind im landesüblichen Barockstil gearbeitet und stammen aus der Zeit um 1750. Das schönste und allerbeste Kunstwerk des Kirchleins ist die an der Sakristeiwand auf einer Konsole sitzende Pieta. Am ältesten sind zwei Gemälde, das Hauptbild des Altares mit dem leidenden Christus am Ölberge und das obere und bessere, der dornengekrönte Heiland. Sie zeigen 'nach der Renovierung im Spätherbst 1958 wieder ihre alten, ursprünglichen Farben. Die jetzige Fassung des Altares ist in hellen Tönen mit Gold gehalten. Laut Inschrift führten die vorletzte Renovierung die Brüder Gustav und Lorenz Goldmann aus Diedorf im Jahre 1907 durch.
Die Nichtvollendung des ursprünglichen Kirchenbaues, wie sie von einigen Heimatforschern angenommen wird, kann nicht zutreffend sein, weil sich heute noch im Inneren der Ruine teilweise tellergroße Putzflächen mit Spuren heller Kalkfarbe befinden. Auch ist an den ausgebrochenen Fenstereisen erkennbar, dass die heute offenen Fenster einst verglast waren. Jeder Zweifelnde kann sich an Ort und Stelle selbst davon überzeugen.“
So weit Fräulein Richwien, die als Gehilfin ihres Vaters, des Kunstmalers Joseph Richwien, im Laufe des Herbstes 1958 mit ihm zusammen die jetzige kleine Kirche von Katharinenberg renoviert hat. Bei ihrer Arbeit sind sie und auch der Werkstattleiter aus Halle zu der Erkenntnis gelangt, dass die ganze Kirchenruine einmal eine Zeitlang als vollendete Kirche gestanden haben muss. Für diese von ihnen erkannte Möglichkeit ist uns eine neue, aber erst in jüngster Zeit bekannt gewordene Quelle als Zeuge erstanden. Es handelt sich um die Grenzregulierungskarte zwischen Hessen und dem Eichsfeld. Sie wurde im Jahre 1583 gezeichnet, dem Jahre der Regulierung aller Streitigkeiten und Irrungen über die Grenzen einiger Dörfer und Geleitstraßen und das fürstliche Geleit selbst, die zwischen dem Erzbischof und Kurfürsten von Mainz und dem Landgrafen von Hessen entstanden waren. Sie ist gezeichnet aus dem „Augenschein“ aus schräger Vogelschau.
Auf dieser Karte ist für das damals noch kleine Dörfchen Katharinenberg eine vollendete Kirche mit gedecktem hohem Turm gezeichnet. Für Diedorf dagegen, diesen viel größeren und damals schon stattlicheren Ort, hat der Zeichner überhaupt keine Kirche gezeichnet. Das spricht für die Annahme, dass die Kirche in Katharinenberg zwischen 1550 und 1570 vollendet sein konnte. Hierfür spricht auch der Taufstein der Kirchenruine mit der Jahreszahl 156(?). Das scheinbar abgebrochene fehlende Stück kann nur eine l bis 9 gewesen sein (spätestens also 1569). Dagegen spricht zunächst aber das Diaptonalbuch des Amtes Bischofstein (vergl. Wolff-Löffler S. 136) Überlegt man jedoch, dass diese Eintragungen erst sehr viel später unter dem Amtsvogt Philipp Falk zwischen den Jahren 1601 und 1606 (also aus Erinnerungen) gemacht wurden, dann kann man auch annehmen, dass auf der in den Wirren des Bauernkrieges stillgelegten Kirchenbaustelle von 1525 bis 1555 schon wieder „armdicke“ Birkenstämme gewachsen sein können. Birken wachsen schnell im Zeitraum von dreißig Jahren. Können nicht auch Niederschriften über den Wiederbeginn des Baues oder Vollendung, die mitten in der Reformation erfolgt sein müsste, durch die damaligen staatlichen oder kirchlichen Behörden übersehen, vergessen oder gar verloren gegangen sein? Die Zustände gerade in jener Zeit würden diese Annahme rechtfertigen.
Untersuchen wir aber erst einmal die damaligen Kirchenverhältnisse Diedorfs. Diedorf zählt mit zu den ältesten Dörfern des Eichsfeldes. Man darf annehmen, dass Diedorf vor dem Bauernkrieg eine, wenn nicht gar zwei Urkirchen hatte. Ob sie im Bauernaufstand oder durch Alter zerfallen sind, ist für unsere Begründung belanglos, jedenfalls aber, als der Zeichner um 1580 die angeführte Grenzkarte zeichnete, konnte keine Kirche in Diedorf sein. Die Altkirche, St. Albanus geweiht, wurde erst wieder 1609 erbaut. Da bekanntlich Katharinenberg und Diedorf dicht beieinander liegen und seit alters her gekoppelt waren, besteht die Möglichkeit, dass in der Zeit von 1570 bis 1609, also ungefähr 40 Jahre, die Kirche in Katharinenberg die gemeinsame Kirche beider Dörfer gewesen ist.
Die Wiederaufnahme des Kirchenbaues fiel in die Jahre 1555 bis 1560, also mitten in die Reformation. Haben damals Zeitgenossen wie Kommissarius Kindervater oder Stiftspropst Burghard von Hanstein dem Kirchenbau in Katharinenberg keine Bedeutung mehr beigemessen? Konnte nicht von den katholisch gebliebenen Bewohnern der Diedorfer Mark, mit den standhaften Lehnsherren von Harstall vielleicht auch noch mit den interessierten Nonnen vom Kloster Anrode in weiser Vorsorge und im Hinblick auf die früheren Wallfahrten gerade erst diese Wallfahrtskirche fertig gestellt werden, zumal dort sicher auch noch Bausteine und Material vorhanden waren? Die Gebrüder von Harstall zeigten gerade in dieser Zeit einen starken Aufbauwillen. Sie konnten nicht voraussehen, dass im Dreißigjährigen Kriege leider alles wieder zerstört wurde.
Der Grenzregulierungskarte von 1583 können wir als Beweisquelle vertrauen. Der Zeichner hat sogar südlich von Diedorf am Dinkelsbühl den „Helgenstock“ (Heiligenbild) gezeichnet. So hat er auch die Kirchtürme in den Dörfern nicht etwa willkürlich eingezeichnet, etwa nach dem Motto: In jedes Dorf gehört eine Kirche. In Geismar z. B. hat der Zeichner zwei Türme gezeichnet, einen Kirchturm und in unmittelbarer Nähe auch den damaligen Wehr- und Zinsturm beim Geismarer Schloss. Vor diesem Schloss hat er eine breit überbrückte Frieda gezeichnet, so dass dieses Schloss einer einseitigen Wasserburg gleicht. Auf der Hülfensberg-Kirche ist kein Turm vermerkt, wohl aber auf der Klosterkirche von Zella. Auch ein Bildstock ist unterhalb des Hülfensberges am Wege nach Großtöpfer gezeichnet.
Der im Vertrage zwischen Mainz und Hessen 1583 erwähnte „Zollstock“, welcher später nach Katharinenberg versetzt werden sollte (Translation), war noch nicht bei Katharinenberg eingezeichnet. Diesen Zollstock hat der Zeichner noch unterhalb Geismars in der Gegend der heutigen Hakebrücke auf der Karte angegeben. Von Karl G. Bruchmann („Der Kreis Eschwege“, Marburg 1931, Seite 103) wissen wir, dass dieser Zollstock im Jahre 1576 unterhalb Geismars aufgestellt wurde. Über seine Überführung nach Katharinenberg schrieb der Bischofsteiner Amtsvogt Johann Rabkuhn im Jurisdiktionalbuch, angelegt im Jahre 1629 (heute im Staatsarchiv Würzburg), Folgendes: Dass 1624, als der Gulden oder neue Währungszoll eingerichtet auch ein Zollstock mit dem Erzbischöflichen Wappen vorm Dorf Katharinenberg in die Landstraße gesetzt worden sei. Die Wanfrieder hätten zwar 1626 zu Ostern demselben umgehauen und weggebracht. Nichtsdestoweniger sei ein anderer Zollstock auf der vorigen Stelle aufgerichtet worden.
Lambert Rummel und Anneliese Richwien (Blacha)
(Quelle: Lengenfelder Echo, Dezember-Ausgabe 1959)