Erinnerungen eines Lehrers aus den letzten Jahren der Staatlichen Heimoberschule Schloss Bischofstein (1991)
Bis zu den Sommerferien 1942 war ich an der Kaiserin-Augusta-Viktoria-Mädchenoberschule in Halberstadt als Studienassessor für Mathematik, Physik und Chemie tätig. Während der Ferien nahm ich an einem Lehrgang der Technischen Nothilfe teil. Dort erhielt ich Anfang August die Mitteilung, dass ich zur „Staatlichen Heimoberschule Schloss Bischofstein“ abgeordnet sei. Ich meldete mich daher bei der vorgesetzten Schulbehörde beim Oberpräsidium in Magdeburg am 14.08., wo mir eröffnet wurde, dass ich zum 19. in Bischofstein eintreffen sollte:
„Sie haben zunächst dort nichts zu tun, d. h. Sie haben viel zu tun, nämlich sich in die dortigen Umstände einzuleben.“ Jedoch wurde später mein Diensteintritt auf den 29.08. verschoben.
Trotzdem ich sehr ungern von Halberstadt weggegangen war – vor allem wegen der damit verbundenen Trennung von der Familie –, fühlte ich mich im ersten Monat (September) sehr wohl. Das Wetter war im Gegensatz zu den Sommerferien sehr schön, die Landschaft prachtvoll, die Einstellung der Kollegen zueinander – besonders der neu eingetretenen (Leiter Studienrat Schmidt, Studienassessorin Gonnermann) – sehr harmonisch. Am 18.09. besichtigte der SS-Obergruppenführer Heißmeyer mit dem Oberschulrat Edert die Anstalt.
Nach den Herbstferien (09. – 18.10.) hatte ich das Pech, den Unwillen des Schulleiters zu erregen, da ich unwissentlich und in guter Absicht mich einer Verletzung des Konferenzgeheimnisses schuldig gemacht hatte. Ich glaube aber, dass es nicht bloß dieser Umstand war, der mich in der Folgezeit das Gemeinschaftsgefühl, das ich vor den Herbstferien empfand, vermissen ließ. Der Hauptgrund lag wohl daran, dass in den Ferien Herr Schmidt mit Schwester Anni Ziegltrum und der Sekretärin Frl. Schwarzenberger das Heim umgestaltet hatte. Naturgemäß führte dies zu einer engeren Gemeinschaft, an der wir anderen Kollegen, die wir die Ferien über nach Hause gefahren waren, nicht teilhatten.
Am 09.11. wurde bei den Mahlzeiten die Tischordnung geändert. Bisher saßen wir Erzieher an den Tischen der einzelnen Klassen; jetzt wurden die Erwachsenen an einem Tisch zusammengefasst. Diese Regelung begrüßte ich nicht, da dadurch der persönliche Kontakt mit den Schülern beeinträchtigt wurde.
Anfangs 1942 besuchten zunächst Regierungsdirektor Paschasius und dann Oberstudienrat Ruge von der Heimschulinspektion in Berlin unsere Schule. Interessant war am 23.02. die Beobachtung eines Kometen (Whipple-Fedtke).
Wegen des Todes meines Vaters (62 Jahre alt) in Halle am 27.02. erbat ich einige Tage Urlaub. – Als neuer Lehrer trat bei uns Studienrat Dr. Schirmer von Barby kommend (bisher Genthin) am 15.03. an.
Von sonstigen Vorkommnissen ist mir ein Geländespiel am 15.06. in Erinnerung, das zwischen uns und der Heimschule Dingelstedt stattfand, wobei sich leider unsere Jungens nicht an die ausgemachten Bedingungen hielten, indem sie die Fahnen versteckten. Ein Wettsingen schloss sich an. Im Juli erhielt die Klasse 5 wegen Einziehens zu den Flakhelfern vorzeitig Ferien.
Das neue Schuljahr wurde auf den 22.08.1943 um 9 Tage vorverlegt. Wegen nicht rechtzeitiger Benachrichtigung waren aber am 25.08. erst die Hälfte der Jungen eingetroffen. So unternahmen alle unter meiner Führung eine Schülerwanderung zur Klosterschranne. Der Unterricht wurde erst am 27.08. aufgenommen, obwohl noch immer ein Drittel fehlte. Einen Tag später erhielt ich die Ernennungsurkunde zum Studienrat an der Jungenoberschule Calbe/Saale, blieb aber weiterhin in Bischofstein wegen Kriegswichtigkeit abgeordnet.
Am 10.09.1943 erhielt ich einen Gestellungsbefehl nach Frankfurt/Main, der aber auf Betreiben des Schulleiters rückgängig gemacht wurde. Am 7. November leitete Herr Schmidt einen Aufmarsch der Jungens in Heiligenstadt. Eine Woche später kam Oberstudienrat Willers, um unsere Physiksammlung zur Abschätzung des Wertes aufzunehmen. Am 01.12. wurde für die oberen Klassen ein Marinewerbungsvortrag gehalten. Wegen eines peinlichen Vorfalls mussten drei Schüler das Schulheim verlassen. – Mit „Lichtsucher“-Spiel wurde im Heim am 15.12. Weihnachten gefeiert. Infolge der Kriegsverhältnisse lief die Post so langsam, dass ein Brief aus Halberstadt erst nach 15 Tagen bei mir ankam. Dort wurde bei einem Fliegerangriff eine Halle des Junkers-Werks vernichtet, aber 136 feindliche Flugzeuge abgeschossen.
Im März 1944 war Herr Schmidt zu einem zweiwöchigen Heimschulleiterkursus in Plön, ging aber dann am 19.3. mit den Schülern zu einem Jugendappell nach Geismar. An der sehr schönen Maifeier in Bischofstein nahmen auch der Bürgermeister von Lengenfeld und der Schulleiter der Dingelstedter Heimschule teil. Am Wandertag 11.05. ging ich mit meinem Zug zum Hülfensberg mit abschließendem Geländespiel an der Keudelskuppe. Am Pfingstmontag (28.05.) wurde gemeinsam zur Effelder Höhe gewandert, wo unser Schulleiter für Betrieb sorgte. Der Heimabend meines Zuges zum Geburtstag von Herrn Schmidt (08.07.) wurde von diesem recht negativ beurteilt.
Die Sommerferien dauerten vom 26.07. bis 31.08.1944. Im neuen Schuljahr wurden aber Dr. Hertling und ich sowie vier der älteren Schüler schon am 29.09. zum Schanzeinsatz bei Geldern für 7 Wochen beordert. Wir beiden Lehrer wurden einer Zehnerschaft, die vorwiegend aus Handwerkern bestand und Schützengräben ausheben sollte, zugeteilt, während die Schüler in Capellen untergebracht wurden und bei den Panzergräben zu arbeiten hatten. Nach Bischofstein schrieb ich öfter Bericht.
Am 18.11. kam ich in Halberstadt an, da mir Herr Schmidt noch eine Woche Urlaub gewährt hatte. Bei der Rückkehr nach Bischofstein musste ich feststellen, dass Dr. Hertling nicht die gleiche Vergünstigung erhalten hatte (weil er vom Schanzeinsatz keinen Kontakt mit der Heimoberschule gehalten habe). Wie vor den Sommerferien hatte ich nun wieder 18 Wochenstunden zu geben und am Heimdienstturnus teilzunehmen. – Inzwischen war Herr Sänger nach Egeln versetzt worden, dann aber Herr Kühnemund bei uns eingetreten. Am 14.12. waren Oberpräsident Weber und der Oberschulrat bei uns zwecks Ernennung von Herrn Schmidt zum Oberstudienrat und Verleihung des Kriegsverdienstkreuzes 2. Klasse. Am gleichen Abend fand die Weihnachtsfeier statt, am folgenden Morgen fuhren alle in die Weihnachtsferien.
Das neue Jahr 1945 wurde für uns alle sehr schwer. Die Kriegshandlungen näherten sich immer mehr unserer Schule. Am 22.02. überflogen tieffliegende Bomber unseren Raum und warfen ihre Minen über dem Eschweger Güterbahnhof ab. Angesichts der immer unsicherer gewordenen Bahnverbindungen nahm ich auf der Fahrt in die Osterferien mein Fahrrad mit. Da die Fahrt in Nordhausen endete, musste ich von dort durch den Harz nach Halberstadt radeln. Meine für den 8. April vorgesehene Rückfahrt wurde durch einen schweren Bombenangriff auf Halberstadt verhindert. Mein Rad wurde dabei schwer beschädigt. Am nächsten Tag erfuhren wir, dass die Amerikaner inzwischen das Obereichsfeld besetzt hatten.
Die Schulen blieben bis Ende September 1945 geschlossen. Dann nahm ich den Unterricht in Calbe/Saale auf.
Siegfried Neue (Lehrer auf Bischofstein von 1942 – 1945)
(Quelle: „Bischofsteiner Rundschreiben“, Weihnachten 1991, S. 10 – 11)