Erinnerung eines alten Kameraden an die Internatsschule Schloss Bischofstein (1913)
Am Weihnachtsmorgen fiel der erste Schnee langsam zur Erde. Ich stand am Fenster und freute mich, dass dieses Jahr ein richtiger Weihnachtstag gekommen sei, denn ein Weihnachtstag ohne Schnee ist nach meiner Meinung nicht feierlich genug. Wie ich so stand und den wirbelnden Flocken zusah, musste ich an Bischofstein denken. Ich dachte daran, wie sich die Jungen jetzt auf den Schnee freuen. Jetzt können sie wieder rodeln und Schneeschuh laufen nach Herzenslust. Ihr wisst es gar nicht, wie schön ihr es habt in Bischofstein! Was ist es doch für eine Freude, mit dem Rodelschlitten vom Stein bis ins Dorf zu fahren, oder mit den Schneeschuhen an den steilen Abhängen hinunterzusausen. Ich sehne mich immer nach der Freiheit, die wir in Bischofstein hatten; das war doch ein gesundes Leben! Da wurde man abgehärtet, man fror nicht und kannte keine Erkältung.
Wie werde ich mich am 27. Januar nach dem schneebedeckten Brocken sehnen, wo ihr den Geburtstag unseres Kaisers feiert. Wie herrlich ist es, des Abends im dichten Schneegestöber den steilen Bergpfad emporzusteigen. Gigantisch ragen zu beiden Seiten des schmalen Weges die Felsblöcke aus dem dichten Nebel; wenn unten im tiefen Tale das Wasser des Bergbaches rauscht, wenn sich widerwillig die riesigen Tannen vor dem Winde beugen, so muss man unwillkürlich an die Walpurgisnacht denken, und im Geiste sieht man schon den Teufel seine Hexenheere um sich scharen.
Erfreut atmet man auf, wenn plötzlich aus dem dichten Nebel das Brockenhaus auftaucht. Denn nach der kalten Wanderung ist man froh, bald ins warme Bett schlüpfen zu können.
Das alles sehe ich vor mir als ob es gestern gewesen wäre, und ich werde es auch immer in der besten Erinnerung erhalten, ebenso wie das schöne kameradschaftliche Leben in Bischofstein.
Hans Georg Schulz
(Quelle: Bischofsteiner Chronik, Winter 1913)