Ein frommer Spitzbube
Es sind schon Jahrzehnte her. so um die Wende des Jahrhunderts, als sich folgende Begebenheit, von der ich berichten will, zugetragen hat. Mein Großvater, der ehemalige Hauptlehrer Josef Kruse, der die Hauptlehrerstelle in Lengenfeld von 1886-1911 innehatte, versah nebenamtlich noch den Küster- und Organistendienst. Ihm oblag also auch die Pflicht, für das Läuten der Glocken zu sorgen. Nun, das bereitete ihm keine allzu großen Schwierigkeiten, hatte er doch G Töchter, die abwechselnd das Läufen besorgen mussten. Und die Mädchen kannten keine Furcht, wenn sie morgens oder abends im Dunkeln zum Läuteboden hinauftappen mussten; selbst eine aufgescheuchte Fledermaus konnte sie nicht mehr erschrecken. Das sollte jedoch eines Tages anders werden. Es war im Spätherbst. Als meine Mutter abends zum Läuten der Betglocke die Kirche betrat, stand unter dem Turm ein Mann, tief versunken im Gebet. „Ei“, denkt sie, „was für ein frommer Mann.“ Sie ahnt nichts Böses, läutet die Glocke und schließt die Tür zu, da der fromme Beter inzwischen verschwunden war. Am anderen Morgen schließt sie noch bei Dunkelheit die Kirchentür auf und läutet die Glocke. Ihr fällt nichts weiter auf, da das Innere der Kirche noch im Dunkeln liegt. Als jedoch mein Großvater später die Kirche betritt, sieht er das räuberische Werk des frommen Beters, der sich in die Kirche hat einschließen lassen und nun Zeit und Muße hatte. Opferstöcke und Tabernakel aufzubrechen. Der fromme Spitzbube hat dann noch ein paar Einbrüche in Kirchen des Eichsfeldes verübt, wurde aber dann erfasst und dem Richter zugeführt.
Josef Menge
(Quelle: Lengenfelder Echo)