Ein Tag des Schreckens für Katharinenberg im Jahre 1525 (1928)

Vierhundertmal hat sich das Zeitenrad seit jenem Tage um ein Jahr gedreht, aber noch sind die Zeichen jener Schreckenszeit lebendig in unserer alten Kirchenruine.

Das Jahr 1525 war angebrochen und mit ihm sollte der lange verhaltene Ingrimm, von dem ein Teil des Volkes ergriffen war und in dem sich die Unzufriedenen wie in einem Fieberwahn wälzten, zum Ausbruch kommen. Der Schrecken sollte regieren, Ströme von Blut sollten fließen, der große Bauernkrieg, der Trümmer auf Trümmer häufte und die brutalsten Schreckenstaten auf beiden Seiten zutage förderte, fand eine willige Teilnahme.

Das stille Dörfchen Katharinenberg, das damals wohl nur aus der Wallfahrtskirche mit dem Gutshof und einigen ärmlichen Häuschen bestand, sollte nicht verschont bleiben. Die Nähe der freien Reichsstadt Mühlhausen, in der Heinrich Pfeifer und Thomas Münzer die Gemüter zu offener Empörung aufpeitschten, ließ für die Söhne des hl. Benedikt auch hier nichts Gutes erhoffen.

Noch waren es freilich Gerüchte vom Brennen und Plündern der wilden Bauernhorden, die nach hier drangen. Noch wurde jeden Morgen in der Wallfahrtskirche das hl. Opfer dargebracht, noch heilten die rührigen Patres geistige und leibliche Wunden, noch führten Ordensbrüder den Pflug, um der Erde, die in Frühlingshoffen schwelgte, den Samen zu übergeben.

Weit draußen auf den Rumeröder Triften und den Pfaffenkopfleiten führte der alte Martin seine Schafherde. – Da auf einmal brach der Schrecken herein – der Himmel war mit dichten schwarzen Wolken behangen. Der Mond konnte nicht durch die Wolken dringen. In einer Felsenspalte klagte der Kauz und die scheuen Eulen huschten durch das Geäste der mächtigen Buchen des weiten Güldenholzes.

Klosterkirche und Dorf Katharinenberg schlummerten dem neuen Tag entgegen, der ein Tag fürchterlichen Erlebens werden sollte. – „Was ist das, Bruder Georg?“, rief der Wächter des Gutshofes aus und zeigte mit der Hand gegen Osten. „Eine Feuersbrunst“, gab Georg zur Antwort und das entfesselte Element muss ganz fürchterlich wüten! „Seht ihr, wie sich das schwarze Dunkel am Himmel weithin in eine güldene Röte malt?“ „Es ist schrecklich – das haben sicher die wilden Horden des ‚Schwertfegers‘ angestiftet!“

Leider war es nur zu wahr. – Und sie kamen – ein wilder Haufen, ein überaus lächerliches Durcheinander von Waffen aller Art: Sensen, Gabeln, Hellebarden, alte Schwerter, Dreschflegel und anderes Wehrzeug – man konnte keine buntere Mischung sehen. Und erst die Bekleidung! Keiner sah dem anderen gleich, nur in einem herrschte Einheit: der Ausdruck im Gesichte aller war verwildert, die Leidenschaft und der Ingrimm durchzuckte alle.

Das arme Dorf wurde bis auf das letzte Haus ausgeplündert, derweil man beim Gutshof und Gotteshaus ganze Arbeit machte. Hier sollte kein Stein auf dem anderen bleiben. Gierige Hände griffen nach allem und verschonten auch das Heiligste nicht. Was nicht des Mitnehmens wert erschien, wurde zertrümmert, und die letzten Reste vom Gutshof und Gotteshaus sollte das Feuer zerstören. Es war ein grässliches Schauspiel, das sich den Blicken darbot. Die wenig Zurückgebliebenen konnten sich nur mit Not aus den Flammen retten.

Das Vieh im Stalle verbrannte jämmerlich und hoch oben in der Luft kreisten die Tauben. Immer wollten sie niederfliegen und die bekannte Wohnung suchen, Hitze und Rauchwolken trieben sie wieder fort. Wie raste das Feuermeer in den Gelassen und knisterte es in den Balken, die mit lautem Gepolter in die Liefe stürzten, um der Wut des Elementes neue Nahrung zu geben.

Gleichzeitig hatte roher Unverstand und blinde Wut auch die Wallfahrtskirche in Brand gesteckt. Wie gierig leckte das entfesselte Element an dem Gestühl, am Altar, der Empore und der Orgel empor, um sich in den Dachsparren fortzupflanzen. Krachend fiel das stolze Gewölbe zusammen und auch der Glockenstuhl wurde von ihm ergriffen.

Die Glocken, die so oft fromme Waller herbeigerufen, stürzten mit einem Missklang in die Tiefe, begleitet vom Gejohle halbwilder Menschen. – Eine dichte graue Rauchwolke deckte Ruinen und Trümmer, noch lange den abziehenden Frevlern wie ein drohender Arm sichtbar. Die mächtigen Quadern der Außenmauern hatten dem Feuer getrotzt und stehen bis auf den heutigen Tag. Sie geben Zeugnis, wie prächtig und imposant der alte Bau gestanden, sie umschließen in dem überdachten Chor wieder den Heiland im Allerheiligsten Altarsakrament. Aus den öden Fensterhöhlen des Kirchenschiffes und des trotzigen Turmes schaut aber noch heute das Grauen und die Wolken ziehen wie fliehende Segler über das offene Kirchenschiff und den offenen Turm. – Die ehemalige berühmte Wallfahrtskirche mit dem Gnadenbild der seligen Gottesmutter ist heute in ihrem Chor ein bescheidenes Dorfkirchlein und wird es bleiben. So rächt sich blinde Zerstörungswut bis in die fernsten Zeiten.

Ch. Kellner
(Quelle: „Mein Eichsfeld“, Jahrgang 1928, S. 74 – 75)