Eichsfelder Herbst
Wenn an Trift und Rain die roten Hagebutten von den Hundsrosenhecken leuchten, an Bachufern und Waldrändern im Gerank die glänzend schwarzen Brombeeren winken und lachen, die Frucht des Weißdorns reift und der Haselnussstrauch braun getönte Frucht zeigt, dann ist der Herbst im Anmarsch.
Nun ist die Kraft der Sonne im Abnehmen, Tag für Tag. Wohl liegt ihr Licht auch über manchem farbenfrohen Herbsttag. Aber es ist nur mehr wie ein Lächeln wehmütig und müde. Früher schon geht sie hinter den westlichen Höhen zur Neige, wenn nicht massige Wolkenbänke sie schon vor dem Sinken verschleiern. –
Gar, wenn es in kalten Schauern in dem Blattwerk der Bäume zaust, den Staub der Straßen im Wirbeltanz fortträgt, mit wütender grimmer Faust an den Fensterläden rüttelt, Frucht und Blatt zur Erde schüttelt, den geschäftig eilenden Menschen die Kleider flattert und peitscht, dann ist er da, der Herbst und regiert, selbst wenn kalendermäßig seine Zeit noch nicht da ist. Dann legt er schon hier und da einen schwachen Farbenschimmer von seiner bunten Palette auf Buschwerk und Wald. Der Holunderstrauch lässt seine schwarzen Früchte leuchten und bietet den heimischen Vögeln willkommene Tafel. An rauen Gebirgsstraßen prangen die roten Beeren der Eberesche. Im Unterholz, an Bachufern und Waldrändern lugt die reife Giftfrucht der Tollkirsche – dicht neben der wohlschmeckenden Brombeere. Das mahnt zur Vorsicht für die Kinder.
Allmählich wirft der Haselnussstrauch seine Frucht ab. Dann durchstreifen die Kinder den Wald. Beim Anblick der braunen Nüsse fällt dann wohl nach langer Zeit wieder das Wort, so beseligend und verheißungsvoll für ein Kinderherz: Weihnacht. Auch die Kastanien, Eicheln und Bucheckern fallen ab zum Willkommen für Eichkatze und Maus. Sonntags steigen auf den abgeernteten Feldern die bunt beschwänzten Papierdrachen unter dem Jubel der mutwilligen Knaben. Werktags ist auf den Kartoffelfeldern reges Ernteleben. Auch der eichsfeldische Saisonarbeiter und Handelsmann ist um diese zeit zumeist zu Haus’ und birgt seine Kartoffelernte. Wenn er da erntend auf seinem Stückchen Land steht inmitten von Weib und Kindern, dann kommt ihm wohl mehr als sonst die Sehnsucht nach Bodenständigkeit. Leuchtenden Auges sieht er die Knollen schimmern und die gestrafften, vollen Säcke prahlen. Sein Weib, dem die Bearbeitung des Feldes während seiner Abwesenheit oblag, sieht Mühe und Arbeit nun belohnt und freit sich mit ihm. –
„Selber was – wie gut ist das!“ Krautfeuer rauchen, knistern, lohen. Der Duft der frischen gebackenen Knollen durchzieht die Luft und lockt zum Genießen. Dann kommt der Fuhrmann, wenn der Tag zur Neige geht. Schwer beladener Wagen rattert über den holprigen Feldweg, ächzt und stöhnt. –
Ein rastloses, unermüdliches Rattern in den schon dunkel gewordenen Dorfstraßen. Schaffen und emsiges Regen auf den Hofstätten. Polternd kollern die Knollen durch die Luke in den Keller, der kaum den Erntesegen birgt. Erst spät nimmt man das Abendbrot und geht ermüdet zur Nachtruhe. Die Mühlen haben um die Zeit vollauf zu tun, das Getreide der neuern Ernte zu vermahlen oder zu verschroten. Es kommt dann auch die Zeit, wo das Jagdhorn hallt und dem Jägersmann das Herz höher schlägt. Sein Schrot fährt in flatternde Hühnerketten und bringt Schrecken und Tod. –
Bunter und farbenreicher schillert und schimmert, flackert und glüht nun das Laub der Bäume. Ums Wetterkreuz heult der Sturm und wirbelt falbe Lindenblätter mit fort, entblättert die letzten Rosen. –
Nach Michaeli haben die Hirten allgemeines Hutrecht. Dann geht’s mit Geißen und Rindern auf die Wiesen, wo die Herbstzeitlose aufblüht. Nach Freibeuterart fahnden die Hütejungen nach den letzten Baumfrüchten und verzehren sie mit köstlichem Behagen. –
Wenn aber ein richtiges Herbstbrausewetter durch die Kronen der Waldbäume gefahren ist, dann zieht die ärmere Bevölkerung hinaus an den Holztagen – ins Leseholz. Mit schwer beladenen Handwagen, hochgerafftem Tragekorb und voller Schleifwelle geht’s dann dem Dorfe wieder zu. Kommt dann der Spätherbst und Winter, dann spendet das Raffholz wohlige Wärme am Herd und lohnt die aufgewandte Mühe. –
Im dunklen Verlies des Maststalles schmachten die Gänse, denn bald ist Martini. –
Am grauen Bildstock am Wege lächeln die letzten, kargen Feldblümlein, von Kinderhand gesammelt und zum Weihesträußchen gebunden. Allmählich veratmet die herbe herbstliche Pracht und Schönheit. Greise, Greisinnen und Kranke ziehen nun wieder das wohlig durchwärmte Zimmer vor. Vom Fenster halten sie wehmütig sehnend Ausblick. Draußen vom Feld oder aus den Kronen der Walnussbäume ertönt heiseres Krähengeschrei durch wälzende Nebel. Das nimmersatte Krähenvolk schreitet hinter dem pflügenden Landmann und zerhackt mit unbarmherzigen Schnabelhieben Würmer, Käfer, Larven und Mäuse.
Für die vorsorgende Hausfrau drängt noch manche Arbeit. Weißkraut wird eingehobelt, damit, wenn das Schlachtfest kommt, es nicht an dem unvermeidlichen „Schlachtekohl“ gebricht. Wenn die Hauszwetschen reichlich Behang hatten, dann brodelt in großen Kesseln der braune Sud des Pflaumenmuses. Dabei gibt es allerlei Scherze und Neckereien. Man hält „Muskirmes“. Oft wird zu dieser Verrichtung die Nacht in Anspruch genommen. Der durch die Küchenfenster entströmende Duft der brodelnden Masse lässt die ungebundene Dorfjugend wittern, wo dieselbe gerade abgehalten wird und veranlasst zu mehr oder weniger gutzuheißenden Schwerzen.
Auch die „großen Kirmessen“ bringt der Herbst. Lange vorher zählt die tanzlustige Jugend die Tage und ist Kirmes endlich da, dann vergnügt sich Alt und Jung bei Tanz und Schmaus. Auf dem Dorfanger spielt die Musik zum Tanz auf. Jedes ehrbare Mädchen sucht einen Angertanz mit einem unbescholtenen Burschen zu erhaschen. Denn: Ein Angertanz ist ein Ehrentanz. Und streut auch die alte Linde falbe Blätter – wer achtet darauf? –
Aber dann kommt Allerseelen – und hält die Stimmung umfangen. –
Die Menschen sitzen am Herde – und sinnen dem Sommer nach – bereiten sich widerspruchslos auf den herben, kalten Winter vor. Mitten in das bange zagen fällt ein Hoffnungslicht: Weihnacht! –
Alles in allem: Der Frühling ist Freuden- und Hoffnungsspender. –
Der Herbst ist ein Lohner – ein Gabenspender.