Eichsfelder Bäckermeister anerkannter Naturforscher - Lambert Rummel zum Geburtstag (1954)

Der Volksmund sagt: „Wenn einer tot ist, wird er gelobt.“ Warum aber wollen wir die Verdienste eines Menschen immer erst dann windigen, wenn er bereits aus unserer Mitte geschieden ist? Es ist doch nur ein Akt der Dankbarkeit, wenn ein Lebenswerk, dessen Abschluss bedrohlich näher rückt, schon von der Mitwelt gekannt und anerkannt wird.

Da feiert am 7. Juni in Lengenfeld unterm Stein ein alter Herr seinen 78. Geburtstag. Oho, von wegen „alter Herr“! Dreißig Jahre Turnwart, das sieht man ihm auch heute noch an. Und sein Beruf? Ganz solider Bäckermeister ist er, bäckt Brote und Brötchen wie viele andere, auch heute noch; denn als sein Sohn aus dem Kriege nicht wiederkam, musste er in seinen alten Tagen wieder in die Sielen. Leider! Leider! Blieb ihm doch nun keine Zeit und auch keine Kraft mehr, seiner Lieblingsarbeit nachzugehen, der wissenschaftlichen Erforschung der heimatlichen Insektenwelt, der Entomologie; denn bei seiner langjährigen Forschertätigkeit hat er einzig dastehende Erfolge erzielt, welche selbst die wissenschaftliche Fachwelt in Staunen versetzten. Es ist der Altmeister der eichsfeldischen Entomologen, der Bäckermeister Lambert Rummel.

Wie ist Rummel als einfacher Handwerker auf dieses Gebiet der Wissenschaft gekommen? Da lassen wir ihn am besten selbst berichten: „Ich bin Eichsfelder Kind und stamme aus Worbis. Nach der Schulentlassung lernte ich Bäcker und zog als Geselle in die ‚Welt‘. Es wurde damals als Bäcker nicht viel verdient; deshalb arbeitete ich zwei Jahre als Kumpel im westfälischen Kohlenpott. In Hildebrandshausen habe ich mich zum ersten Male selbständig gemacht und bin dann später nach Lengenfeld übergesiedelt.

Wie bin ich nun auf die Entomologie gekommen? – Schon als Kind besaß ich eine ausgesprochene Vorliebe für die Natur; vor allem war ich bereits damals ein guter Beobachter. Als Schuljunge interessierte ich mich besonders für die Entwicklungsstufen der verschiedenen Insekten. Ich suchte mir Schmetterlinge, Käfer, Raupen aller Art und fütterte sie. Da ich bei der Fütterung der Insekten genau auf die verschiedenen Wirtspflanzen achten musste, kam ich zur Pflanzenkunde, zur Botanik. Und weil die Pflanzen nur auf bestimmten Böden wachsen, musste ich auch die Erdschichten unterscheiden lernen; so wurde ich mit der Zeit Geologe. Kurzum, am Ende habe ich mich mit allem befasst, was mit der Heimat im Zusammenhang stand.

Später habe ich mich dann auf die heimatlichen Insekten, insbesondere auf Schädlinge und Nützlinge, spezialisiert und eine biologische Sammlung aufgestellt. Gleichzeitig beschäftigte ich mich mit der Züchtung neuer Schmetterlingsformen durch Anwendung der künstlichen Zuchtwahl. Als Versuchsschmetterling wählte ich einen Buchenspinner aus, den Nagelfleck (Aglia tau). Nach fünfjähriger sorgfältiger Auslese erzielte ich eine Änderung der Farbe vom Rotgelb bis zum totalen Schwarz, den Aglia tau extrema Rummel. Diese Umformung erwies sich als eine erbliche Mutation und hat damals großes Aufsehen erregt. –

Ferner versuchte ich festzustellen, ob und wie weit sich Temperaturänderungen auf die Neuformung von Schmetterlingen auswirken. Zu diesem Zweck setzte ich den bekannten Trauermantel (Vanessa antiopa) mit dem schmalen, hellgelben Flügelsaum in steigendem Maße der Wärme aus. Der Erfolg war überraschend: der gelbe Flügelrand wurde immer breiter und nahm eine dunkle Färbung an (Vanessa antiopa higiaea). Denselben Versuch machte ich auch mit dem Großen Fuchs (Vanessa polychloros). Bei diesem Schmetterling erfolgte ein Zusammenfließen der einzelnen dunklen Farbflecke. – Durch die Einwirkung von Kälte und Wärme entstanden beim Kleinen Fuchs (Vanessa urticae) Lokalformen, d. h. Schmetterlinge, die im Norden, auf dem Balkan und auf Sizilien existieren. – Damit habe ich den Erweis erbracht, dass Schmetterlinge, die einer Temperaturveränderung ausgesetzt werden, eine Umformung vornehmen. Dass meine Forschungsergebnisse von der Wissenschaft anerkannt und gewürdigt worden sind, war für mich Genugtuung und Lohn zugleich. Ebenso hat es mich gefreut, in dem neuen Lehrbuch der Biologie für das achte Schuljahr Abbildungen dieser Schmetterlings-Neuformen vorzufinden.” So weit unser Altmeister.

Neben seinen entomologischen Forschungsarbeiten schuf Rummel auch eine urkundlich belegte Chronik von Lengenfeld unterm Stein. Sie umfasst die Geschichte des Dorfes bis 1815 und ist leider nur in zwei handschriftlichen Exemplaren vorhanden. Dieser Chronik hat der Verfasser eine Flurkarte mit den alten Flurbenennungen beigefügt, außerdem zwei geologische Querschnitte, die das Friedatal als Auswaschungstal und das Tal zwischen Dünberg und Keudelskuppe, das zur Eichenberger Grabensenke gehört, als Einbruchsbecken veranschaulichen.

Seiner Wirksamkeit war es auch hauptsächlich zu verdanken, dass nach dem Ersten Weltkrieg in Lengenfeld ein Verkehrsverein gegründet und das Dorf als anerkannter Luftkurort von zahlreichen Kurgästen aufgesucht wurde.

Wie sehr das reiche Wissen Rummels behördlicherseits geschätzt wird, zeigt, dass er von der Landesstelle für Vor- und Frühgeschichte als ehrenamtlicher Fundpfleger für den Bezirk Lengenfeld eingesetzt wurde. Doch nicht genug damit: Er fungiert auch noch als phänologischer Beobachter für den Meteorologischen Dienst, d. h. das ganze Jahr über beobachtet und notiert er die jahreszeitlich bedingte Entwicklung der Pflanzen und Erscheinungen in der Tierwelt.

Wahrlich, auf ein arbeitsreiches, aber auch erfolgreiches Leben, das wir hier nur andeuten konnten, kann unser Geburtstagskind zurückblicken. Die Größe der Leistung wird erst ins rechte Licht gerückt, wenn man bedenkt, dass seine gesamte wissenschaftliche Tätigkeit neben seiner täglichen Arbeit in Beruf und Landwirtschaft erfolgte, dass sich seine Züchtungsversuche unter den primitivsten Verhältnissen vollzogen und dass er sich ohne fachliche Vorbildung als Autodidakt das erforderliche Wissen selbst erarbeitete. So ist er gerade der heutigen Jugend, die sich verpflichtet hat, mehr zu lernen, ein leuchtendes Vorbild.

Wir wünschen Herrn Rummel weiterhin vor allem Gesundheit, Kraft und Zeit, das Unvollendete noch mit gleichem Erfolg vollenden zu können. Ad multos annos!

Quelle: „Eichsfelder Heimatborn“, Ausgabe Pfingsten 1954