Die vergessene Quelle
Am Rande des Hansteins, nur wenig bekannt,
entspringt eine Quelle, unten am Hang.
Das sprudelnde Wasser, hell und klar,
in vergangenen Zeiten schon Heilquelle war.
Seit uralten Zeiten fließt die Quelle am Hang,
noch hat sie die Stadt zum Steine gekannt.
Sah Geschlechter kommen und wieder vergeh’n,
und im Wechsel der Zeiten das Dorf ersteh’n.
Ein Flüstern und Raunen, bei der Quelle am Hang,
von Zeiten und Menschen im heimischen Land,
von Burgen und Schlössern auf schwindelnder Höh’,
und von Hütten im Tale, von Leiden und Weh.
Aus dichten Wäldern von Buchen und Eichen
sah sie den Luchs die Beute umschleichen.
Hörte den Uhu, den König der Nacht,
wenn er im Walde hat Beute gemacht.
Jagten die Jäger in Flur und Wald,
blies an der Quelle das Jagdhorn Halt.
Im Schatten der Eichen machten sie Rast
und tranken der Quelle köstliches Nass.
Die Tochter des Köhlers, die blonde Burgunde,
holte das Wasser am felsigen Grunde.
Der durstende Landmann, in sonniger Glut
trank an der Quelle die kühlende Flut.
Verschwunden sind Ritter und Köhlerburgunde,
doch geben die Berge und Felsen noch Kunde.
Wie geschätzt war als Kleinod die Quelle am Ried,
davon singen die alten Eiben ein Lied.
Nur wenige im Dorf die Stelle noch kennen,
wo noch fließt die beste der heimischen Quellen.
Die Alten haben sie besser gekannt,
und haben sie einfach den „Pforzborn“ genannt.
Anmerkung:
Hanstein = Flurbezeichnung in Gemarkung Lengenfeld
Luchs = vor etwa 300 Jahren ausgestorben
Uhu = Großeule, die 1895-1897 noch in unserer Breiten vorkam
Der eigenartige Name der Quelle („Pforzborn“) veranlasste mich schon vor 25 Jahren, das Wasser der Quelle untersuchen zu lassen. Die Analyse ergab unter anderen guten mineralischen Bestandteilen einen hohen Prozentsatz von natürlicher Kohlensäure, welche beim Trinken des Wassers ein starkes Aufstoßen verursacht; und hier liegt der Grund für den Namen der Quelle. Eine alte (schon verstorbene) Einwohnerin, auf deren Eigentum früher die Quelle zutage trat, erzählte mir, dass dieses Wasser bei einer Typhus-Epidemie von dem damaligen Pfarrer Großheim als das beste trinkbare Wasser empfohlen wurde. Pfarrer Großheim war von 1878 bis 1902 Seelsorger unserer Gemeinde. Zu dieser Zeit war noch kein Arzt im Orte ansässig. Pfarrer Großheim war auch als Ratgeber bei vielen Krankheiten im Dorfe bekannt und beliebt.
Das Wasser der Quelle soll bei manchen Darm- und Magenbeschwerden öfters gute Dienste getan haben. Als Lengenfeld noch keine Wasserleitung hatte, und die Bewohner auf frei fließendes Quellwasser angewiesen waren, wusste man noch die Vorzüge und Besonderheiten jeder Quelle zu schätzen. Der Lochborn auf dem Kirchberge war das einzige Trinkwasser im Dorfe, welches von der Quelle aus durch Tonröhren geleitet und aus einer etwa ein Meter hohen, gebogenen Eisenröhre floss. Von hier aus bezog das Krankenhaus in den ersten Jahren seines Bestehens mittels eigener Wasserleitung seinen Trinkwasserbedarf. Die Bleirohre dieser ersten und eigenen Wasserleitung liegen heute noch in der Erde.
Die Quelle am Hanstein quillt heute [1957] an dem unteren Wegrande des neuen Separationsweges unterhalb eines Feldgehölzes und dient als Tränke der Rinder auf der Viehweide des Bäckermeisters Peter Hardegen. Das gut bekömmliche Wasser würde sich zur Herstellung eines echten Eichsfelder- oder Lengenfelder Sauerbrunnens eignen.
Im selbigen Flurteil (Hanstein) befindet sich ein steil abfallender Felsvorsprung. Von hier aus hat man einen schönen Ausblick über das Dorf hinweg bis weit ins Friedatal hinein. Über raindurchzogene Felder hinweg sehen wir das stille Fackental, und die darüber liegende Keudelskuppe. Der Eigentümer dieses schönen Aussichtspunktes, der Sattlermeister August Steinwachs, der hier oben seine in einem stillen Waldwinkel liegenden Bergfelder bearbeitet, hat in echter Natur- und Heimatliebe eine Blockhütte mit Bank errichtet.
Ich möchte an dieser Stelle darum bitten, seine Natur- und Heimatfreude nicht durch mutwillige Beschädigung der Anlagen zu trüben.
Heinrich Richwien
(Quelle: Lengenfelder Echo, Nr. 2/1957)