Die alten Steinkreuze um Mühlhausen (1959)
Jedem Heimatfreund sind schon im Umkreis von Mühlhausen die alten Steinkreuze begegnet. In vielen Orten treffen wir sie am Anger, oft aber auch an vielbegangenen alten Straßen. In ganz Thüringen sind noch über 500 solcher Kreuze festzustellen, und wir müssen annehmen, dass weitere hunderte dem Zahn der Zeit oder dem Unverstand zum Opfer gefallen sind. Stumm, ernst und verwittert stehen sie, als Zeugen vergangenen Volksbrauches und Volkssitte. Natürlich hat sich die Sage ihrer angenommen. „Schwedenkreuze, Franzosenkreuze, Weichbildkreuze, Grenzkreuze, Bonifatiuskreuze, Mord- und Sühnekreuze, Wetterkreuze“ und anderes mehr, werden sie genannt. Im Eichsfeld ist es besonders die Bezeichnung „Bonifatiuskreuze“, die immer wiederkehrt; wollte doch Osburg, Pfarrer in Bickenriede, an Hand der Kreuze den Weg und die Stätten festlegen, an denen Bonifatius gepredigt haben soll. („Unser Eichsfeld“, XII., 1917 und 1918).
Um Mühlhausen und Langensalza ist es das Travertingestein, das hier im Gebiet gewonnen wird. Begünstigt durch die großen anfallenden Blöcke, sind hieraus meist hohe, schöne Kreuze gearbeitet.
Die Formen sind typisch gotisch und kommen nur hier im Gebiet vor. Die überraschend gleichmäßige Ausbildung und meist vollendet schöne Formgebung lässt auf eine lange Handwerksüberlieferung und auf ein hochstehendes Steinmetzhandwerk schließen, das hier im 14. bis 16. Jahrhundert geübt wurde. Es hat sich ja bis in heutige Zeit in voller Blüte erhalten.
Die Grundform ist ein auf die Spitze gestelltes, gekerbtes viereckiges Kreuz, das auf einem Schaft in der Erde verankert ist. Gerade die untere Spitze ist besonders erhaben aus dem Schaft ausgebildet. Die Höhe des ganzen Kreuzes, soweit es nicht in der Erde versunken ist, schwankt zwischen 160 bis 190, ja ausnahmsweise bis 220 cm. Die Breite durchschnittlich zwischen 65 und 120 cm, abhängig, ebenso wie die Stärke, von der Abmessung des im Bruch anfallenden Blockes. In einer Reihe von Urkunden wird die Höhe von „sobin fusse“ gefordert. In der Erde ist das Kreuz gewöhnlich zwei Fuß tief verankert.
Die Kreuze von Volkenroda, Niederdorla, Görmar und die „Steinerne Jungfrau“ zeigen sehr schöne Figuren und Inschriften, so dass wir annehmen müssen, dass viele der stark verwitterten Kreuze einstmals auch solche getragen haben.
Es sind aus dem Mittelalter in vielen Archiven, so auch in Mühlhausen, eine große Reihe von Urkunden erhalten, die einwandfrei ergeben, dass die meisten Kreuze als Mord- oder Sühnekreuze gesetzt sind. Nach alter deutscher Rechtsanschauung und deutschem Rechtsempfinden zog ein Totschlag die Blutrache der Freundschaft, d. h. der Familie des Toten, nach sich.
Berichtet doch schon Tacitus in seiner Germania, Cap. 21, davon, sagt aber, dass die Tat durch Vieh und Wehrgeld gesühnt werden kann. Auch der Sachsenspiegel, Art. 14, setzt das Wehrgeld fest. Die harte Sitte der Blutrache galt es zu steuern und in vernünftige Bahnen zu lenken, das ist der Zweck der uns überkommenden Sühneverträge.
Der Täter hatte materielle Leistungen, so z. B. die Sorge für die Hinterbliebenen des Toten, für die Erziehung seiner Kinder und anderes mehr zu übernehmen.
Aber auch die Kirche, die ja bei der religiösen Einstellung des mittelalterlichen Menschen ausschlaggebend war, verlangte eine Sühne. War doch der Tote ohne Vorbereitung in die Seligkeit gegangen. Der Täter wurde daher verpflichtet eine Wallfahrt zu machen, Messen lesen zu lassen, Kerzen zu stiften, vor allem aber ein „steinen Kreuz“ setzen zu lassen, an dem jeder, der vorüberging, ein Gebet für den Toten verrichten sollte.
Dieser Forderung verdanken wir die vielen heute noch erhaltenen Sühnekreuze. So heißt es im Mühlhäuser Notulbuch von 1450 bis 1500. Mühlhäuser Archiv, X. Fach 1., Nr. 7, bei Blatt 199 a, Sühnevertrag curd rost – curd Peltzer (1471) = „item soll, wan er dy buse tud . . . der lichte czwey tragen lassen und setzen eyn steynem crutze.“
Ebenso Blatt 241 a, Sühnevertrag Jorge segilbach – wemher langin (1481) = „Item er sal auch setzen eyn steyner crutze an dlie stete da die missetat geschehen ist, pobin der erden sobin fusse hoch.“
Und Blatt 315 a, Sühnevertrag von 1493, tile Rodemann – Claus blankinburg – hausen bechman von eychilbom = „Item eyn steyn crutze sobin fusse pobin erden vor das usser Germar thor kegin dye wolffsgmben zu setzen“. (Mitteilung Aulepp).
Ein weiterer Sühnevertrag von 1534 „wegen Entleibung“ des Friedrich Bickel durch Berit Schüler (Brinkmann „zum Rätsel der Steinkreuze“) in Horsmar, bestimmt, dass der Täter „ein ziemlich steinen Kreuze am Orte, in oder außerhalb des Dorfes, doch an bequeme Stätte, dahin ihn die Freundschaft weiset, zu einem Gedächtnis dös Entleibten setzen“ soll.
Das Kreuz bei Görmar zeigt den Namen des Toten: „Albertus Hopphe“, und muss vor 1347 errichtet sein (Mühlhäuser Urkundenbuch Nr. 980: 1347 „vier akcere bie dem riuwen crutze“.)
Auch die „Steinerne Jungfrau“ im Helbetal wird mit einer Nachricht in der Mühlhäuser Chronik in Verbindung gebracht, nach welcher im Jahre 1446 einer von Reinstein einen Hans Immenrodt im Helbetal bei einem Viehraub erschossen hat.
Das Kreuz, das der adelige Viehräuber setzen lassen musste (es werden ihm hoffentlich auch die anderen Sühneleistungen auferlegt gewesen sein), hat eine Figur mit einem Spruchzettel „misere mei deus“ und die Jahreszahl MCCCC . . . , dazu das Wappen Hohnstein.
Für die Altersbestimmung unserer gotischen Kreuze kann somit das 14. bis 16. Jahrhundert angenommen werden. Als mit Einführung des römischen Rechtes durch die „Carolina“, 1534, das alte deutsche Recht durch römisches Recht verdrängt wurde, verschwand auch allmählich der Brauch des Kreuzsetzens, auch mag die Reformation mit ihrer Sinnesänderung dazu beigetragen haben.
So sind uns die Sühnekreuze Zeugen einer vergangenen Zeit unseres Volkes, Zeugen von Volkssitte, Kultur, Volksglauben und altem deutschem Recht. Sie sind auch deswegen unter Denkmalsschutz gestellt.
Die Forschung zeigt, dass viele Kreuze dem Unverstand der Menschen zum Opfer gefallen sind, aber gerade die heutige Zeit mit ihrer Sorge um die Erhaltung der uns verbliebenen Güter, ist dazu angetan, die Kreuze als wertvolles Kulturgut unseres Volkes zu erhalten.
Gotische Steinkreuze um Mühlhausen und Langensalza
1. Zaunröden, nahe Ort
2. Volkenroda, Inschr. u. Figur moccco . . .
3. Körner, 600 m vom Ort, an der Straße
4. Reiser, nahe Transformator
5. Windeberg, 2 km von Mühlhausen, an Linden, beschädigt: „Windeberger Kreuz“
6. Görmar, Straße, „Görmarsches Kreuz“, Inschrift
7. Mühlhausen, aus der Krümme, Museum
8. Mühlhausen, Lentzeplatz, Stadtmauer
9. Großengottern, im Ort
10. Langula, Angermauer
11. Lengefeld, am Mühlh. Tor
12. Lengefeld, daneben
13. Niederdorla, am Anger, Figur
14. Struth, am Landgraben
15. Struth, am Anger
16. Oberdorla, Friedhofsmauer
17. Eigenrieden, nahe Warte
18. Diedorf, am Anger, links
19. Diedorf, am Anger, rechts
20. Hainich-Ihlfeld „Eiserne Hand“, neuerdings verschwunden
21. Neunheilingen, Kapelle, Stumpf
22. Neunheilingen, Kapelle, rechts
23. Kirchheilingen, an alt. Schenke
24. Kirchheilingen, an alt. Schenke
25. Klein-Vargula, Weg nach Urieben
26. Klein-Vargula, gegenüber
27. Bollstedt, 400 m vom Ort
28. Lützensömmern, Dorfrand
29. Ammern-Reiser, Stumpf
30. Reiser-Wüstung Tuttensode, Stumpf
31. Creuzburg, Reststück
32. Worbis, vor Obertor
33. Holungen, an der Kirche
34. Küllstedt, Stumpf
35. Küllstedt, Gruppe von drei
36. Küllstedt
37. Bickenriede, am Bach, Stumpf
38. Bickenriede, Stumpf, jetzt Prellstein
39. Bickenriede, Stumpf
40. Effelder, am Plan, geritztes Kreuz
41. Großlohra, „Steinerne Jungfrau“, Figur, Spruchzettel, MCCCC . . . „misere mei deus“, Wappen (1446)
42. Kleinfahner, nahe Kirche
Aus weiterer Umgegend:
43. Trebra, Ausgang Mackenrode
44. Niedertopfstedt, Ausgang Frömstedt
45. Niederdorla, am Anger
46. Urbach, nahe Kirche
Verschwundene Kreuze:
- Schlotheim, früheres Spital, zwei Stück
- Klettstedt, an der Hauptstraße, (Die verschwundenen sind auf 20 bis 30 Stück zu schätzen)
Sonstige Kreuze:
- Langula, „Taternkreuz“, Inschrift 1539, 2. Februarius
- Mühlhausen, Schaffenstorstraße
- Altengottem, an Kreuzgasse
- Horsmar, „Das hohe Kreuz“, am Anger
- Großgrabe, im Ort
- Niederdorla, am Anger, ein lateinisches Kreuz und eine Kreuzplatte
Dipl.-Ing. Heinz Köber, Erfurt
(Quelle: „Mühlhäuser Warte“, Ausgabe 1959-08, S. 123-128)