Die Wonnen und Gefahren des Maien
Wieder mal ist der schönste der zwölf das Jahr beherrschende Monde, der Wonne spendende Mai ins Land gezogen. Jung, in ungebrochener Schönheit strahlend, kam er, von uns allen froh empfangen und jubelnd begrüßt, warb er um uns wie ein stolz geputzter Hochzeiter. Blumen, Laub und Lieder trägt er als Gewandung. Frohsinn, Lebensfreude und Lebensbejahung pulsen in seinen Adern. Da schlagen wir alle ein in seine werbende Hand, vergessen gern einmal, dass, ach so schnell, der Mai wieder entflieht, dass Blumen und Waldesgrün sobald wieder welken und verdorren und graue Herbstnebelschwaden dann wieder um die Berge lagern. Gern und leicht vergessen wir dann auch, dass von den zwölf, den Kreislauf des Jahres beherrschenden Monaten nur ein einziger der Mai ist, dass einem einzigen Mai, vielleicht einem einzigen kurzen Maitag nur das Leben hat. Doch jetzt ist nicht die Zeit, traurig zu sein. Trinken wir in rechter Art an den Freudenbronnen des Maien so viel, dass wir in Tagen des Leids, die für uns vorgesehen, noch davon, und sei es nur in der Erinnerung, zehren können. Nun ist wieder die Zeit der Maibowlen gekommen. Waldmeister sprießt in den heimatlichen Wäldern und schafft gemeinsam mit edlem Rebensaft frohsinnigen Geist.
Ich denke an längst entschwundene, sorglose Kinderzeit, da ich in Begleitung meines Vaters und Mutter in den heimatlichen Maiwald wanderte. Auch in der Zeit galt wie heute das derbe Sprüchlein: "Lichtemessen – sind alle Ecken leer gefressen." Daraus geht hervor, dass es auch im Maien noch nicht reichlich auf dem Tische aussah. Aber in den Wäldern des "Burgbergs" oder des "Kälberbergs" sprosste der saftige "Herzkohl". Emsig wurde er gesammelt und in Vaters bunt kariertem Zipfeltuch nach Hause getragen und brachte da eine willkommene Abwechslung in Mutters "Küchenprogramm". Auch einige Sorten essbare Pilze konnten wir, wenn wir gerade Glück hatten, sammeln. –
In kurzen Umrissen sei noch einiger Volksbräuche zu Beginn des Maien Erwähnung getan. Einige davon sind altheidnischen Ursprungs und stehen im Zusammenhang mit den hier und da noch im Landvolke wurzelnden Überresten eines einst in Blüte stehenden, törichten Hexenglaubens. Durch Anbringen von Kreidekreuzen an den Stalleingängen sucht sich noch hier und da ein Viehhalter gegen den bösen Einfluss der dämonischen Hexensippe zu schützen (Verschlabbern - d.i. Verwünschen der Schweine).
Außer dem Angeführten gibt es noch verschiedene andere Gebräuche gleich törichter Art, nach den verschiedenen Gegenden ebenfalls verschieden. Andere Bräuche, wie z.B. das Pflanzen einer Maien (Birkenbäumchen) vor der Tür der Erkorenen sind harmlos und haben mit Aberglauben nichts zu tun.
Auf dem Eichsfelde besteht noch die Sitte der "Maisprünge" unter der Jugend. In meinem Heimatdorfe Lengenfeld ist das Ziel dieser Morgenwanderungen zumeist die "Kuppe". Dort wird beim Klange der Ziehharmonika und beim Singen von Volksliedern der Sonnenaufgang erwartet. Vielfach wird dann auf einem hohen Baumwipfel auch eine Flagge gehisst. Der Rückweg wird vielfach durch das Dorf Hildebrandshausen, welches idyllisch im Baumblütenschmuck gebettet liegt, angetreten. Dort träumen noch die friedlichen Dorfbewohner der am ersten Maisonntag stattfindenden Kirmes (Spanschleuchkirmes) entgegen. Verschlafene Gesichter erscheinen an den Fenstern und auf manchem liegt leiser Unwille gegen die "Lengfauer Butterknoten" (Spitznamen für die Lengenfelder), die ihnen den Schlaf störten.
Die katholische Kirche hat den Wonnemonat Mai der Himmelskönigin Maria geweiht. Allabendlich laden die Glocken zu einer erhebenden Huldigung an die Königin des Maien. Auf dem Eichsfelde, wo die Marienverehrung hoch steht, zeugen viele, in einsame Waldesstille gebettete Kapellchen und Andachtsstätten von dem Vertrauen des Landvolkes zur Gottesmutter. Von leisem Windhauch bewegt, flackern still die aus Verehrung oder Dank geweihten Kerzen zu Füßen eines schlichten Marienbildes und mancher Leidgequälte legt nach vollendeter Tagesarbeit vertrauensvoll dort seinen Kummer nieder.
An den Bildstöcken am Wege stellen Dorfkinder schlichte Blumensträußchen als Weihegabe auf. In vielen Familien ist es Sitte, ein Maialtärchen aufzustellen. Traut spendet dann das "Frauenlicht" seinen matten Schein in das dämmerige Stübchen.
Für den Landmann ist das Wetter im Mai von nicht zu unterschätzender Bedeutung. Jeden Tag betet die Kirche um das Gedeihen der Feldfrüchte und jeden Tag spricht der Priester von Wettersegen. – Nicht immer lacht die Sonne im Mai. Oft schon hat ein heftiges Maigewitter mit Hagelschlag die Hoffnungen des Landmannes zu Grabe getragen. Darum beteiligt sich der Bauer gern und willig an den üblichen Bittgängen der "Kreuzwoche". Er weiß, dass er dabei nichts versäumt und dass es nun in Gottes Hand liegt, den Werken seines Schweißes Gedeih oder Vernichtung zu geben. Eindringlich betet er daher: "Dass du die Früchte der Erde geben und erhalten wollest – wir bitten dich, o Herr!"
In der Geschichte meines Heimatdorfes ist der 27. Mai 1904 ein denkwürdiger Tag. – "Gewitter im Mai – singt der Bauer Juchhei" – sagt eine alte Regel und "Mairegen schreckt nicht die Kinder", weil er auch ihrem Wachstum förderlich sein soll, gleich der Pflanzenwelt. Aber – Gott möge uns bewahren vor einem Ereignis, wie am oben genannten Datum.
Da zog ein furchtbares Unwetter herauf und kam am Nachmittag in unserer Gegend zum verheerenden Ausbruch. Mächtige Staubwolken fegte der Sturm vor sich her. Nacht war hereingebrochen, von schaurigen Blitzen durchleuchtet, dröhnende Donnerschläge folgten und dann prasselten Hagelstücke hernieder in der Größe von Taubeneiern. Die Menschen kauerten furchtsam aneinander und glaubten, der jüngste Tag sei angebrochen. Die Wolken schütteten ungeheure Wassermassen aus. Da wälzte sich eine schmutzige Flut durch die Straßen und stieg höher und höher. Der Lauf der Frieda wurde zum reißenden Strom und führte Tierleichen, Haushaltsgegenstände, Bretter im reißenden Laufe mit fort. In das Toben der Elemente mischte sich das Weinen der geängstigten Kinder und das Schluchzen der Greise und Frauen. Erst gegen Abend waren die Straßen wieder passierbar. Aber wo waren die blühenden Gärten und Fluren? Alles war ein Bild der Vernichtung. Besonders aus dem Effelder- und Blankentale waren die Ackerkrumen vollständig fortgeschwemmt und die Ländereien machten den öden Eindruck von "Steinritschen". Besonders war das dem Rentner Karl Kaufhold gehörige Grundstück arg mitgenommen. Die aus dem Effeldertal stürzenden Wassermassen hatten sich hart am Dorffriedhof vorbei über dieses Gehöft den Weg gebahnt. Dort oben in den Wäldern des Walperbühls war wohl ein ungeheurer Wolkenbruch niedergegangen. Auch andere Ortschaften der Umgebung waren, wenn auch nicht so verheerend wie Lengenfeld, betroffen worden. Eine Regierungskommission hat nachträglich eine Besichtigung der entstandenen Schäden vorgenommen. Etwa 8 Tage nach der Katastrophe war die große Wallfahrt auf den Hülfensberg. In Scharen statteten Waller unserem Ort einen Besuch ab. In den Gärten lagen noch hier und da die harten Eisstücke.
- Das über die Wonnen und Gefahren des Maien. - Möge der diesjährige Mai nur Wonnen bringen und uns ein rechter Frohsinn- und Freudenspender werden.