Die Kanonenbahn - Teil 7: Der Bahnhof Küllstedt
Als nach 1950 der Großhandel Müller verstaatlicht und aufgelöst wurde, nutzte der Volkseigene Erfassungs- und Aufkaufbetrieb (VEAB) die Gebäude und transportierte die landwirtschaftlichen Erzeugnisse aus dem Umland, überwiegend Getreide und Kartoffeln, mit der Bahn. Obwohl auch in den 60er Jahren noch lebhafter Güterverkehr auf dem Bahnhof Küllstedt bestand, wurde dieser aus Rationalisierungsgründen am 1. September 1969 geschlossen. Von diesem Tage an gab es nur noch Personenverkehr auf dem Bahnhof, der in den folgenden Jahren aber auch immer dürftiger wurde, bis das Aus auch hierfür kam.
Die Fahrkartenausgabe Küllstedt wurde am 1. Januar 1993 geschlossen und Schienen-Ersatzverkehr zwischen Küllstedt und Geismar eingeführt, bis auch dieser am 29. Mai 1994 eingestellt wurde, der Bahnhof Küllstedt von der Schiene abgehängt und die Strecke bis nach Dingelstädt komplett dicht gemacht wurde. Nach der Stilllegung besuchte ich den Bahnhof im Sommer 1994 und fand das alte, kleine Streckenhäuschen mit Ersatzteilen und altem Schienenwerkzeug vollgestopft vor. Leider hatte ich bei dieser Gelegenheit keinen Fotoapparat dabei, so dass ich dieses nicht mehr im Bild festhalten konnte, denn bei meinem nächsten Besuch am Bahnhof waren die Wohnhäuser und das Streckenhäuschen privatisiert und bereits eingezäunt.
Bei meinem Besuch des Bahnhofs im Jahre 1994 hatte ich auch die Gelegenheit, das Bahnhofsgebäude von innen zu betrachten, da die Tür bereits aufgebrochen war. Im Inneren herrschte das Chaos, sogar ein noch verbliebener Schreibtisch war umgeschmissen worden, die Tapete hing von den Wänden herab und ein kleiner Aktenschrank war ebenfalls demoliert. Lediglich einige alte Formulare fand ich noch vor, die aber alle schon zerrissen waren.
An diesem Tag besuchten meine Frau und ich natürlich auch die Bahnhofsgaststätte von Küllstedt, den Lindenhof. Bei herrlichstem Wetter saßen wir auf der Veranda vor dem Gasthaus, ließen uns ein „kühles Blondes“ schmecken und kamen bei dieser Gelegenheit mit der damaligen Wirtin des Lindenhofs, Frau Reinhilde Fritze, ins Gespräch. Sie erzählte uns von den Zeiten zu denen auf dem Bahnhof noch Hochbetrieb herrschte, und zeigte uns auch die Stelle, an der sich einmal die Drehscheibe befunden hat. Auch ihren Sohn Holger, der den Lindenhof heute in der zweiten Generation seit dem 01.07.2002 betreibt, lernten wir bei der Gelegenheit kennen. Frau Reinhilde Fritze war, bevor sie das Lokal im Jahre 1978 übernahm, seit Mitte der 60er Jahre bei ihrem Vorgänger Erwin Strecker als „Gute Fee des Hauses“ tätig.
Als Gaststätte umgebaut, wurde der „Lindenhof“, der aus dem ehemaligen Projektionsbüro der Kanonenbahn hervorging, in den Jahren zwischen 1918 und 1924 von seinem Begründer, August Strecker, der die Gaststätte bis zu seinem Tod am 24. September 1946 führte. Bis ins Jahr 1950 führte seine Frau Emma das Gasthaus weiter, bis in diesem Jahr ihr Sohn Erwin die Konzession für den „Lindenhof“ bekam. Er führte die Gaststätte, inzwischen im Jahre 1958 zur „HO-Vertragsgaststätte“ geworden, bis zum 31. Juli 1978, als Frau Reinhilde Fritze den „Lindenhof“ schließlich übernahm.
Im Bahnhof Küllstedt kam es am 10. November 1945 um etwa 17.15 Uhr direkt am Einfahrtssignal zu einem Eisenbahnunglück, bei dem es zum Glück nur einen Schwerverletzten gab, der sich bei dem Unglück im Gepäckwagen des Personenzuges 9228 aus Leinefelde befand und sich dabei einen Lungenriss zuzog und wenige Tage darauf im Küllstedter Krankenhaus verstarb.
Auf Grund seiner Länge war ein mit Flachs beladener, überlanger Güterzug beim Rangieren über das Einfahrtssignal hinausgefahren. Als der Personenzug aus der vorgelagerten Kurve kam, war es schon zu spät, die Vollbremsung wurde nicht mehr wirksam. Er fuhr auf den Güterzug auf, wobei durch den Aufprall die Puffer der Personenzug-Lok abbrachen. Außer Prellungen und Beulen gab es keine Verletzungen, nur das Gepäck wurde beim Aufprall durcheinandergewirbelt.
Hermann Josef Friske