Die Kanonenbahn - Teil 4: Der Bahnhof Leinefelde
Aus Berlin kommend, benutzte die Kanonenbahn zunächst den neu gebauten und am 15. April 1879 eröffneten Streckenabschnitt von Berlin-Charlottenburg über Belzig nach Blankenheim mit einer Länge von 178,53 km.
Lediglich das 3,1 km lange Teilstück zwischen Charlottenburg und Grunewald wurde erst am 1.6.1882 eröffnet. Zwischen Blankenheim und Leinefelde (ca. 80km) wurde die bereits im Jahre 1867 erbaute Trasse der Halle-Casseler Eisenbahn benutzt. Das Dorf Leinefelde, ein kleiner, aufstrebender Eichsfeld-Ort, der erst am 7. Oktober 1969 die Stadtrechte erhielt und bereits im Jahre 1867 rund 40 Industrielle aufwies, die sehr an der Eisenbahn interessiert waren, erhielt seinen Bahnhof bereits am 9. Juli 1869. Die Bewohner von Leinefelde sollen damals gesagt haben: „Jetzt kämmet der Teiwl, ich sitze mich dach nit in daen Zock, un waenn se mich nach mää verspraechn“.
Durch die Eröffnung des Teilstücks Leinefelde-Mühlhausen der Leinefelde-Gothaer Eisenbahn am 3. Oktober 1870 wurde Leinefelde zum Abzweigbahnhof. Wegen der Kriegsereignisse des Deutsch-Französischen Krieges 1870/71 wurde auf jegliche Eröffnungs-Feierlichkeiten verzichtet. Diese Bahn führte man südlich parallel zur Halle-Casseler Bahn an einem separaten Bahnsteig mit einem Verbindungsgleis zur Hauptbahn. Die Bahn verließ den Bahnhof in östlicher Richtung, um nach wenigen Metern nach Süden in Richtung Gotha abzubiegen.
In den Jahren 1879/1880 wurde der Abschnitt Leinefelde-Silberhausen/Trennung (8,77 km) zweigleisig ausgebaut, um die Kanonenbahn über dieses Teilstück führen zu können. Die Eröffnung des Teilstücks zwischen Leinefelde und Eschwege erfolgte am 15. Mai 1880. Im Bahnhof Leinefelde wurde die Kanonenbahn, von Berlin kommend, an den Bahnsteig der Leinefelde-Gothaer Eisenbahn herangeführt, jedoch mit zwei eigenen Gleisen. Das Gleis 16 gehörte zur Strecke nach Gotha, Gleis 17 war Verkehrsgleis und Gleis 18 das Gleis der Kanonenbahn.
Am Bahnsteigende wurden diese drei Gleise mit einer 16-Meter-Drehscheibe verbunden, die Loks mussten also Kopf machen, um über die Drehscheibe den Bahnhof wieder zu verlassen, während am anderen Zugende eine neue Lok angekuppelt wurde. Warum dieser umständliche Weg gewählt wurde und man auf eine direkte Verbindungskurve verzichtete, ist nicht bekannt. Vielleicht war der in dieser Zeit nur geringe Aktionsradius der Lokomotiven ausschlaggebend, vielleicht war es aber auch ein Zugeständnis der Staatsbahn an die Gothaer Zweigbahn und der gemeinsamen Nutzung der Trasse zwischen Leinefelde und Silberhausen-Trennung. Die Drehscheibe wurde nach der Stilllegung des Streckenabschnitts der Kanonenbahn zwischen Silberhausen und Geismar ausgebaut und auf dem Kopfbahnhof halten nur noch die Regionalzüge nach Gotha und Erfurt.
Ab 1. September 1897 wurde Leinefelde ein kleiner Bahn-Knotenpunkt. An diesem Tage wurde die letzte Etappe (zwischen Leinefelde und Duderstadt) der Nebenbahn Leinefelde-Wulften eröffnet. Sie mündete auf einem nördlich der Halle-Casseler Bahn gelegenen Bahnsteig in den Bahnhof ein. Auf dieser eingleisigen Strecke durften lediglich 50km/h Höchstgeschwindigkeit gefahren werden. Diese Nebenbahn wurde nach der Grenzziehung im Jahre 1945 auf DDR-Gebiet nur noch bis Teistungen betrieben und endete dort. Nach der Wende wurde diese Strecke am 10. Juli 2001 stillgelegt. Im 2. Weltkrieg wurde Leinefelde weitgehend von Bomben verschont, jedoch wurde der Bahnhof kurz vor Kriegsende am 1. April 1945 durch amerikanische Flugzeuge bombardiert. Dieser Angriff richtete jedoch nur geringen Schaden an.
Am 10. April 1945 folgte die Besetzung von Ort und Bahnhof Leinefelde durch amerikanische Truppen und am 7. Juli 1945 rückten sowjetische Truppen ein, um fortan für über 40 Jahre die Fäden in der späteren „DDR“ in der Hand zu halten.
Nach dem Verlassen des Bahnhofs Leinefelde in südlicher Richtung erreichen wir bei km 3,41 den Haltepunkt Birkungen (eröffnet 01.10.1895). Dieser besteht aus einem erweiterten Schrankenposten-Gebäude, das in den 30er Jahren modernisiert wurde. Daneben steht noch der kleine Güterschuppen, der schon seit vielen Jahren eine andere Funktion besitzt. Nebengleise sind an diesem Haltepunkt nicht mehr vorhanden. Heute halten in Birkungen nur noch einige wenige Regional-Züge, alle anderen rauschen vorbei.
Weiter geht es am ehemaligen Schrankenposten 5 den Giersgraben hinauf in Richtung des ehemaligen Haltepunkts Silberhausen-Trennung bei km8,22. Von hier aus zweigte die Kanonenbahn auf eigenen Gleisen in westlicher Richtung von der gemeinsamen Trasse ab und wurde mittels einer Brückenkonstruktion kreuzungsfrei über die Gothaer Bahn hinweggeführt. Diese Brücke wurde erst nach 1945, wahrscheinlich im Zusammenhang mit dem Rückbau der Strecke zwischen Geismar und der Grenze im Sommer 1947, abgebaut, da die Trennung seit dieser Zeit nur noch eingleisig befahren wurde und auch die Gothaer Bahn auf eingleisigen Betrieb zurückgebaut worden ist.
Es gibt noch Zeitzeugen, die den Abriss des Überbaus beobachtet haben, aus dessen Steinen ein Eisenbahner-Wohnhaus gebaut werden sollte, die jedoch von der Stadt Dingelstädt zum Bau einer Straßenbrücke übernommen wurden. Personenzüge hielten am Haltepunkt Silberhausen-Trennung lediglich vom 1. Mai 1905 bis etwa ins Jahr 1940. Es gab sogar einen Bahnsteig mit Wartehaus und Abort am Abzweig.
Hermann Josef Friske