Die Kanonenbahn - Teil 15: Lengenfelder Viadukt & Bahnhof Lengenfeld

Nach dem 31.12.1992 wurde es ruhig um den Lengenfelder Viadukt. Die Brücke wurde aus Sicherheitsgründen von beiden Seiten verschlossen, damit niemand das Bauwerk betreten konnte. Erst nach dem Jahr 2002 tat sich etwas mit der Brücke. Die Holzbohlen des Fußweges über die Brücke wurden mit Hilfe der Deutschen Bahn AG und des Kanonenbahnvereins von freiwilligen Helfern erneuert sowie ein Sicherheitsgitter vor das alte, baufällige Brückengeländer gesetzt.

Zu besonderen Anlässen wie z. B. dem Tag des offenen Denkmals oder einem der Brückenfeste, die vom Lengenfelder „Kanonenbahn-Verein“ ausgerichtet werden, konnte die Brücke mit Fahrrad-Draisinen befahren werden. Die Distanz, die heute insgesamt mit diesen Gefährten zurückgelegt werden kann, reicht im Moment vom Küllstedter Tunnel bis kurz vor den Bahnhof Geismar bei km 33,5. Es wird aber der Ankauf der gesamten Strecke zwischen Dingelstädt und Geismar angestrebt, um den gesamten Streckenabschnitt touristisch verwerten zu können.

Wir verlassen jetzt den Lengenfelder Viadukt bei km 30,8 und treffen bei km 30,85 auf einen Streckenposten, der einst einen Teil des ersten Haltepunkts Lengenfeld/Stein bildete und eigentlich im Jahre 1882 dafür errichtet wurde, damit Baumaterial für den Neubau der katholischen Kirche in Lengenfeld (Bauzeit: 1882/1883) kurz hinter dem Viadukt entladen werden konnte. Dieser erste Haltepunkt wurde am 1. Mai 1888 seiner Bestimmung übergeben, somit besaß Lengenfeld einen Zugang zur Außenwelt per Bahn.

Dieser Haltepunkt jedoch reichte für das Verkehrsaufkommen nicht mehr lange aus, und da das Gelände am Viadukt für einen Bahnhofs-Neubau nicht geeignet war, erhielt der Ort Lengenfeld seinen neuen Bahnhof im Anschluss an einen ca. 200 m langen Einschnitt bei km 31,35. Dieser Bahnhof wurde am 16. Dezember 1908 eröffnet und besaß jetzt auch eine Güterabfertigung mit verschiedenen Verladegleisen und war einst ein Bahnhof 4. Klasse. Das neue Bahnhofsgebäude steht in einer Höhe von 276 m über NN. Im Jahre 1959 wurde der Bahnhof Lengenfeld unterm Stein, wie er korrekterweise heißt, dem Bahnhof Geismar unterstellt.

Auch einen Betriebsunfall gab es hier in Lengenfeld. Mitte Mai 1979 machten sich vier mit fertig vor montierten, neuen Gleisjochen beladene Plattenwagen, die im Bahnhofsbereich abgestellt standen, selbständig und rollten die abschüssige Strecke hinab bis hinter den Prellbock im Bereich des Bahnhofs Geismar. Hier zerschmetterten die Waggons den bei km 35 hinter dem Bahnhof Geismar liegenden Prellbock am derzeitigen Streckenende, wurden durch das Nichtvorhandensein von Gleisen abrupt gebremst, bohrten sich dort in die Erde hinein und türmten sich übereinander auf. Die Waggons wurden dabei restlos zerstört.

Bei der Abschiedsfahrt am 31.12.1992 bekam der Zug hier in Lengenfeld seine gut halbstündige Verspätung, denn hier am Bahnhof fand ein letzter Protest statt. Es wurden eine Baustellen-Absperrung, eine Warnbake mit Blinklicht, eine Betonschwelle und mehrere Transparente über das Gleis gelegt. Aber auch dieser letzte Protest konnte nichts mehr bewirken, die Strecke wurde fortan stillgelegt, obwohl es auch Überlegungen gegeben hat, die Strecke bis vor den Viadukt zu verkürzen.

Am 31.12.1992 nahm auch Frau Margarethe Stude Abschied von ihrem Schalter am Bahnhof Lengenfeld, den sie seit 1976 die ganzen Jahre über bis zum bitteren Ende der Strecke bedient hat, vier Stunden morgens und vier Stunden am späten Nachmittag. Zusammen mit ihrem Mann hat sie aus dem Bahnhof ein Schmuckstück gemacht, das Gebäude gestrichen, den Bahnsteig in Schuss gehalten und sogar Geranien am Bahndamm gepflanzt. Das ist nun lange vorbei, das Bahnhofsgebäude ist heute an den Kanonenbahnverein vermietet, steht aber inzwischen zum Verkauf an.

Der Bahnhof Lengenfeld wurde nach der Beendigung des Güterverkehrs zwischen Dingelstädt und Geismar zum 31. August 1969 in den heutigen Zustand versetzt und alle Gütergleise abgebaut. Zum Glück hat man das Überholgleis liegen gelassen, denn dieses zweite Gleis ist der wohl letzte Überrest der Ur-Strecke und besitzt noch das alte preußische Gleisprofil.

Die Schienen stammen aus den Jahren 1902 & 1904, sind produziert von einer Firma Budelingen und sind nicht geschweißt sondern zusammengeschraubt. Nur der Übergang zum heutigen Gleisprofil ist geschweißt. Da die Gleise aus den Jahren 1902 & 1904 stammen, ist daraus zu entnehmen, dass sie bereits in jenem Jahr, spätestens aber im Jahre 1905, ausgewechselt wurden, denn die ersten Gleise wurden bekanntlich im Jahre 1879 verlegt und das zweite Gleis erst im Jahre 1907. Auf diesem alten Gleis stehen die Fahrrad-Draisinen des Kanonenbahn-Vereins unter Verschluss und warten darauf, von unternehmungslustigen Menschen über die Gleise geschickt zu werden.

Hermann Josef Friske