Die Kanonenbahn - Teil 13: Ereignisse zwischen Entenbergtunnel und Lengenfeld von 1933-1942

Am 29.09.1933 suchte sich der damals 69-jährige Großbartloffer Adolf Bischoff, geboren in Heuthen/Eichsfeld, den Entenberg-Tunnel zum Sterben aus, um sich dort vor den Zug zu werfen. Die Leiche wurde von Andreas Koch während einer Routine-Inspektion der Gleise im Tunnel vorgefunden.

Im Heiligenberg-Tunnel soll nach einem Tunneleinsturz eine große Tropfsteinhöhle gefunden worden sein, die natürlich umgehend bei den anschließenden Bauarbeiten entfernt und verfüllt wurde. Ähnliche Bauarbeiten gab es fast ständig in den Eichsfeld-Tunneln.

Im Jahre 1939 erhielt Andreas Koch einen ausgebildeten Polizei-Suchhund zur Seite gestellt. Dieser ging während des Krieges täglich mit auf die Strecke, um eventuell vorhandene Bombenleger oder ähnliches Gesindel abzuwehren. Kaum bekannt sein dürfte, dass es vor dem 2. Weltkrieg bereits im Jahre 1937 zur Bildung einer Bahnschutz-Polizei kam, die bis 1945 bestand und an der Kanonenbahn auch die Überwachung der Tunnel übernahm.

Belegt ist dieses zumindest für den Entenberg-Tunnel und den kleinen Mühlbergtunnel. Hier wanderten nachts stets 2 bis 4 ältere Polizisten aus der Umgebung durch die Tunnel. Während ihres Einsatzes schliefen die Polizisten vom Entenberg-Tunnel in dem ehemaligen Streckenarbeiter-Haus. In zweistöckigen Betten. Zur Selbstversorgung wurde im Gebäude ein kleiner Herd eingebaut. Außerhalb ihres mehrwöchentlichen Dienstplanes durften die Polizisten heim zu ihren Familien.

Der Streckenläufer Andreas Koch vom Haus am Entenberg-Tunnel wurde in den 50er Jahren von einem Herrn Habicht oder Habig aus Lengenfeld/Stein abgelöst, nachdem er auf der Strecke von Küllstedt bis Schwebda so viel Schuhsohlen abgelaufen hatte, dass es für eine 3-malige Erdumrundung gereicht hätte.

Von nun an erhielt er für seine restlichen Dienstjahre bei der Bahn den wesentlich ruhigeren Job als Brückenwärter des Lengenfelder Viadukts. Andreas Koch und seine Frau reisten gemeinsam, wahrscheinlich nach Beendigung ihrer Lebensarbeitszeit, nach etlichen vergeblichen Anträgen im Jahre 1959 legal zu ihrem Sohn in den Westen nach Spangenberg, ebenfalls an der Kanonenbahn gelegen, aus.

Die Gebäude am Entenberg-Tunnel wurden danach wohl noch im Jahre 1961, da diese seit 1959 unbewohnt, im Rahmen der allgemeinen Grenzsicherung in diesem Jahr komplett abgerissen und das noch brauchbare Baumaterial abtransportiert. Heute kann man im Bilstal nur noch ein paar Reste von den Grundmauern der Gebäude finden.

Vom Entenberg-Tunnel führt die Strecke in einer weiten Linkskurve hinab bis zum nächsten Bahnübergang bei Schloss Bischofstein, etwa bei km 29,3, das bereits zu Lengenfeld/Stein gehört. Auf den letzten 500m davor kann man sehr gut die ehemalige Zweigleisigkeit erkennen, denn hier ist die alte Trasse noch gut erkennbar und derzeit auch gut freigeschnitten. Von hier aus hat man auch einen guten Ausblick auf die gegenüberliegende Trasse jenseits des Lengenfelder Viadukts in Richtung Geismar.

Zwischen dem Entenberg-Tunnel und dem Lengenfelder Viadukt geht es steil bergab. Während der Entenberg-Tunnel bei km 28,2 noch etwa auf einer Höhe von 303m liegt, befindet sich der Lengenfelder Viadukt bei km 30,55 bereits nur noch auf 280 Metern Höhe über NN, das bedeutet auf eine Strecke von lediglich 2,35 km einen Höhenunterschied von immerhin ca. 23 Metern. Vom Entenberg her haben wir nun freie Fahrt bis zum Bahnübergang am Schloss Bischofstein bei km 29,264, dem bereits bei km 29,476 der nächste Übergang folgt. Diese liegen beide in der Lengenfelder Flur in Richtung Effelder und waren ursprünglich beschrankte Übergänge, deren Schranken nach 1921 ebenfalls abgebaut wurden.

Beim Übergang km 9,476 kann man noch einen Rest von der Grundmauer des Schrankenpostens ausmachen. Da zwischen den beiden Bahnübergängen lediglich 212 Meter Entfernung besteht, wäre es auch denkbar, dass beide Übergänge von demselben Schrankenposten bedient worden sind, denn sie liegen in Sichtweite zueinander.

Bei Schloss Bischofstein gab es zu DDR-Zeiten hinter dem Bahnübergang in talseitiger Richtung eine Bedarfshaltestelle für die dort an- und abreisenden FDGB-Urlauber, denn das Schloss war in diesen Jahren Urlauberheim für linientreue Parteimitglieder der SED und deren Ableger, denn durch die Grenznähe des Schlosses gehörte die Gegend von Lengenfeld/Stein auch zum Sperrgebiet.

Damit die Urlauber keine weiteren Anfahrtswege zum Urlaubsort hatten, denn wegen der Grenznähe hatte der DDR-Staat doch Angst, eins seiner Schäfchen könnte sich in den Westen verirren, richtete man diese Bedarfshaltestelle ein. Etwa auf halbem Weg zum Lengenfelder Viadukt entgleiste am 30. Mai 1942 um ca. 15.05 Uhr die Lok des Personenzuges 1336 bei km 29,6 kurz vor der Bahnunterführung mit der Straße, die Lengenfeld mit Effelder verbindet.

Die Lok fuhr den Hang hinab und kippte an dessen Fuß zur Seite, der Tender und der erste Waggon wurden mitgezogen und standen den Hang abwärts, die restlichen Waggons entgleisten und kamen auf dem Gleisbett zum Stehen. Hierbei gab es mehrere Verletzte. Die Unfallursache konnte schnell ermittelt werden, Steine unterschiedlicher Härtegrade lagen noch auf den Schienen. Die Verursacher wurden gefunden, es handelte sich hierbei um Schüler der Internats-Schule Schloss Bischofstein, die einen Härtetest des Gesteins vorgenommen hatten. Es kam zwar zu einer polizeilichen Strafverfolgung, es soll jedoch zu keinen ernsthaften Strafen gekommen sein, denn es soll sich bei den Tätern um Sprösslinge von hohen Offizieren und Nazi-Bonzen gehandelt haben.

Die Lok und der Tender wurden schließlich mit einem Spezialkran geborgen, wobei sich viele Schaulustige einfanden, denn so etwas war in diesen Jahren für einen kleinen Eichsfeld-Ort eine Weltsensation.

Hermann Josef Friske