Die Hofbank
Das waren immer anregende, vergnügliche Stunden, wenn wir nach Feierabend noch ein Stündchen draußen auf der Hofbank vor dem Hügelhause verbrachten. Das war nun in meiner Jugendzeit nicht anders, dass wir Dorfkinder beim Betglockenläuten uns unverzüglich heim zu begeben hatten.
Und ach - der Küster läutete bei uns auch manchmal gar zu früh Betglocke. So war es für uns ein Glück, dass wir eine schöne, geräumige Hofstatt hatten, auf der Vater an einer geeigneten Stelle eine schlichte, aber bequeme und genügend große Bank gebaut hatte, so dass ihrer etliche von uns, und wenn es Not war auch Nachbarsleute, darauf Platz hatten. In der Zeit nahmen sich die Dorfleute auch noch die Zeit, abends, nach beendetem Tagewerk, zusammen zu kommen und ein Plauderstündchen zu halten.
Weil nun unsere Hofbank allen Nachbarn rundum gefiel, so kamen sie, im Sommer fast allabendlich, daher und besprachen Dorf- und Weltereignisse. Sprachen über Wetter, Ferkel und Gössel, über Land, Kartoffeln, Roggen und Mist, kurzum über alles, was im Bereich ihres Denkens, ihres Schaffens und ihrer Sorgen stand.
Unser Jepp hatte "von der Ziegelei" eine funkelnagelneue Ziehharmonika mitgebracht. Die hatte er sich für den Winter, für die Spinnstuben, angeschafft. Wir aber nahmen das herzliebe Instrument nun Sommerabends bei den Hofbankstunden in Pflege, damit die Ventile nicht rosteten. Das noch, gleichwohl uns der Jepp den dritten Ostertag, als er kofferbepackt fortfuhr, als letzte Mahnung hinterlassen hatte: "Abber nit ans Spehlding gegenn!"
Also wurden die Hofbankstunden immer zu recht glücklichen für alle Teilnehmer.
Noch jetzt sitze ich gern Sommerabends auf der lieben Hofbank und träume den Kindheitsheimatstunden nach. Dann kommt mir in den Sinn, dass das alte Geschlecht längstens schon vergangen ist. Der alte Nachbarvetter Huber, die alte Nachbarwase Annelies, die Kathrin, die Therese, der Merten und der alte Vetter Hanchristoffel, sie alle sind dahin gegangen und in ihren Anwesen lebt ein junges Geschlecht.
Bin ich nun nicht der Einzige noch, der die Sommerhofbankstunden damals miterlebt hat? Bin ich nun nicht der Einzige, der heute noch sinnend und dankend ihrer gedenkt? Alles ist wie einst, als die Alten hier plauschten und die Jungen hier tollten. Das ist derselbe gütig lächelnde Mond noch. Wie damals zieht er still seine Himmelsbahn. Und das Männlein im Monde ist noch nicht erlöst, wird's auch wohl nie werden. Fern, fern rauschen noch die Wasser des Mühlenbaches; vom Teich drüben quaken noch die Frösche in die sommerliche Nacht. Glühwürmchen leuchten um mich her.
Ganz von drüben rollt es über den traumschweren Wald in monotonem Klang herüber. "Das ist der Zug, der über die Werrabrücken fährt", sagte Vetter Hanchristoffel früher jedes Mal, wenn es über dem Walde so rollte. Und die Nachbarwase Annelies wollte wissen: Es ist der wilde Fuhrmann, der nächtens mit feurigem Wagen durch den Wald fährt - ohne Kopf - mit rollenden, feuerglutigen Augen.
Eines schönen sommerlichen Abends hatten wir noch ein hübsches Erlebnis. Es zeugt von der biederen Einfalt unseres vorfahrigen Dorfgeschlechts. Kam da ein Männlein im blauen Zwilchkittel und dampfendem Pfeiflein den Weg zu uns heraufgetrippelt. Er wünschte uns allesamt einen "Guten Abend" und setzte sich mit auf die Hofbank, wo nur eben noch ein Plätzchen für ihn frei war. Nahm ein gutes halbes Stündchen an "Sitzung" und "Aussprache" teil, ohne dass wir uns über den Zweck und Grund seines Besuches klarer wurden.
Ich dachte mir wohl, er wolle Geschäftliches mit Vatern erledigen und auch Vater wartete wohl auf die Frage, die doch bald mit unvermeidlicher Sicherheit erfolgen würde:
"Galt, de sied dach daer Mann, dear de Kammlinge uffkaift?" Aber den gemütlichen Alten schien das Geschäft nicht zu drängen. Da tat Mutter zuletzt die Frage, was ihn denn herführe. "Eh, ich wall mät'm Isenbahnchen nach Eschewei fahre. - Wö gits dann de Billejette?"
Dabei war er aufgestanden und hatte einen Geldstrumpf aus der Hosentasche gezogen. Er strebte dann trippelnd unserer Haustüre zu, da drinnen im Flur den Fahrkartenschalter vermutend. Wir Kinder mussten nun weidlich lachen. Aber Mutter gebot mit einer deutlichen Gebärde Einhalt und zeigte dem Alten den Weg zum richtigen Bahnhof. Da trippelte er fort mit den Worten: "Eh - ha ichs dann nit gedoocht - kenne Iseubahngläisen - kenn Bahnerwachter -kenn Mällding - kenne Bujeere - äh, nischt ver ungut, liebste Liete - nischt verr ungut - ich bän än ahler Mann. - Ich bän vun Stuttertal, do hun meh nach kenn Isenbahnchen."
- Das war das kleine Erlebnis auf unserer Hofbank, und richtig wahr ist das Geschichtchen. Nur darf man es mir nicht verargen, dass ich das Heimatdörfchen des Alten ein wenig umgetauft habe. In Wirklichkeit heißt der Ort anders als Stuttertal. Der geneigte Leser möge den richtigen Namen selbst erraten.