Die Gründung der Erziehungsschule Schloss Bischofstein

- Teil 1 -

Nordwestlich von Lengenfeld unterm Stein liegt am Südhang des „Burgbergs" das 1747 von dem Dingelstädter Baumeister Christoph Heinemann als Sommersitz des Erzbischofs und Kurfürsten von Mainz erbaute Schloss Bischofstein. Beim Bau des Schlosses verwendete man Steine, die von der im 30jährigen Krieg zerstörten Burg Stein stammen, deren verbliebene Reste noch heute auf dem 402 m hohen „Burgberg" zu finden sind. Nach dem Übergang des Eichsfelds an Preußen im Jahre 1802 wurde Bischofstein preußische Staatsdomäne. Aber bereits 1807 wurde Bischofstein durch König Jérôme von Westfalen an einen Privatmann verkauft und wechselte im weiteren Verlauf des 19. Jahrhunderts häufig den Besitzer. Im Herbst 1907 erwarb der Pädagoge Dr. Gustav Marseille (geboren 20. 8. 1865, gestorben 6. 11. 1917) das verwahrloste Schloss, um es zu einer Internatsschule auszubauen. Zuvor hatte Dr. Marseille in England als Gastlehrer gearbeitet und war als Lehrer an der berühmten Internatsschule Schulpforta bei Bad Kosen (Bezirk Halle) sowie als Direktor des Landerziehungsheims Haubinda (Thüringen) tätig, das von dem Schulreformer Hermann Lietz (geboren 28. 4. 1868, gestorben 12. 6. 1919) gegründet worden war. Hermann Lietz, der stark von den idealistischen Vorstellungen des Philosophen Johann Gottlieb Fichte („das freie Ich bestimmt die moralische Weltordnung und die Sittlichkeit jeglichen Handelns") geprägt war, ist der Begründer zahlreicher weiterer Schulen, die teilweise noch heute existieren und seinen Namen tragen. Dabei handelt es sich um auf dem Land gelegene Internatsschulen, in denen Schüler und Lehrer kleine Gemeinschaften bilden. Das pädagogische Ziel besteht nicht nur in einer guten theoretischen Ausbildung, sondern der Erziehung zu allseitig gebildeten und lebenstüchtigen Menschen. Dies wird gefördert durch künstlerisches und handwerkliches Gestalten sowie praktische Arbeit in Feld und Garten.

Mit finanzieller Unterstützung durch Eltern mehrerer aus Haubinda übergesiedelter Schüler konnte Dr. Marseille schließlich am 18. 1. 1908 die Erziehungsschule Schloss Bischofstein eröffnen. Im ersten Prospekt der Schule sind deren Ziele wie folgt formuliert:

„Wir wollen ein Geschlecht heranziehen, das sich seiner Jugend freut, ein fröhliches Herz hat, gesund an Leib und Seele ist, und dabei doch tüchtige Kenntnisse besitzt; ein Geschlecht, das pietätvoll verehrt, was die Väter schufen und doch mutig genug ist, neue Bahnen mit Besonnenheit zu wandeln und zu führen; ein Geschlecht, dem jede Art von Arbeit vertraut ist, körperliche wie geistige, das Freude des Lebens nicht im Genuß sucht, sondern in der Lust gelingender Arbeit."

Im Vordergrund sollte die Bildung des Charakters stehen. Ohne wissenschaftliche Drillanstalt zu werden, sollte den Schülern ein gediegenes Allgemeinwissen vermittelt werden. Die verhältnismäßig kleinen Klassen und der enge Kontakt mit den Lehrern erlaubten es, auf die individuellen Begabungen der Schüler näher einzugehen. Eine wichtige pädagogische Maßnahme wurde im Zusammenleben von Lehrern und Schülern gesehen. Der ungezwungene Verkehr zwischen beiden sollte die sonst vorhandenen Barrieren abbauen und Vertrauen und Herzlichkeit fördern, ohne in falsche Kameraderie auszuarten. In der Großfamilie der Tischgemeinschaft nahmen die Lehrer und Hausdamen zugleich die Aufgaben der Eltern wahr. Neben dem Fachunterricht wurden besonders musische Fächer gefördert, um die Phantasie der Jungen anzuregen. Im Vordergrund standen künstlerisches Gestalten mit Zeichenstift und Palette sowie die Pflege der Musik und besonders Theaterdarbietungen.

Bei den pädagogischen Bemühungen um die musische Ausbildung fand Dr. Marseille besondere Unterstützung durch seine Frau, die in Berlin die Schauspielschule besucht hatte und danach von Max Reinhard(!) ein Engagement am Deutschen Theater erhielt, das sie erst bei ihrem Umzug aufs Eichsfeld aufgab. Sie führte Regie bei den Theateraufführungen und übernahm zugleich führende Frauenrollen. Dr. Marseille selbst organisierte Liederabende, bei denen er auch als Solist auftrat.

Daneben fand das Handwerkeln in Tischlerei und Schmiede breiten Raum. Eine besondere Note von Bischofstein war von Anfang an die „Außenarbeit", das Mithelfen auf dem großen Bauernhof, das eine Besinnung auf die einfache Welt früherer Zeiten und ein Verständnis für die bäuerlichen Dinge bringen sollte. Die Schule verfügte damals schon über einen ansehnlichen Viehbestand: 2 Pferde, 2 Esel, 10 Milchkühe mit Nachzucht, 25 Schweine und jede Menge Federvieh. Die Landwirtschaft trug bei zur Versorgung der Küche und wurde von allen als gemeinsame Aufgabe angesehen.

Großer Wert wurde auch auf Sport gelegt. Die erforderlichen Sportanlagen wie Fußball- und Tennisplatz sind von den Schülern selbst geschaffen worden. Im Sommer diente außerdem der pappelumsäumte Teich oberhalb des Schlosses zum Schwimmen. Besonders beliebt waren bei den Schülern natürlich die Wanderungen durch das Eichsfeld und die Wanderfahrten, z. B. zum Hohen Meißner, in den Harz und sogar in den Schwarzwald.
Der Tagesablauf blieb für die Schüler jahrzehntelang der gleiche:
6.00 Uhr Aufstehen, 6.30 Uhr Frühsport, 6.50 Uhr 1. Frühstück, 7.15 Uhr Unterricht 2 Stunden, 9.00 Uhr 2. Frühstück, 9.15 Uhr Unterricht 3 Stunden, 12.10 Uhr Appell, 12.15 Uhr Mittagessen, 14.00 Uhr Arbeitsstunde (2 Stunden Schularbeiten), (im Winter ab 16.30 Uhr), 16.00 Uhr Kaffee, dann Freizeit, 18.45 Uhr Abendessen, 21.00 Uhr Bettgang der Jüngeren, 22.00 Uhr Bettgang der Älteren. Die Verpflegung war nach dem Diätplan des Ernährungsphysiologen Dr. Lahmann aufgebaut.

Zum 1. Frühstück gab es Haferbrei mit Milch, zum 2. Frühstück Kakao. Brötchen mit Butter und Aufstrich. Das Mittagessen bestand aus Suppe, Fleisch. Kartoffeln, viel Gemüse und Nachtisch. Zum Vesper gab es Kakao, Brot, Butter und Marmelade und zum Abendessen meist eine warme Speise, Kakao, Brot und Aufschnitt. Nur Sonntagnachmittags gab es Kaffee, der damals für gleich schädlich galt wie Alkohol und Nikotin. Deren verbotener Genuss führte zur Verweisung von der Schule. Später wurde stattdessen als Form der „Resozialisierung" Sonderarbeit verordnet. So verdankt die Schaffung des dortigen kleinen Sportplatzes der Strafarbeit am sonst freien Samstagnachmittag ihre Entstehung. Übrigens betrug das jährliche „Erziehungsgeld" im Jahr 1908 1 600,- Mark bzw. 100,- englische Pfunde. Dieser Satz wurde erst 1925 auf 2000,- RM erhöht (+ 100,-für Wäsche, Arzt, Schulmaterialien u.a.).

Seitdem Dr. Marseille 1908 mit den ersten 35 Schülern, darunter vier von Haubinda mitgebrachten, begann, haben tausende junger Menschen in Bischofstein schöne Jugendjahre verbracht. Die meisten wurden hier in ihrer Persönlichkeit geprägt und gingen auch im späteren Leben erfolgreich ihren Weg. Bischofstein war damals eine reine Jungenschule (–
Dr. Marseille lehnte die Koedukation ab –), Mädchen aus den umliegenden Gemeinden wurden nur zur Schule, nicht in das Internat aufgenommen.
Ab 1913 konnte die „Einjährigen"-Prüfung erstmals in Bischofstein abgelegt werden, nachdem in den Jahren zuvor die an anderen Schulen als Externe geprüften Bischofsteiner Schüler jeweils gute Ergebnisse vorweisen konnten.

Mit dem 1. Weltkrieg begannen auch für Bischofstein schwere Zeiten und ein besonders harter Schicksalsschlag war der frühe Tod Dr. Marseilles, der am 6. November 1917 erst 52-jährig verstarb. Die Leitung der Schule übernahm nun ein Oberst Frisch, bis sie dem 1919 nach Bischofstein gekommenen Dr. Ripke übertragen wurde.

Dr. Wilhelm Ripke, der am 23. 2. 1886 in Estland geboren wurde, verlebte seine Jugend in Petersburg (heute Leningrad), wo er seine Reifeprüfung ablegte und ein Studium der klassischen Philologie und Philosophie begann. Als die Petersburger Universität 1905 nach Demonstrationen gegen das Regime des Zaren geschlossen wurde, an denen sich auch der Student Wilhelm Ripke beteiligt hatte, setzte er sein Studium in Deutschland fort und promovierte 1912 in Heidelberg zum Dr. phil. Nach dem Examen kehrte Dr. Ripke wieder nach Russland zurück und arbeitete dort als Lehrer an verschiedenen Schulen, zuletzt als Hochschuldozent in Moskau, wo er die Oktoberrevolution miterlebte, bevor er 1918 nach Deutschland zurückkehrte.

Am 1. Februar 1919 trat er seine Stelle als Lehrer auf Schloss Bischofstein an und übernahm 1920 die Leitung der Schule. 1923 heiratete Dr. Ripke die um 5 Jahre ältere Witwe seines 1917 verstorbenen Vorgängers Dr. Marseille. Durch die Verbindung des engagierten Pädagogen mit dieser künstlerisch so begabten Frau konnte die Fortführung des von Dr. Marseille begonnenen Lebenswerkes in idealer Weise gesichert werden. Dr. Ripke und seine Frau haben Generationen von Schülern nicht nur eine frohe und unbeschwerte Jugendzeit, sondern auch eine umfassende und künstlerisch geprägte Ausbildung vermittelt.

Die heute noch lebenden ehemaligen Schüler und Schülerinnen gedenken dankbar dieser beiden hervorragenden Persönlichkeiten, die solch eine berühmte Künstlerin wie Käthe Kollwitz sowie den bekannten evangelischen Theologen Dr. Arthur Bonus und dessen Frau, die Malerin und Schriftstellerin Beate Bonus zu ihren Gästen auf Bischofstein zählen durften und die u. a. mit Sigmund Freud, dem berühmten Wiener Arzt, befreundet waren.

Dr. med. Karl J. Hüther
Quelle: Eichsfelder Heimatstimmen, Heft 12 (Dezember) 1983

- Teil 2 -

Da mir bei meinen Recherchen zur Geschichte der Bischofsteiner Internatsschule von einem alteingesessenen Eichsfelder gesagt wurde, dass es sich bei dieser Einrichtung um eine vom Eichsfeld abgekapselte „Adeligenpresse" gehandelt habe, bin ich diesem Vorwurf nachgegangen. Aus den Schülerlisten geht eindeutig hervor, dass der weitaus größere Teil der Schüler nicht adeliger sondern bürgerlicher Herkunft war und dass auch minderbemittelte Arbeiterund Handwerkerkinder die Schule besuchen konnten, weil ihnen zum Teil das bereits erwähnte „Erziehungsgeld" erlassen wurde. Darüber hinaus fanden auch Einheimische aus Lengenfeld und Umgebung Aufnahme als Interne und Externe. Selbstverständlich ergab sich häufig Gelegenheit zu Kontakten mit der Eichsfelder Jugend und Bevölkerung, z. B. bei den zahlreichen Fußballspielen in Lengenfeld und den umliegenden Dörfern. In diesem Zusammenhang ist auch auf die tatkräftige Unterstützung hinzuweisen, die die Ripkes in Not geratenen Einwohnern von Lengenfeld gewährten. In den Krisenjahren 1930/31 z. B. ließ Frau Ripke ständig 80 Kinder von Arbeitslosen kostenlos auf Schloss Bischofstein verpflegen. Auch über die großartige menschliche Haltung der Ripkes während der Hitlerzeit gibt es zahlreiche Beispiele selbstloser Hilfe für politisch gefährdete und verfolgte Gegner des Regimes. Dr. Ripke schreibt über dieses düstere Kapitel: ,,Es war eine Zeit, als sich über meine Frau und mich, aber auch über ganz Bischofstein ... dunkle Schatten gesenkt hatten:

Ostern 36 war ich von den Machthabern des Hitlerregimes aus politischen Gründen als Leiter der Schule abgesetzt worden und durfte nicht mehr unterrichten. Durch den von der Regierung eingesetzten jugendlichen Leiter und den ihn bald darauf ablösenden Nachfolger wurde die Schule ihrer Aufgabe und ihres Sinnes entfremdet. Anfang 42 mussten meine Frau und ich Bischofstein vorübergehend verlassen."

Im Jahre 1942 schließlich wurde Dr. Ripkes Schulheim von der nationalsozialistischen Regierung enteignet und zur „Staatlichen Heimoberschule Bischofstein" erklärt. Umso größer war die Hoffnung auf einen Wiederbeginn nach der Beendigung des Krieges, der mit dem Einmarsch der Amerikaner am 10. April 1945 in Lengenfeld auch für Bischofstein vorüber war.

Leider war es Dr. Ripke und seiner Frau nicht vergönnt, das einst so erfolgreich begonnene Lebenswerk fortzuführen. Nach der Besetzung Lengenfelds durch die Rote Armee am 5. Juli 1945 wurden andere Prioritäten gesetzt. Aufgrund seiner hervorragenden russischen Sprachkenntnisse wurde Dr. Ripke zur Ausbildung von Fachlehrern für Russisch herangezogen und Bischofstein am 23. 9. 1946 in eine „Pädagogische Fachschule für Russischlehrer" umgewandelt und das Schlossgebäude schließlich am 29. 5. 1948 dem FDGB (Freier Deutscher Gewerkschafts-Bund) als „Erholungsheim für Lehrer und Erzieher" zur Verfügung gestellt. Dr. Ripke und seine Frau haben die dann folgenden Jahre bis zu ihrem Tod und seiner Übersiedlung in die Bundesrepublik im Jahre 1964 in zunehmender Einsamkeit verbracht. Durch die Lage Bischofsteins in der 5-km-Sperrzone zur Grenze der Bundesrepublik konnten sie kaum Besuch von den in der DDR und schon gar nicht von den in der Bundesrepublik lebenden Freunden erhalten.

Solange es jedoch Dr. Ripke möglich war, hat er die in Wanfried stattfindenden Treffen der Ehemaligen Bischofsteiner besucht, so auch das Jubiläumstreffen am 23. und 24. August 1958 zur Feier der 50. Wiederkehr des Jahrestages der Gründung von Bischofstein. Seine damalige Festrede verdient es wegen der auch heute noch aktuellen Aussagen auszugsweise zitiert zu werden:
„Wohl keiner von uns hätte gedacht, dass immer noch der tiefe Riss durch unsere deutsche Heimaterde klaffen würde, trennend, was durch Geschichte und Schicksal zusammengehört, zerreißend, was durch Gemeinsamkeit des Blutes, der Sprache, der Erde, der Landschaft verbunden ist. - Die Tragik dieses deutschen Verhängnisses tritt mir tagaus tagein bildhaft vor die Seele, wenn ich an meinem Schreibtisch sitzend, die Blicke hinausschweifen lasse auf die bewaldete Kuppe des Hülfensberges, jenes ehrwürdigen Wahrzeichens der Eichsfelder Landschaft: das nicht nur in das Tal des Flüsschens hinunterblickt, welches Lengenfeld durchrinnt, sondern auch hinüberlugt nach der Werraniederung und dem lieblichen Städtchen Wanfried.

Der Gewordenheit und Gewesenheit Bischofsteins, das vor 50 Jahren von Dr. Gustav Marseille als Schule gegründet wurde, ist der heutige Tag geweiht. Es entspricht einer schönen althergebrachten Tradition, dass wir dieses Bischofsteiner Fest nicht an dem eigentlichen Tag seiner Gründung - am 18. Januar - sondern am Geburtstag seines Schöpfers feiern: denn wir ehren sein Andenken am würdigsten, indem wir dankbar dem Werk huldigen, das er geschaffen.
Die seltene Gabe. Erzieher der Jugend zu sein, besaß Gustav Marseille nur deshalb, weil ihm nie sein persönliches Führertum wichtig war, sondern nur die Sache, der Bischofstein geweiht war: jugendlichem Menschentum zu dienen. Nicht um Grundsätze und Programme, um Richtungen und Ansichten war es ihm zu tun. sondern im Tiefsten beseelte ihn der Wunsch, die seiner Obhut anvertrauten jungen Menschen das erleben zu lassen, was so stark und ursprünglich in ihm lebendig war: Ehrfurcht vor allem wahrhaft Wirklichen, es sei auch, was es sei. Ehrfurcht vor dem Leben in seiner Mannigfaltigkeit, seiner Farbigkeit und Vielförmigkeit. in seiner nie zu erschöpfenden Tiefe und Fülle. Denn ein Mensch, der wie Gustav Marseille sich zum Wahlspruch seiner Lebensarbeit das schlichte Wort eines deutschen Mannes erwählt hatte. „Erziehung sei Hilfe am werdenden Menschen“, der war in seinem Innern demütig und wusste, dass von Erziehung nur da die Rede sein kann, wo dem Kinde die Möglichkeit gegeben wird, sein ganzes Menschentum zur Auswirkung zu bringen, wo ihm dazu verholten wird, den Weg zu seinem inneren Schicksal zu finden, auf dass es in freudiger Bejahung seines eigenen Wesens den Mut finde, sich zu sich selbst zu bekennen.

Darum ist Erziehung nur möglich durch Freiheit, sonst wäre sie nicht, was sie sein soll: Wagnis: „Denn auch das Leben selbst ist Wagetat, und die Freiheit ist der ewige glühende Atem der Welt."

Nach diesen eindringlichen Worten Dr. Ripkes kann es niemanden verwundern, dass dieser aufrechte Mann noch im hohen Alter von 78 Jahren die Stätte seines Lebenswerks verlassen hat und im Jahre 1964 in die Bundesrepublik übergesiedelt ist.

Nach dem Umzug schreibt er Weihnachten 1964: „Ich habe den Eindruck, dass mir diese seit Jahren erstrebte äußere und innere Ortsveränderung recht gut bekommen ist." Und gleichzeitig bittet er um Verständnis, „dass er sich dem Ausgang seines Lebens nähernd, noch soviel Elastizität der Psyche und der Physis aufgebracht hat, um die stagnierende Statik des im Dogma erstarrten Marxismus durch eine beschwingte Dynamik westlicher Bewegungsfreiheit zu ersetzen."

Aus diesen Worten klingt sowohl Bitterkeit und Enttäuschung über den im real existierenden Sozialismus" der DDR erlebten Widerspruch zwischen Theorie und Praxis als auch tief empfundene Freude über die wiedergewonnene Freiheit.

Dr. Ripke hat die ihm verbliebene kurze Zeit bis zu seinem Tod vor allem mit Reisen genutzt, auf denen er die meisten seiner vielen Freunde und ehemaligen Schüler besuchte. Höhepunkt war jedoch zweifelsohne eine Schiffsreise nach Finnland, auf das er seine Heimatliebe übertragen hatte, nachdem seine Familie nach Petersburg übergesiedelt war und von dort aus die sehr ausgedehnten Sommerferien viele Jahre in Finnland verbracht hatte. Nach kurzer Krankheit ist Dr. Ripke am 5. 3. 1965 nur wenige Tage nach seinem 79. Geburtstag in Hannover verstorben.

Auf seinen Wunsch wurde die Urne mit seiner Asche nach Lengenfeld überführt und auf dem dortigen Friedhof neben den sterblichen Überresten seiner Frau am 29. 4. 1965 beigesetzt.
Der Geist und das Werk Dr. Ripkes und seiner Frau aber leben fort in ihren Schülern, die sich auch zur Feier des 75jährigen Jubiläums der Gründung „ihrer" Schule vom 9. -11. 9. 1983 erneut in Eschwege trafen.

Dr. med. Karl J. Hüther
Quelle: Eichsfelder Heimatstimmen, Heft 1 (Januar) 1984

Literatur:
-W. Ripke: Schule Schloss Bischofstein. Eschwege 1931
-Bischofsteiner Rundschreiben 1958-1982 (teils gedruckt, teils Schreibmaschinenmanuskripte)
-R. Barthel: Zwischenspiel auf Bischofstein. Sonderausgabe 1977 der Eichsfelder Heimathefte

Dankvermerk
Frau Elsbeth Käser und Frau Katharina Käser (zwei ehemaligen Externen von Schloss Bischofstein) danke ich für wertvolle Hinweise.