Die DDR und ihre Zwänge anders erlebt - Widerspruch zu Meyers Wortmeldung (2007)

Rolf Meyer aus Erfurt hatte auf den TLZ-Gastbeitrag von Hildigund Neubert mit einem Leserbrief reagiert, der den Titel trug „Visionen gibt es nicht bei den Schwarzen“. Darauf erwidert jetzt ein Zeitzeuge:

Schon dieser Ton, den der Leserbriefschreiber in persönlichen Beleidigungen anschlägt, gefällt vielen Lesern in meinem Bekanntenkreis und auch mir nicht. Weiß Herr Meyer eigentlich, wem er es zu danken hat, dass er solche Leserbriefe schreiben und auch veröffentlichen kann? Nämlich unserem demokratischen Staat mit seiner Pressefreiheit. Hätte Herr Meyer – sich selbst als Blockflöte bezeichnend – als Kulturdirektor den kleinen 1. Kreissekretär, gar den Bezirks- oder Generalsekretär der SED ungestraft als Provinzköter, Schuldenmacher, Bildungsbanausen, Kulturzerstörer, wandernde Sprechblase, die überall ihren Senf dazu gibt, betiteln können? Oder alle Bürger, welche die „Schwarzen“ wählen, Hinterwäldler? Demnach hatte Deutschland bei der jüngsten Bundestagswahl zirka 35 Prozent Hinterwäldler. Das ist schon starker Tobak, wenn ein Mann mit Bildung und hoher Intelligenz solche Beleidigungen öffentlich von sich gibt.

Zwei Volksparteien wollen gemeinsam Lösungen finden

Die letzte Bundestagswahl hat aber gezeigt, um bei diesem Jargon zu bleiben, dass weder Schwarze noch Rote allein regieren können. So ergab es keine andere Alternative, als sich förmlich zusammenzuraufen und eine regierungsfähige Regierung zu bilden, was in solch einer großen Koalition nicht einfach ist. Zwei Volksparteien, welche gestern noch Wahlkampfgegner waren, müssen plötzlich über Nacht in einer Koalition Zusammenarbeiten. Da kann keiner von beiden mit dem Kopf durch die Wand gehen, wenn man Ergebnisse erzielen will. Und bei der nächsten Wahl kann eine völlig andere Konstellation regierungsfähig werden. Das ist nun einmal Demokratie!

Da war es doch in der DDR einfacher! Da wusste man vor der Wahl schon in Berlin, dass das Wahlergebnis 99,2 Prozent lauten musste.

Wenn nun Herr Meyer ein Loblied - als Blockflöte - darauf singt, dass er als Kulturdirektor alles sagen konnte, ohne Repressalien, der streut der heutigen jungen Generation Sand in die Augen und das ist nicht die Wahrheit. Wörtlich schreibt Herr Meyer: Wer Leistung brachte, konnte sich ein offenes Wort erlauben. Da frage ich mich, in welcher DDR hat Herr Meyer gelebt. Gab es noch eine?

Auch frage ich mich: Wer konnte zum Beispiel zu DDR-Zeiten – als Blockflöte – seinen Urlaub im so genannten kapitalistischen Griechenland verbringen? Frau Neubert, als bellenden Hund darzustellen, ist eines solch gebildetem Kulturmenschen wie Herrn Meyer nicht würdig.

Im Grenzgebiet waren die Kontakte stark eingeschränkt

Auch ich bin Zeitzeuge und habe fast 40 Jahre im Sperrgebiet der Staatsgrenze West gewohnt. Täglich mussten wir unsere Ausweise x-Mal zeigen, wenn wir das Grenzgebiet verließen oder wieder hinein wollten. Starb ein Bürger im Grenzgebiet, der einen sehr nahen Verwandten im Westen hatte, so bedurfte es schon einer besonderen nervlichen Anstrengung, dass dieser zur Beerdigung zwölf Stunden ins Grenzgebiet einreisen durfte. Hatte man Freunde, Arbeitskollegen oder Urlaubsbekanntschaften, die außerhalb des Grenzgebietes wohnten, so war es nicht möglich, diese zu einem persönlichen Besuch ins Grenzgebiet einzuladen. Klassentreffen oder sonstige Jubiläumsfeiern waren im Grenzgebiet nicht möglich.

Was aber jeglicher juristischer Grundlage eines Rechtsstaates entbehrte, waren die zweimaligen Aussiedlungen aus den Grenzorten der gesamten DDR. Im Jahre 1952 und 1961 wurden Zwangsaussiedlungen mit den zynischen Tarnbegriffen „Kornblume“ und „Ungeziefer“ durchgeführt. In den frühen Morgenstunden fuhren Lkw in den Grenzorten vor - mit Kampfgruppen, Stasi-Leuten und Funktionären - und teilten diesen unbescholtenen Bürgern mit, dass sie innerhalb von wenigen Stunden das Grenzgebiet zu verlassen hätten. Stellen Sie sich doch bitte vor, liebe Leser: Gleiches würde Ihnen oder mir heute oder morgen widerfahren?

Mitglieder der Kampfgruppen schafften die wichtigsten Habseligkeiten auf die Lastwagen. Meistens war es den Betroffenen gar nicht möglich, wegen des nervlichen Schocks dies selbst zu tun. Betroffene, die nicht freiwillig die Lkw besteigen wollten, wurden von kräftigen Männerarmen auf den Lastwagen gehoben. In ihren Zwangswohnort angekommen, wurden sie dort von der Staatsmacht als Staatsfeinde oder gar Kriminelle angekündigt. Es dauerte schon eine geraume Zeit, bis die dortigen Bewohner merkten, dies sind ja Menschen wie du und ich. Dies alles geschah ohne Gerichtsverfahren, ohne Richter und Staatsanwalt. Partei, Stasi und Räte der Kreise waren die Vollstrecker!

Mancher dieser Zwangs-ausgesiedelten verstarb in der Fremde im Zwangs Wohnort, ohne je sein Heimatdorf wiedergesehen zu haben. Während Herr Meyer sich in Griechenland braun brennen ließ, geschah dies, wo er anscheinend nie etwas davon erfuhr.

Eine rote Schleife an Stalins Bart zog Haftstrafe nach sich

Vielleicht sollte Herr Meyer Frau Riemann aus Mühlhausen befragen, die als 14-jähriges Mädchen in der Berufsschule eine rote Schleife mit Lippenstift an Stalins Bart gemalt hat. Für dieses angebliche Verbrechen saß Erika Riemann acht Jahre in zahlreichen Zuchthäusern der DDR. Erika Riemann hat über ihre jugendliche Leidenszeit ein Buch geschrieben. So viele Tränen habe ich als Erwachsener noch nie vergossen wie beim Lesen dieses Buches.

Auch Manfred Grob und Manfred Thiele aus Mühlhausen können über lange Haftstrafen von Bürgern in DDR-Zuchthäusern berichten. Auch sie schrieben beide Bücher über die unmenschlichen Urteile und Bedingungen in DDR-Zuchthäusern für politische Verurteilte. So kann ich mir ein Urteil bilden, da ich alle Bücher gelesen habe und die Verfasser alle meines Alters sind. Ja, ich kenne sie alle persönlich und an ihrer Glaubwürdigkeit gibt es keinen Zweifel.

Willi Tasch, Lengenfeld unterm Stein
(Quelle: Thüringer Landeszeitung vom 15.02.2007)