Die Bischofsteiner Landwirtschaft Anno Domini 1952

Diese Überschrift ist eigentlich etwas zu allgemein gehalten; sie müsste, wenn man sich auf die wichtigsten Ereignisse beschränkt, richtiger lauten: Weihnachtsweizen, Novemberkartoffeln, Schneerunkeln.

Es gilt ja im Allgemeinen als unschicklich, vom Wetter zu reden, aber wenn es sich hierbei nicht um ein Verlegenheitsthema handelt, sondern um Ereignisse, die alle betriebswirtschaftlichen Pläne, jede landwirtschaftliche Tradition und Gepflogenheit über den Haufen werfen, wenn Gemüt und Verstand durch atmosphärische Vorgänge ständig okkupiert und blockiert werden, dann kann man über diese Dinge nicht schweigen, auch wenn Ihr wahrscheinlich Ähnliches erlebt habt.

Nach der langen Dürrezeit des Hochsommers, die bei uns nur einen einzigen Schnitt der Luzerne zuließ und die schlimmsten Befürchtungen wegen des Ausfalls der Hackfruchternte aufkommen ließ, setzte schon während der Getreideernte die Regenzeit ein, die bis in den November anhielt, nur von wenigen niederschlagsfreien Tagen unterbrochen. Aufgrund meiner täglichen Aufzeichnungen hatte der September 5, der Oktober 7 Tage ohne Regen. Ihr erwartet nun vielleicht die übliche Feststellung: „Die ältesten Leute erinnern sich nicht ...“ Fehlgeschossen! Ganz im Gegenteil: In Hildebrandshausen lebt ein hochbetagter Bauer, der sich erinnert, dass vor etwa 60 oder 70 Jahren die letzten Kartoffeln am 7. Januar ausgebuddelt wurden! (also sozusagen zwei Ernten in einem Jahr!). Na, da können wir ja noch von Glück reden, dass wir unsere diesjährige Kartoffelernte am 28. Oktober und die Runkelernte am 15. November (bei Schneegestöber) beendet haben. Mit einer Schilderung des Verlaufs dieser Erntearbeiten, die sich nicht nur etwa dreimal so lange wie sonst hinzogen, sondern auch einen Monat später als in normalen Jahren ihren Abschluss fanden, will ich Euch nicht langweilen. Nur einiges möchte ich herausgreifen: an einem Vormittag haben wir, erfrischt durch fünfmalige Regengüsse, mit insgesamt 10 Arbeitskräften nicht mehr als 15 Zentner Kartoffeln geschafft, also etwa den fünften Teil einer sonst bei uns üblichen Leistung; denn man musste ja nicht nur jede einzelne Kartoffel von dem ihr anhaftenden Dreck reinigen, sondern auch die Finger, auf die er von den Kartoffeln übergegangen war, entweder an den Körben oder, wie ich es meist tat, an den Hosen abstreifen.

 – Einen anderen Vormittag werde ich nicht so bald vergessen: Es wehte nach vorangegangenem Nachtfrost ein eisiger Nordost. Meiner Frau, an deren verzweifeltes Gesicht ich immer denken muss, liefen die Tränen über die Backen, ein Tröpfchen glänzte an der Nase. Ihre Finger waren so erstarrt, dass ich sie alle 10 Minuten reiben musste, um die Verkrampfung zu lösen. Trotz allem hielt sie tapfer den ganzen Vormittag durch.

– Als ich einmal, voller Sorgen über das langsame Fortschreiten der Kartoffelernte, bei Wölfi v. Scharfenberg anrief und mich nach dem Stand der Dinge bei ihm erkundigte, sagte er ganz gelassen: „Ich habe noch 30 Morgen in der Erde.” Das beruhigte uns und gab uns neuen Auftrieb.

– Übrigens fehlt es auch nicht an schönen Erinnerungen bei der diesjährigen Kartoffelernte: So möchte ich an dieser Stelle dankbar anerkennen, dass die damaligen Insassen des FDGB-Heimes (es lief gerade ein Schulungslehrgang) uns an zwei Tagen durch einen Großeinsatz bei der Bergung der Kartoffeln tatkräftig geholfen haben. An so einem Tag schafften wir 130 Zentner. Der Ertrag der Ernte ist keineswegs schlecht zu nennen: Ich habe mein Soll (etwas über 300 Zentner bei 8 Morgen Anbaufläche), wenn auch knapp, erfüllt und 100 Zentner für die Frühjahrsaussaat zurücklegen können. Aber es war eine teure Ernte, weil sie sich sehr lange hinzog und die Kartoffeln nicht ausgepflügt, sondern zum größten Teil ausgestochen werden mussten. Mit der Getreideablieferung bin ich auch einigermaßen zu Rande gekommen; allerdings habe ich etwas Weizen hinzukaufen müssen; denn wenn man, wie ich in diesem Jahr, 12 Zentner auf den Morgen erntet und davon 9 abliefern muss, so ist das eben doch kein Pappenstiel.

Ein sorgenvolles Kapitel war In diesem Jahr die Herbstbestellung. Zwar sind Wintergerste und Roggen noch rechtzeitig gedrillt worden und gut aufgegangen; die Schwierigkeiten begannen aber erst bei der Bestellung des Winterweizens, zumal die Hackfruchternte und die Räumung dieser Felder sich so sehr verzögerten.

Trotzdem habe ich den größten Teil (14 ½ von insgesamt 16 Morgen Anbaufläche) in den letzten Tagen des Oktober und im November bestellen können, teils mit der Drillmaschine, teils mit der Hand, aber dann brach mit aller Gewalt der Winter herein, und heute – ich schreibe diese Zeilen am 6. Dezember, einem Tag, der manche Bischofsteiner Erinnerungen wachruft – warten die letzten 1 ½ Morgen immer noch darauf, dass wenigstens für einige Tage offenes Wetter eintritt. Unsere bewährten landwirtschaftlichen Arbeitskräfte haben in diesen Wochen wirklich nichts zu lachen gehabt; unter den schwierigsten Bedingungen ging ihre Arbeit vonstatten; trotzdem haben sie ausgeharrt und sich nicht entmutigen lassen.

In der letzten Chronik hatte ich erwähnt, dass ich erstmalig einen Versuch mit dem Anbau von Winterzwischenfrucht, und zwar Landsberger Gemenge und Wickroggen, unternommen hätte. Leider war das eine kleine Enttäuschung, nicht was den Ertrag betrifft – dieser war durchaus zufriedenstellend –, wohl aber insofern, als das Eichsfelder Klima die Reife so sehr verzögerte, dass die Räumung dieser Felder, die ich für den Frühjahrsanbau brauchte, viel zu spät vor sich ging.

Mit tierischen Erzeugnissen habe ich in diesem Jahr gut abgeschnitten: mein Jahressoll in Milch habe ich bereits in einem halben Jahr erfüllt. Die überlieferte Milchmenge wird mit 80 Pfennig brutto pro Liter honoriert, was eine willkommene Mehreinnahme bedeutet. Ich habe jetzt 6 Milchkühe, zwei deckfähige Färsen und 2 Jungrinder. Die Schweinezucht war in diesem Jahr von besonderem Glück begünstigt: von 4 (im zweiten Halbjahr 5) Zuchtsauen habe ich fast 60 Ferkel ohne nennenswerte Verluste heranzüchten können. Diese Erfolge sind natürlich nicht mein Verdienst; sie sind ausschließlich der Tüchtigkeit und Erfahrung unseres Melkers und Viehpflegers zu verdanken.

Beim Bericht über mein eigentliches Steckenpferd, den Geflügelhof, muss ich wieder etwas „angeben“: mein Eiersoll betrug rund 2.000 Stück; ich habe 4.500 abgeliefert. Diese Übersolleier werden bis zum 1. August mit 40 Pfennig, danach mit 50 Pfennig je Stück bezahlt. Ich habe also für die 2.500 überlieferten Eier mehr eingenommen als für den gesamten Weizen (118 Zentner) und etwa so viel wie für 6 innerhalb des Solls abgegebene Mastschweine.

Beim Rückblick auf 1952 muss ich sagen: Das ablaufende Jahr hat uns durch den abnormen Witterungsverlauf manche Enttäuschungen, manch sorgenvolle Tage und Nächte, viele schwere, harte, entsagungsvolle Arbeit gebracht; dass wir sie zusammen mit unseren Arbeitskameraden trotz allem bewältigt haben, das erfüllt uns mit Freude und Dankbarkeit.


(Quelle: Bischofsteiner Chronik, Weihnachten 1952, S. 17 – 19)