Die „Wanereiche“ – ein sterbendes Naturdenkmal (1957)

Wenn der Heimatfreund von der Struther Höhe hinab ins Friedatal wandert, sei ihm noch ein Abstecher zur uralten „Wander-“ oder „Wanereiche“ empfohlen. Sie ist zu erreichen, wenn man sofort nach Beginn des Waldes am Strutherberg linkerhand durch das junge Gehölz und dann am Waldesrand bis hinauf zur Kuppe geht. Rechts führt ein Seitenpfad durch den Kiefernbestand und nach kurzer Wanderung tut sich eine Lichtung auf, in deren Mitte die knorrige Eiche steht.

Seit langen Jahren ist sie verdorrt und grau und gespenstig reckt der sterbende Riese seinen kurzen Stumpf mit den langen Armen in die Luft. Die Bezeichnung „Wanereiche“ ist im Struther Volksmund am gebräuchlichsten. Die Jugend machte sich früher von dieser Eiche die gruseligsten Vorstellungen. Man behauptete, dass es hier „wanert“ oder spukt. Und doch ist „Wanereiche“ wohl nur eine im Laufe der Zeit entstandene Umformung des Namens. Sollte es nicht eine „Waneneiche“ sein? Die Wanen sind ein Göttergeschlecht aus der nordischen Sage. Aller Wahrscheinlichkeit also eine uralte Kultstätte unserer Vorfahren. Diese Annahme bekräftigt auch der Standort: von allen Seiten gesehen ein geschlossener Bergkegel, oben in der Mitte die Eiche. Heranwachsende Tannenpflanzungen überragten sie mit der Zeit und verbargen sie dem Auge des Wanderers. Mittlerweile hat sich der Bestand gelichtet und frei und kahl steht die Eiche auf der Höhe.

Wer kann das Alter dieses Naturdenkmals ergründen? Hier scheint die Zeit stehengeblieben zu sein. Bereits unsere Großväter sahen in ihrer Jugendzeit die Eiche so, wie wir sie heute schauen.

Auf den knorrigen Wurzeln lässt‘s sich gut ruhen. An der Mitte des Stammes messen wir einen Umfang von fast 4 ½ Meter. Der Stamm ist sehr kurz, bis zur Höhe des ersten Astes sind es gut zwei Meter. An der Seite in Richtung Lengenfelder Landstraße ist der Stamm bis zur Mitte ausgehöhlt, so dass ein Erwachsener bequem darin stehen kann. Am Fuße der Ausbuchtung sind noch Reste einer Untermauerung zu sehen. Schwarze Brandstellen lassen auf einen Blitzeinschlag schließen.

Wenn auch der Zahn der Zeit deutliche Spuren des Zerfalls an diesem sterbenden Naturdenkmal hinterlassen hat, so wird es doch noch lange Wind und Wetter trotzen und noch manches Menschenkind überleben. Es wird ein langes, zähes Sterben sein.

Autor: Ze
(Quelle: „Eichsfelder Heimatbote“, Ausgabe vom 14.09.1957)