Die „Göttereiche“ bei Struth - Ein altes Naturdenkmal unserer Heimat (1938)

Das Eichsfeld ist an Naturdenkmälern reich. In der näheren Umgebung des Höhendorfes Struth sind deren mehrere festzustellen. Heute soll unser Besuch einmal dem ältesten Naturdenkmal im Walde unweit Kloster Zella gelten.

Wandert man von der Höhe hinab in das Tal der Frieda mit dem sagenumwobenen Kloster Zella, so sieht man gleich linkerhand, dem „Struther Berg“ gegenüber die sogenannten „Lutterodts-Bäume“. Es ist dies ein Buchenbestand, der nach einem der früheren Besitzer von Kloster Zella, Lutterodt (ein Mühlhäuser Bürger), benannt ist. Es sind zwar nur noch vereinzelte hohe Bäume, die aber von einem dichten Unterholz abgelöst werden. Dies Unterholz wird in Richtung Struth fortgesetzt von den Pflanzungen Kloster Zellas, die bereits bis zur Höhe reichen. Ein schmaler Pfad führt den Wanderer durch die Pflanzungen hinauf bis über die „Lutterodts-Bäume“ und mündet dann in einen dichten Tannenwald hinein.

Nach kurzer Wanderung durch den dunklen Tannenforst endet der Pfad in einer Lichtung. Inmitten erhebt sich eine uralte mächtige Eiche. Ihre langen, knorrigen Äste streckt sie bis in die Kronen der Tannen und Fichten hinein. Ein toter Riese inmitten immergrünem Nadelwald; von diesem ringsum eingeengt. Es ist die „Wander“- oder auch „Waner-Eiche“. Der letztere Ausdruck ist im Struther Volksmunde am gebräuchlichsten.

Die Jugend machte sich von dieser Eiche von jeher die gruseligsten Vorstellungen. Allgemein wird behauptet, dass es hier „wanert“ (oder spukt). Und doch ist „Waner-Eiche“ wohl nur eine im Laufe der Zeit entstandene Umformung des Namens. Sollte es nicht eine „Wanen-Eiche“ sein? Die Wanen sind ein Göttergeschlecht aus der nordischen Sage. Aller Wahrscheinlichkeit nach also eine uralte „Göttereiche“. Und warum nicht auch? Auch der Standort lässt auf eine alte „Kultstätte“ unserer Vorfahren schließen. Von allen Seiten gesehen ein geschlossener Bergkegel; oben in der Mitte die Eiche. Heranwachsende Tannenpflanzungen überragten sie mit der Zeit und verbargen sie dem Auge des Wanderers. Wer kann das Alter dieses Naturdenkmals ergründen?

Vielleicht weiß ein Leser oder Heimatfreund etwas anderes über die Namendeutung dieser Eiche. Am wahrscheinlichsten scheint wohl die oben angeführte Deutung zu sein. Namen aus der weiteren Umgebung (z. B. „Wanfried“) lassen ebenfalls darauf schließen. Sind doch auch noch mehrere Eichen unserer Heimat einem Gott geweiht gewesen. Erinnert sei hier nur an die „Donareiche“ auf dem Hülfensberg, die uns aus der bonifatianischen Zeit bekannt ist.

Nun noch einige Worte der Beschreibung. Auf den knorrigen Wurzeln lässt sich‘s gut ruhen. Nach kurzer Rast versuchen wir die Eiche im Bilde festzuhalten. Nach einigem Bemühen, der Raum um die Eiche herum ist ziemlich knapp, gelingt unser Versuch. An der Mitte des Stammes messen wir einen Umfang von nahezu 4 ½ Meter. Der Stamm selbst ist sehr kurz, bis zur Höhe des ersten Astes sind es gut zwei Meter. Wie lange Fangarme muten die Äste an. Schon so manchem Bewohner des Waldes boten sie bei Wind und Wetter Unterschlupf. Viele Ausflügler haben sie schon getragen; mit Vorliebe wurden sie besonders von der lieben Jugend erklettert. An der Seite in Richtung Lengenfelder Straße ist der Stamm bis zur Mitte hin ausgehöhlt. Ein Erwachsener kann bequem darin stehen.

Am Fuße der Höhlung gewahren wir noch Reste von einer Ausmauerung. Auch lassen schwarze Brandstellen auf einen früheren Blitzschaden schließen. In Gedanken versunken, bestaunen wir das Naturdenkmal, und der Geist wandert weit zurück in die Vergangenheit. Bereits unsere Großväter kannten in ihrer Jugendzeit die „Wanereiche“ nicht anders als wir. Wenn auch der Zahn der Zeit an ihr bereits deutliche Spuren hinterlassen hat, so wird sie doch noch lange Wind und Wetter trotzen. Hinzu kommt noch die herrliche Landschaft ringsum. Zauberisch schön steht der verschneite Tannenwald. Die majestätische Stille hier oben zieht immer wieder den Wandersmann an. Auf dem Heimweg wissen auch wir, dass wir noch oft zur „Wanereiche“ zurückkehren werden!

Vinzenz Hoppe
(Quelle: „Mühlhäuser Anzeiger“, Ausgabe vom 4. März 1938)