Der eichsfeldische Landbewohner und seine Grußform
Der eichsfeldische Landbewohner war früher — und der alteingesessene ist es noch heute, — einfach, schlicht in seinen Sitten und Gebräuchen, sowie in all seinem Tun und Lassen. Dies zeigt sich auch besonders in der Grußform. Schöne Worte und Phrasen find ihm verhaßt; am liebsten spricht er „wie ihm der Schnabel gewachsen ist“. Für Knix und Bückling fehlt ihm der Kautschukrücken und deshalb gebraucht er auch „hohen Herren“ gegenüber seine alte Grußsitte. Muß er sich aber einmal der gesellschaftlichen Grußform von heute bedienen, so merkt man ihm sofort an, daß er sich in seinem Auftreten unsicher fühlt. Am liebsten meidet er infolgedessen den Verkehr Mit Höhergestellten und geht ihnen aus dem Wege, wo er nur kann. Das hat ihm den unverdienten Vorwurf eingetragen, das er unbeholfen, ja grob und ungebildet sei. Wer ihn aber genauer kennt, weiß, daß dieses durchaus nicht der Fall ist, sondern daß nur unwandelbare Treue an der Väter Erbe der Grund seines Benehmens ist.
Mit peinlichster Sorgfalt wird das Begrüßungszeremoniell beachtet, das sich nach Person, Zeit, Ort und Arbeit richtet. Der geistliche Herr wird nur mit „Gelobt sei Jesus Christus“ begrüßt und jede andere Form ist verpönt und wird übel gedeutet. Denselben Gruß bieten auch die Kinder den Eltern, wenn sie morgens aus dem Schlafkämmerchen kommen oder abends zu Bett gehen. Standespersonen grüßt man mit den gebräuchlichen deutschen Grüßen: guten Morgen, guten Tag, guten Abend.
Anders ist die gegenseitige Begrüßung der gewöhnlichen Sterblichen. Kaum graut der Morgen, so steckt der Bauer seinen Kopf aus dem Fenster, um nach dem Wetter zu sehen; doch da öffnet sich schon das Fenster des Nachbarn und: „Uesg'schlofen?“ „Joi, di oi?“ klingt's herüber und hinüber, dann folgt eine kleine Unterhaltung über das Wetter und die Fenster schließen sich wieder.
Ein anderes Bild. Soeben ist das dreimalige Geläut zur Kirche beendet. Die Türen der Häuser öffnen sich und die Dorfstraßen füllen sich mit Kirchgängern. Besonders zahlreich ist das Frauengeschlecht vertreten Da treffen sich zwei Mütterchen und „bäte gih?“ (Willst du zum Beten gehen?) ist in B. der Gruß, den die beiden gegenseitig austauschen. Ist dann der Gottesdienst beendet und es treffen sich Kirchenbesucherinnen beim Heimgange, so grüßt eins die andere mit: „Uesgebatt?“ (Hast du ausgebetet?)
Am interessantesten ist die Begrüßung bei den Feldarbeiten. Da zeigt der Eichsfelder so recht, daß er nicht grüßt, nur um zu grüßen, sondern daß er den innigsten Anteil nimmt an Leid und Freud des Nächsten. Niemals gebraucht er unsere so arg verkürzte, trockene Grußform allein, sondern stets weiß er noch ein freundliches Wort oder eine Frage, die das Mitgefühl ausspricht, beizusetzen. „Witt' an die Acker?" ruft er dem mit Pferd und Pflug auf das Feld ziehenden Bauern zu. War er bereits draußen bei der Arbeit, so ruft ihm der Vorübergehende zu: „Geht's denn gut?" oder: „Schon s' fließig?“, „Ja, so ein bischen“ ist die Antwort. Oft aber, wenn die Arbeit anstrengend war, erklang auch wohl ein scherzhaftes „Näi!“ (Nein) Nicht selten wird auch nach der jeweiligen Arbeit gefragt; beim Kartoffelhacken z. B.: „Wollt Ihr denn Kartoffeln hacken?“, oder beim Mähen: „Wollt Ihr denn abmachen?“ Auch der Fortgang und der Erfolg der Arbeit wurde in die Frage ausgenommen z. B. „Si dann bale reide?“ „Habt euch aber schön zugehalten!“
War es um „Essezeit", so wird daran erinnert mit: „Eßt's Frühstück! —das Mittagsbrot!, — trinkt den Kaffee! — den Branntwein!, oder man fragte: „Habt Ihr schon gefrühstückt?, sonst wird's Zeit!“ „Habt Ihr den Branntwein schon getrunken?" Traf es sich, daß die Arbeiter gerade beim Essen waren, so lautete der Gruß: „Schmeckt's denn gut?" Oft war die launige Antwort dann: „Joi, d'r Hunger triebt's ninn“, oder „Wenn Ihr mitessen wollt, so holt ein Stück heraus und setzt Euch zu uns!“
Ein beliebter Zuruf ist auch: „Heut ist's aber heiß oder kalt“, je nach der Witterung. Um die Mittagszeit wird der Arbeiter mit: „Macht Mittag!“ zur Einstellung der Arbeit aufgefordert und zur Abendzeit mit „Macht Feierabend!“ Gute Bekannte würden auch wohl gegen Abend mit „Fierobs Enge, regen sich alle fülen Hänge!“ (Feierabend Ende, regen sich alle faulen Hände) geneckt. Abschied vom Arbeitenden nahm man mit „Macht Euch nicht zu müde!“
Kommt man an einem Ruhenden vorbei, so wird er mit den Worten „Ruht Ihr Euch denn?" angesprochen.
Die Hirten werden gegrüßt mit den Worten: „Ist die Weide gut?“ Wenn jemand aus dem Fenster schaut, so spricht man ihm zu mit den Worten: „Siehst du dich denn um?“ Sind aber zwei in ein Gespräch vertieft, so grüßt der Vorübergehende: „Schwatzt Ihr denn mit einander?" Wird aber das Gespräch etwas zu lange ausgdehnt, wie es bei Frauen manchmal vorkommen soll, so gibt's zuweilen einen boshaften Gruß, indem diesen „Klatschbasen" ein Stuhl aus dem nächsten Hause gebracht wird, worauf dann gewöhnlich ein schleuniges Auseinanderstieben erfolgt.
Dem Eiligen ruft man zu: „So ilig?“ (So eilig) „Wo brennt's denn?“ Bei Regenwetter heißt's: „Bliebt d'rheime; 's gitt Rain; werrst naß!“
Originell ist auch die Begrüßung im Hause. Der Eintretende wird gewöhnlich unter sichtbarer Freude mit den Worten: „Aeß jo enn sautener Besuch; 's racht, daß d' uns oi mo besiecht; Sitzt uch enne habe Stiege Stuine bin uns!“ zum Platznehmen aufgefordert. „Na, su lange salls nit düre“, ist die Entgegnung. Tritt ein zweiter Gast herein, so sagt er nach der Begrüßung zum ersten: „spelle genn?" Ist es aber ein Hausangehöriger, so spricht er: „Zu uns kummen?" Die Gastfreundschaft der Eichsfelder ist bekannt. Wenn die Familie gerade beim Essen ist, so wird der Gast mit: „Wu dann metasse?“ oder „Aßt dach met!“ so lange genötigt, bis er sich bequemt, mitzuessen. Ein altes biederes Bäuerlein kam einst zu einem Arzt, um seine Rechnung zu begleichen. Als er bei dem Arzt eintrat, war dieser gerade beim Mittagessen und unser Bäuerlein wird mit den Worten „Wollen Sie mitessen?" zum Mittagstisch eingeladen. „Anstandshalber“ sagt er: „Nä, ich danke“, hofft aber im Stillen auf eine nochmalige „Nötigung“. Doch diesmal bleibt dieselbe aus. Der Arzt erkundigte sich nach dem Befinden des Genesenden usw. Auf einmal fragt's Bäuerlein: „Was sagtet Ihr vorhin:? „Wie es der Mutter ginge“, war die Antwort. „Ach nein“, meint's Bäuerlein „Vorher?“ „Was der genesende Sohn mache“, war die Antwort. „Vorher?“ fragt das Bäuerlein weiter. „Nun ob Ihr mitessen wollt?“ „Ja, das kann ich ja“, erwidert das Bäuerlein und setzt sich an den Tisch. Mit den Worten: „'s ward Ziet“ erhebt sich nach geraumer Zeit der Besucher; aber so schnell kommt er nicht fort. Noch ¼ Stunde lang wird dann noch „geschwatzt", bis er endlich unter: „Machts gut!“ oder „Lot's uch wohl gih!“ die Türklinke faßt. „Joi uch oi, kummt werrr!" schallts ihm nach.
Im Wirtshaus sitzt „ein Chörchen" am Tisch und läßt das Schnapsglas kreisen. Jedem Hinzutretenden wird sofort der „Langhals“ als Begrüßung gereicht und er muß „Bescheid“ tun. Eine Ablehnung hat nicht selten den schönsten Spektakel zur Folge. Das gegenseitige Zutrinken geschieht, indem dem Nachbarn das Glas hingestellt wird, wobei man mit dem Zeigefinger auf den Tisch tippt und ein gleiches tut sofort der so Geehrte Bei „ruhigen Sitzungen“ wendet sich der Hinzutretende an die Gesellschaft mit den Worten: „Mit Verlaub“ und setzt sich hinzu.
Bei Todesfällen werden die nächsten Verwandten mit den Worten: „Es tut mir leid, daß Ihr betrübt seid" begrüßt, worauf diese antworten: „'s es Gottes Wille gewast."
Auf originelle Weise wurden früher junge Mädchen, die im Frühjahr zum ersten Male „ins Gras“, (Gras zu holen) gingen, begrüßt, indem sie mit einem Eimer Wasser „geleckt“ wurden. Das erhielt sie das ganze Jahr hindurch fleißig.
Der letzte Gruß, der einer aus dem Dorfe ziehenden Braut gespendet wurde, war das „Hemmen“. Ein Seil wurde über die Straße gezogen, daß der Brautwagen so lange halten mußte, bis die Braut durch Geschenke die Freigabe erzwungen hatte. Wenn zwei aus Versehen sich anstoßen, so sagen sie: „hopsa, nahmt's nit ebbel!“ Kranke werden begrüßt mit: „wi gett's uch dann?“ und beim Weggehen sagt man: „bliept muinter!“ oder „halt Uch gut!“
Im allgemeinen reden sich die Leute auf dem Eichsfelde mit „Du“ an, doch sagen jüngere zu den älteren „di". Nicht selten kommt es vor, daß, wenn ein jüngerer Mensch dem älteren gegenüber das „Du“ gebraucht, dieser den ersteren mit den Worten zurecht setzt: „Habe ich dann met dich schon die Schwiene gehutt?“ In B. ist noch statt Herr und Frau der Titel „Vätter und Waschen“ gebräuchlich.
Die Mannigfaltigkeit der Grußform läßt uns erraten daß man dem Gruße großen Wert beilegte. Und in der Tat, gegrüßt mußte werden und wer es offensichtlich unterließ, kündete damit offene Feindschaft an. Sogar der unterlassene Gruß aus Versehen wurde übel vermerkt und mit der spöttischen Bemerkung „Kennst uns wohl nicht mehr?“ abgetan. Witterte man aber böswillige Absicht, dann gab's mit sichtlicher Erregung Grobheiten wie: „So ein Stummpax, der hat wohl's Maul im Bettstroh gelassen?" und ähnliche Zurechtweisungen.
L.[iborius] Goldmann
Anmerkung:
Der vorliegende Beitrag wurde von Tobias Stude (Struth) zur Verfügung gestellt. Für die vollständige Transkription des Textes sei ihm hiermit im Namen aller Benutzerinnen und Benutzer dieser Seite gedankt.