Der Wetterhahn auf unserem Kirchturm

Am Kriegsende, anfangs April 1945, wurde der Wetterhahn auf unserem Kirchturm durch Beschuß so stark beschädigt, dass seine Bewegungsfreiheit , die Windrichtungen und damit das Wetter anzuzeigen, ausfiel. Stur, wie er nun einmal war, schaute er seit dieser Zeit jahrein - jahraus nur nach dem Westen hin, als wollte er den Schwestern und Brüdern dort „drüben“ sagen: „Ich warte auf Euch!“ Das beeinflusste den Lehrer Josef Menge, ein gebürtiger Lengenfelder, nachfolgendes Gedicht im April 1957 zu schreiben:


Dar Watterhaohn
Uf unserm Kerchturm stett en Haohn,
Dar kündete immer daos Watter aohn.
Wull dar Bür daos Watter wisse,
Am Kerchturmhaohn daot ar sich vergewisser.
Denn gückt dar Haohn ins Hessenloch,
Do raint es meistens noch und noch.
Und wann ar nach dem Spröwinkel blickt,
Do waor daos Watter ganz entzückt.
Ref ar nach Osten sinn Kikiriki,
Do kaom im Weenter oft Kälte we nie.
Wand’ ar nach dam Dünberg sin Gesicht,
En warmer Südweed de Kälte bricht. -
Dach, säit de Trennung kaom ins Räich,
Do speelte ar uns enn’ n Sträich.
Säit daam, do blickt ar unverwaandt
Immer nach daam scheenen Hessenlaand.
Unsern Bridern und Schwastern wull ar Kunden,
Daos me sin immer met an verbunden.
Und Sturm und Blitz und Ungewitter,
Se kunn’ daan Haohn gaor nit erschütter.
Wann me abber gewiß nach äinigen Lenzen,
Me hoffen’ s, dach mol fallen de trennenden Grenzen,
Dann Haohn, brich dinnen sturen Sinn,
Und gück wedder nach allen Richtungen henn!

Josef Menge



Als im September 1958 die PGH „Aufbau“, Bickenriede unseren Kirchturm neu deckte (siehe Kirchenchronik, Band I, Seite 223), wurde auch der unbewegliche Kirchenturmhahn abgenommen und einer Verjüngungskur unterzogen. Nachdem ihn der Kirchenmaler Josef Richwien wieder vergoldet hatte, wurde er wieder auf seinen alten Stammplatz, auf die Kirchenturmspitze gesetzt. Seit dieser Zeit kann man sich wieder auf seine Wettervorhersage verlassen.

Das beflügelte den Lehrer Josef Menge im Dezember 1958 zu dem nachstehenden Gedicht:


Vom Schlaf erwacht

In meine Heimat kamm ich wieder,
Es war die alte Heimat noch;
Doch als ich hob die Augenlider,
Gestaunet hab’ ich wirklich doch.

Der Wetterhahn auf Kirchturms Spitze,
Der all’ die Jahr’ mit sturem Sinn,
Ob Kälte oder Hitze,
Ins Hessenland schaute hin.

Den hat vom Schlaf man wachgerüttelt
Und ihm geschmiert die steifen Glieder,
Da hat er tüchtig sich geschüttelt,
Besann sich seiner Pflichten wieder.

Als man ihm dann zu seiner Ehr’
Mit Gold beschlagen sein Gefieder,
Da hielt es ihn erst recht nicht mehr,
Nach jeder Richtung grüßt er wieder.

Und mancher Bauer auf Straß’ und Gassen
Schaut freudig hinauf zum Wetterhahn:
„Auf dich, da kann man sich verlassen,
Du kündest das Wetter richtig an.“

Josef Menge