Der Maialtar
Was ist das? Ältere wissen es noch, Jüngere nicht immer!
In jener Zeit, als ich klein war, bauten wir Kinder uns einen Maialtar. Und wir waren ganz stolz auf ihn. Er wurde am l. Mai meist auf einem Schränkchen in der Küche oder im Kinderzimmer hergerichtet. Mittelpunkt war ein kleines Muttergottesbild oder eine Marienfigur.
Daneben stellten wir meistens eine Kerze, die man, wenn auch nicht täglich, so doch hin und wieder im Monat Mai, auch anzündete, denn der Monat Mai, in dem alles zu grünen und blühen anfangt, ist der Gottesmutter geweiht. Begeistert standen wir dann vor unserem Maialtar, falteten die Hände, hielten eine kurze Andacht und sagten einen Spruch oder ein Gebet zu Maria. Mitunter sangen wir auch eine Strophe von einem Marienlied.
Immer gehörten frische Blumen zum Hausaltärchen. Meist waren es kleine Sträuße. Ich selbst habe recht gern dafür Gänseblümchen gepflückt. Wir besaßen auch winzige Vasen, in die die Gänseblümchen, auch Maßliebchen genannt, gut hineinpassten.
Maiglöckchen holten wir auch aus dem Wald. Sie gab es damals in Massen. Einige Kinder pflückten auch viele bunte Stiefmütterchen und trugen sie zu ihrem Maialtar. Sträuße mit Vergissmeinnicht und Goldlack oder Narzissen galten als etwas Besonderes und Edles.
Anderen Kindern zeigten wir unser Marienaltärchen, und wir schauten uns das ihrige an. Wir verglichen auch, welches davon besser und schöner war!
Damals kauften die Leute selten fertige Blumensträuße. Ging man zu einem Namenstag oder Geburtstag, dann nahm man selbstverständlich die Blumen aus dem eigenen Garten mit.
Meine Mutter hatte mir erzählt, dass ein Blumenstrauß am schönsten sei, wenn man die Blumen genauso aneinander reihe, wie man sie gepflückt hatte.
Ihre Worte fallen mir oft ein, und manchmal ist es, als wenn sie mir das eine oder andere jetzt noch sagt.
Heute denke ich, es war schon etwas Wunderschönes, wenn wir Kinder der Muttergottes zu Ehren unser Altärchen mit Freude, Liebe und Eifer erbauten.
Geld hat das Ganze kaum gekostet, außer der Kerze, und die bezahlten wir nicht selbst, die holten wir uns ja von den Eltern.
In späteren Jahren beobachtete ich, dass spielende Kinder draußen auf einmal mit dem Spielen aufhörten, einen Strauß Feldblumen pflückten und ihn zu Marienbildstöcken brachten.
War dort keine Vase vorhanden, dann legten sie einfach die Blumen vor dem Bildstock nieder. Dann spielten sie weiter, so, als wäre gar nichts zwischendurch geschehen.
Das Eichsfeld ist reich an Marienkirchen, gern besuchten Manenwallfahrtsorten, Marienstätten und -grotten.
Anneliese Blacha