Der Annaberg und das Pfarrdorf Struth

Bei der Durchforschung der ältesten Kirchenrechnungen der „Kirche ad Sanctuni Jacobum zu Struth“ finden sich immer wieder Bemerkungen, die ein gutes Licht auf die gegenseitigen Beziehungen zwischen dem ehemaligen Vorwerk und Wallfahrtsort Annaberg und der Pfarrgemeinde Struth werfen. So heißt es in der Rechnung von 1791, Kapitel „Stiftungen in der Kreuzwoche“: „Dem Struther Pfarrer von einem Amte, auf dem Annaberge zu halten = 8 Gutegroschen gezahlet“. Regelmäßig wurden auch alljährlich in der Annenkapelle dicke Wachskerzen von den Struthern geopfert, die vor dem Annenbild in einem Antipendium aufgestellt wurden. Dieser Brauch wurde seit 1788 geübt. Einem alten Gelöbnis zufolge wallfahrtete alljährlich am 3. Mai auch die Gemeinde Effelder dorthin und opferte im Hochamt eine Wachskerze. Am Vigil- und Festtag der heiligen Anna war der Annaberg das Ziel vieler Prozessionen, die sogar aus der damaligen Grafschaft Hohenstein gepilgert kamen.
Während des Winters erlosch in dem Annenkirchlein das ewige Licht. Das hochwürdige Gut wurde in die Struther Kirche übertragen.

Als man 1793 mit dem Bau der jetzigen Struther Jakobuskirche begann, hielten die Struther jahrelang ihren Gottesdienst in der Annenkapelle ab. Ein schöner Brauch war es auch, wenn am Erstkommuniontag die Kinder von Struth mit ihren näheren Verwandten vom Annaberg hinab zum Kloster Zella die „Sieben Stationen“, auch „Sieben Fälle“ genannt, beteten. Auch am Palmsonntag ging die Pfarrgemeinde ohne Seelsorger und Küster zur Andacht zum Annaberg. Viele Brautpaare verehrten besonders die heilige Mutter Anna als Patronin des Ehe- und Mutterglücks und ließen sich vor ihrem Gnadenbild trauen.

Als nach einer Verfügung des Jahres 1830 die Wallfahrten an den Werktagen unterlassen wurden, trat eine Änderung in der Gottesdienstordnung der Wallfahrtsstätte ein. Am ersten Maisonntag war Opfertag der Gemeinde Effelder und zugleich Patrozinium der Kapelle.

Struth hielt ein gestiftetes Amt am Mittwoch der Kreuzwoche und nach der Hauptwallfahrt, am Fest der heiligen Anna (26. Juli), die danach folgenden neun Annen-Dienstage. Zur Erinnerung daran wird in der Struther Kirche heute noch der „Letzte Dienstag“ der Annenoktav gehalten.

Der Annaberg gehörte zu Kloster Zella, und als 1810 das Dekret des Königs Hieronymus von Westfalen (Jerome) auch das Kloster Zella aufhob, änderten sich schlagartig die Beziehungen zwischen Annaberg und Struth. Die weltlichen Besitzer verlangten nach und nach Einschränkungen und schließlich die gänzliche Einstellung der Wallfahrten. Zwischen den Besitzern und dem Struther Pfarrer gingen recht unliebsame Verhandlungen hin und her. Am 4. Mai 1851 kam es sogar soweit, dass die Struther trotz Verbot zum Annaberg gehen wollten.

Ein Unwetter vereitelte den Entschluss. Im strömenden Regen ritten morgens um 7 Uhr zwei Gendarmen durch das Dorf zum Annaberg, und in der Kreisstadt Mühlhausen stand eine Abteilung Ulanen in Alarmbereitschaft.

Immer wieder baten die Struther um die Benutzung der Kapelle. Wenn es ihnen auch noch durch einige Jahre hindurch ab und zu gestattet wurde, so fanden die Wallfahrten 1869 doch ein Ende. Die Kapelle befand sich überdies in einem sehr schlechten baulichen Zustand. Am 29. Juli 1832 kam es infolge Baufälligkeit dieser Kapelle zu einem tragischen Unfall.
Beim Läuten der Glocken fielen einige Dachziegel herab und verletzten ein Struther Mädchen tödlich. Einige andere Wallfahrer erlitten schwere Körperschäden. Trotzdem ließ man das Kirchlein verfallen. Als endlich die Spitzhacke zum Abbruch der Kapelle angesetzt wurde, läuteten die beauftragten Arbeiter die Glocken zum letzten Mal in der Weise, wie man einem Verstorbenen „hinläutet“. Das Gnadenbild kam nach Struth und wird in der Annen-Bruderschaft, welche Struther Männer gründeten, in diesen Tagen besonders verehrt.

Verschwunden sind Kapelle, Lindenkranz und „Nonnenhaus“ (früher Pfarrhaus), aber immer noch geht der Struther gern zum Annaberg.

Vinzenz Hoppe (1960)